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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Line Nacht auf den: Brocken

verliert, unfehlbar nach der tiefsten Stelle, hinab ins Thal, auf den Hvlz-
rahnien.

, Was thun? Der Klügste giebt nach. Wir ergeben uns also in unser
Schicksal und bleiben da liegen, wo wir nach dem Gesetz der Schwere zu liegen
haben. Es geht auch so einmal eine Nacht herum. Eine kurze Sommernacht.
Vielleicht erscheint der Wecker bald.

Da brüllt es mit einemmale die Treppe herauf: "Hcchaha, eine famose
Geschichte, eine brillante Geschichte, haben Sie gehört, Müller, was der Meier
eben sür eine famose Geschichte erzählt hat! Da fällt mir auch eine Geschichte
el", die muß ich Ihnen erzählen." Mittlerweile sind die drei die Treppe
heraufgekommen, pflanzen sich auf dem Korridor auf und lauschen der sehr
lant vorgetragnen Geschichte. Ob sie eine "Pointe" hatte, weiß ich nicht mehr,
aber so viel ist sicher: der Erzähler selbst unterbrach sich oft mit einem Lachen,
das; die Wände wackelten. Zum Schluß fielen die beiden andern in das Ge¬
lächter ein, als ob sich bezahlt bekämen. Endlich denkt einer von den dreien
daran, daß, wenn sie noch die Sonne aufgehn sehen, wollen, es jetzt Zeit
sei, in die "Falle" zu gehn, und sie sagen sich gute Nacht und nehmen Ab¬
schied in einer ausgiebigen Trennuugsszcne. Es mußten jn auch noch lauter
wichtige Dinge besprochen werden. Welchen Rückweg werden wir wählen?
Wo essen wir denn morgen zu Mittag? Wo werden wir denn abends logiren?
Diese Fragen waren im Laufe des Abends gewiß schon aufs ausführlichste
besprochen worden ; was uns da im Schlafe störte, waren also lauter Reflex¬
bewegungen. Aber daS machte die Störung nicht angenehmer.

Ein Blick auf die von einem Streichholz notdürftig erleuchtete Uhr sagt
uns, daß es elf Uhr ist. Obwohl wir wie gerädert sind, duseln wir doch
wieder etwas ein. Aber wieder ist dem müden Wandrer nur kurze Ruh be¬
reitet. "Entern! Entern!" brüllt es plötzlich die Treppe herauf, "Entern mußten
Sie spielen, er war rum, unfehlbar rum, wie kann man da Schellen ziehen!
Das war ja unter allem Nachtwächter gespielt! Sie waren rum, ja ja -- rum
waren Sie, wenn der Neumann nicht noch die Dummheit gemacht hätte!" "Ich
rum?" -- und nun ging eine ausführliche Leichenrede los, bei der immer
einer den andern zu überschreien suchte, offenbar in der Meinung, wer die
stärkste Lunge habe, der habe auch das größte Recht. Doch endlich vergrvllte
auch dieses Gewitter in der Ferne mit Grün und Rot und bekennen, wimmeln,
abwerfen und dergleichen, und es war wieder still. Aber es war auch schon
nach zwölf.

Wenn es nun überhaupt noch etwas werden soll, so dürfen wir weder
an Berg, noch Thal, noch Rost denken, sondern müssen die Angen zumachen.
Aber kaum ist das geschehen, so geht ein neuer Sturm los, und nur werden
abermals in die rauhe Wirklichkeit zurückversetzt. "Na, ich wär mich bieten,
zum Sounenuffgang uffzuftehn -- es war eine vou Bier und Tabak rauhe


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verliert, unfehlbar nach der tiefsten Stelle, hinab ins Thal, auf den Hvlz-
rahnien.

, Was thun? Der Klügste giebt nach. Wir ergeben uns also in unser
Schicksal und bleiben da liegen, wo wir nach dem Gesetz der Schwere zu liegen
haben. Es geht auch so einmal eine Nacht herum. Eine kurze Sommernacht.
Vielleicht erscheint der Wecker bald.

Da brüllt es mit einemmale die Treppe herauf: „Hcchaha, eine famose
Geschichte, eine brillante Geschichte, haben Sie gehört, Müller, was der Meier
eben sür eine famose Geschichte erzählt hat! Da fällt mir auch eine Geschichte
el», die muß ich Ihnen erzählen." Mittlerweile sind die drei die Treppe
heraufgekommen, pflanzen sich auf dem Korridor auf und lauschen der sehr
lant vorgetragnen Geschichte. Ob sie eine „Pointe" hatte, weiß ich nicht mehr,
aber so viel ist sicher: der Erzähler selbst unterbrach sich oft mit einem Lachen,
das; die Wände wackelten. Zum Schluß fielen die beiden andern in das Ge¬
lächter ein, als ob sich bezahlt bekämen. Endlich denkt einer von den dreien
daran, daß, wenn sie noch die Sonne aufgehn sehen, wollen, es jetzt Zeit
sei, in die „Falle" zu gehn, und sie sagen sich gute Nacht und nehmen Ab¬
schied in einer ausgiebigen Trennuugsszcne. Es mußten jn auch noch lauter
wichtige Dinge besprochen werden. Welchen Rückweg werden wir wählen?
Wo essen wir denn morgen zu Mittag? Wo werden wir denn abends logiren?
Diese Fragen waren im Laufe des Abends gewiß schon aufs ausführlichste
besprochen worden ; was uns da im Schlafe störte, waren also lauter Reflex¬
bewegungen. Aber daS machte die Störung nicht angenehmer.

