Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Die deiltschsoziale Bewegung danken reif zu machen, schliesslich werde die antisemitische Bewegung einsehen, Dank den Sünden unsrer sogenannten liberalen Gesetzgebung, die die alten Die deiltschsoziale Bewegung danken reif zu machen, schliesslich werde die antisemitische Bewegung einsehen, Dank den Sünden unsrer sogenannten liberalen Gesetzgebung, die die alten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215486"/> <fw type="header" place="top"> Die deiltschsoziale Bewegung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1444" prev="#ID_1443"> danken reif zu machen, schliesslich werde die antisemitische Bewegung einsehen,<lb/> daß nicht die Juden, sondern die kapitalistische Gesellschaftsordnung das Übel<lb/> sei, und damit werde sie am Ende ihrer Selbständigkeit angekommen sein und<lb/> in die große, von der Sozialdemokratie geleitete Bewegung des Sozialismus<lb/> auslaufen. Es liegt etwas Wahres, eine jener gefährlichen Halbwahrheiten<lb/> der Sozialdemokratie in dieser Auffassung. Auch wir glauben und hoffen,<lb/> daß die antisemitische Bewegung schließlich eine gesunde, im besten Sinne des<lb/> Wortes sozialistische Bewegung werden wird. Aber wir glauben und hoffen<lb/> nicht, daß sie sozialistisch werden wird im Sinne der Sozialdemokratie, und<lb/> es ist unsre eruste, ja unsre wichtigste Aufgabe, das zu verhindern, mit allen<lb/> Mitteln dagegen zu kämpfen, daß der Talmisvzialismns der Sozialdemokratie<lb/> an Stelle des echten Goldes des Sozialismus noch weiter vordringe in unserm<lb/> Volke.</p><lb/> <p xml:id="ID_1445" next="#ID_1446"> Dank den Sünden unsrer sogenannten liberalen Gesetzgebung, die die alten<lb/> organischen Formen des Zusammenlebens der Menschen zerschlagen und es ver¬<lb/> absäumt hat, neue an ihre Stelle zu setzen, und die den Staat aus einem ge¬<lb/> ordneten und gegliederte» Organismus zu einem zusammenhangslosen Klumpen<lb/> von Einzelwesen umgeschaffen hat, dank der Teilnahmlosigkeit unsrer „gebil¬<lb/> deten" Staude, die nicht zu finden waren, als sich die führerlose, allein ans<lb/> den freien Arbeitsvertrng angewiesene Masse nach einem Halt umsah in dein<lb/> wilden Meere der entfesselten Selbstsucht, dank der Verblendung unsers ma߬<lb/> gebenden „Bürgertums in Stadt und Land," das die sozialen Übelstände nicht<lb/> wahrnahm und sich nicht regte, bis die Krone endlich in zwölfter Stunde zur<lb/> sozialen Reform den Anstoß gab, haben wir es dahin gebracht, daß sich der<lb/> Sozialismus bei uns von unten herauf zur Geltung brachte, und daß er,<lb/> seinem Ursprünge getreu, religivnSfeindlich, revolutionär, demokratisch, anti-<lb/> mvnarchisch und antinativnal war. In seinem unaufhaltsamen Siegeslaufe ist<lb/> der Sozialismus jetzt bei deu Bevölkeruugsklasseu angelangt, die das Partei¬<lb/> kauderwelsch der Sozialdemokratie als die „politisch rückständigsten" bezeichnet.<lb/> Das sind nämlich die Teile des deutschen Volkes, die noch ans alte deutsche<lb/> Zucht und Sitte halten, die treu ihrem Gott und ihrem König ergeben sind,<lb/> die ihr Vaterland und den Grund und Boden lieben, auf dem ihre Familie<lb/> von Alters her heimisch ist, und die Neuerungen am allerwenigsten zugänglich<lb/> sind. Es liegt auf der Hand, daß der Sozialismus, wenn er hier eindrang,<lb/> eine andre Form annehmen mußte, als in der unsteten, von hier nach dort<lb/> geschleuderten, nirgends wahrhaft heimischen Arbeiterbevölkerung. In den kon¬<lb/> servativen Schichten des Handwerkerstandes, des Bauernstandes und des Standes<lb/> der mittlern und kleinen Beamten mußte die sozialistische Bewegung zunächst<lb/> jedenfalls in dem Gewände einer christlich-religiösen, königstreueu, urdeutsche»,<lb/> an die ständische, geschichtlich überlieferte Glieder»»g der Vergangenheit an¬<lb/> knüpfenden, durchaus gegen revolutionäre Gelüste gerichtete» Partei auftreten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0396]