Ein Blick auf die von einem Streichholz notdürftig erleuchtete Uhr sagt
uns, daß es elf Uhr ist. Obwohl wir wie gerädert sind, duseln wir doch
wieder etwas ein. Aber wieder ist dem müden Wandrer nur kurze Ruh be¬
reitet. „Entern! Entern!" brüllt es plötzlich die Treppe herauf, „Entern mußten
Sie spielen, er war rum, unfehlbar rum, wie kann man da Schellen ziehen!
Das war ja unter allem Nachtwächter gespielt! Sie waren rum, ja ja — rum
waren Sie, wenn der Neumann nicht noch die Dummheit gemacht hätte!" „Ich
rum?" — und nun ging eine ausführliche Leichenrede los, bei der immer
einer den andern zu überschreien suchte, offenbar in der Meinung, wer die
stärkste Lunge habe, der habe auch das größte Recht. Doch endlich vergrvllte
auch dieses Gewitter in der Ferne mit Grün und Rot und bekennen, wimmeln,
abwerfen und dergleichen, und es war wieder still. Aber es war auch schon
nach zwölf.

Wenn es nun überhaupt noch etwas werden soll, so dürfen wir weder
an Berg, noch Thal, noch Rost denken, sondern müssen die Angen zumachen.
Aber kaum ist das geschehen, so geht ein neuer Sturm los, und nur werden
abermals in die rauhe Wirklichkeit zurückversetzt. „Na, ich wär mich bieten,
zum Sounenuffgang uffzuftehn — es war eine vou Bier und Tabak rauhe


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[0380] Line Nacht auf den: Brocken verliert, unfehlbar nach der tiefsten Stelle, hinab ins Thal, auf den Hvlz- rahnien. , Was thun? Der Klügste giebt nach. Wir ergeben uns also in unser Schicksal und bleiben da liegen, wo wir nach dem Gesetz der Schwere zu liegen haben. Es geht auch so einmal eine Nacht herum. Eine kurze Sommernacht. Vielleicht erscheint der Wecker bald. Da brüllt es mit einemmale die Treppe herauf: „Hcchaha, eine famose Geschichte, eine brillante Geschichte, haben Sie gehört, Müller, was der Meier eben sür eine famose Geschichte erzählt hat! Da fällt mir auch eine Geschichte el», die muß ich Ihnen erzählen." Mittlerweile sind die drei die Treppe heraufgekommen, pflanzen sich auf dem Korridor auf und lauschen der sehr lant vorgetragnen Geschichte. Ob sie eine „Pointe" hatte, weiß ich nicht mehr, aber so viel ist sicher: der Erzähler selbst unterbrach sich oft mit einem Lachen, das; die Wände wackelten. Zum Schluß fielen die beiden andern in das Ge¬ lächter ein, als ob sich bezahlt bekämen. Endlich denkt einer von den dreien daran, daß, wenn sie noch die Sonne aufgehn sehen, wollen, es jetzt Zeit sei, in die „Falle" zu gehn, und sie sagen sich gute Nacht und nehmen Ab¬ schied in einer ausgiebigen Trennuugsszcne. Es mußten jn auch noch lauter wichtige Dinge besprochen werden. Welchen Rückweg werden wir wählen? Wo essen wir denn morgen zu Mittag? Wo werden wir denn abends logiren? Diese Fragen waren im Laufe des Abends gewiß schon aufs ausführlichste besprochen worden ; was uns da im Schlafe störte, waren also lauter Reflex¬ bewegungen. Aber daS machte die Störung nicht angenehmer. Ein Blick auf die von einem Streichholz notdürftig erleuchtete Uhr sagt uns, daß es elf Uhr ist. Obwohl wir wie gerädert sind, duseln wir doch wieder etwas ein. Aber wieder ist dem müden Wandrer nur kurze Ruh be¬ reitet. „Entern! Entern!" brüllt es plötzlich die Treppe herauf, „Entern mußten Sie spielen, er war rum, unfehlbar rum, wie kann man da Schellen ziehen! Das war ja unter allem Nachtwächter gespielt! Sie waren rum, ja ja — rum waren Sie, wenn der Neumann nicht noch die Dummheit gemacht hätte!" „Ich rum?" — und nun ging eine ausführliche Leichenrede los, bei der immer einer den andern zu überschreien suchte, offenbar in der Meinung, wer die stärkste Lunge habe, der habe auch das größte Recht. Doch endlich vergrvllte auch dieses Gewitter in der Ferne mit Grün und Rot und bekennen, wimmeln, abwerfen und dergleichen, und es war wieder still. Aber es war auch schon nach zwölf. Wenn es nun überhaupt noch etwas werden soll, so dürfen wir weder an Berg, noch Thal, noch Rost denken, sondern müssen die Angen zumachen. Aber kaum ist das geschehen, so geht ein neuer Sturm los, und nur werden abermals in die rauhe Wirklichkeit zurückversetzt. „Na, ich wär mich bieten, zum Sounenuffgang uffzuftehn — es war eine vou Bier und Tabak rauhe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/380>, abgerufen am 23.11.2024.