Die deiltschsoziale Bewegung
danken reif zu machen, schliesslich werde die antisemitische Bewegung einsehen,
daß nicht die Juden, sondern die kapitalistische Gesellschaftsordnung das Übel
sei, und damit werde sie am Ende ihrer Selbständigkeit angekommen sein und
in die große, von der Sozialdemokratie geleitete Bewegung des Sozialismus
auslaufen. Es liegt etwas Wahres, eine jener gefährlichen Halbwahrheiten
der Sozialdemokratie in dieser Auffassung. Auch wir glauben und hoffen,
daß die antisemitische Bewegung schließlich eine gesunde, im besten Sinne des
Wortes sozialistische Bewegung werden wird. Aber wir glauben und hoffen
nicht, daß sie sozialistisch werden wird im Sinne der Sozialdemokratie, und
es ist unsre eruste, ja unsre wichtigste Aufgabe, das zu verhindern, mit allen
Mitteln dagegen zu kämpfen, daß der Talmisvzialismns der Sozialdemokratie
an Stelle des echten Goldes des Sozialismus noch weiter vordringe in unserm
Volke.
Dank den Sünden unsrer sogenannten liberalen Gesetzgebung, die die alten
organischen Formen des Zusammenlebens der Menschen zerschlagen und es ver¬
absäumt hat, neue an ihre Stelle zu setzen, und die den Staat aus einem ge¬
ordneten und gegliederte» Organismus zu einem zusammenhangslosen Klumpen
von Einzelwesen umgeschaffen hat, dank der Teilnahmlosigkeit unsrer „gebil¬
deten" Staude, die nicht zu finden waren, als sich die führerlose, allein ans
den freien Arbeitsvertrng angewiesene Masse nach einem Halt umsah in dein
wilden Meere der entfesselten Selbstsucht, dank der Verblendung unsers ma߬
gebenden „Bürgertums in Stadt und Land," das die sozialen Übelstände nicht
wahrnahm und sich nicht regte, bis die Krone endlich in zwölfter Stunde zur
sozialen Reform den Anstoß gab, haben wir es dahin gebracht, daß sich der
Sozialismus bei uns von unten herauf zur Geltung brachte, und daß er,
seinem Ursprünge getreu, religivnSfeindlich, revolutionär, demokratisch, anti-
mvnarchisch und antinativnal war. In seinem unaufhaltsamen Siegeslaufe ist
der Sozialismus jetzt bei deu Bevölkeruugsklasseu angelangt, die das Partei¬
kauderwelsch der Sozialdemokratie als die „politisch rückständigsten" bezeichnet.
Das sind nämlich die Teile des deutschen Volkes, die noch ans alte deutsche
Zucht und Sitte halten, die treu ihrem Gott und ihrem König ergeben sind,
die ihr Vaterland und den Grund und Boden lieben, auf dem ihre Familie
von Alters her heimisch ist, und die Neuerungen am allerwenigsten zugänglich
sind. Es liegt auf der Hand, daß der Sozialismus, wenn er hier eindrang,
eine andre Form annehmen mußte, als in der unsteten, von hier nach dort
geschleuderten, nirgends wahrhaft heimischen Arbeiterbevölkerung. In den kon¬
servativen Schichten des Handwerkerstandes, des Bauernstandes und des Standes
der mittlern und kleinen Beamten mußte die sozialistische Bewegung zunächst
jedenfalls in dem Gewände einer christlich-religiösen, königstreueu, urdeutsche»,
an die ständische, geschichtlich überlieferte Glieder»»g der Vergangenheit an¬
knüpfenden, durchaus gegen revolutionäre Gelüste gerichtete» Partei auftreten.
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