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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Juden! Da ging mir ein Licht auf über die Judenfrage, und ihre einzig mög¬
liche Lösung. Der christlichgermanische Mann darf eben abends nicht so lange
bei Skat und Bier und Tabak sitzen und muß früher aufstehen. Jene Hanno-
verschen Juden im zoologischen Garten hatten sich den Abend vorher müßig
und nüchtern ihrer Familie gewidmet, erfrischtem sich durch einen Morgen¬
spaziergang und -- hatten dem deutschen Michel schon das Fell über die Ohren
gezogen zu einer Zeit, wo diese noch von der Nachtmütze bedeckt waren, und
er noch mit wüstem Kopf in den Federn lag.

Doch wir sind ja in der Restauration des Brockenhotels, und hier ist
der Raucher in seinem Recht. Darin wollen wir ihn denn auch nicht stören.
Wir begeben uns vielmehr auf Ur. 33, aber uicht ohne es der zuständigen
Stelle ernstlich auf die Seele gebunden zu haben, uns ja rechtzeitig zum,
Sonnenaufgang zu wecken. Eine solche Mahnung ist nicht überflüssig, denn
so etwas verschläft mau leicht. Oder man schläft, um es nicht zu verschlafen,
unruhig und wacht jede halbe Stunde auf. Doch es wurde uns hoch und
heilig versprochen, daß wir beim ersten Strahl der erwachenden Sonne auch
wach sein sollten. Darum legten wir uns hin, um einen ruhigen Schlaf
zu thun.

Wer einmal acht Stunden hinter einander, und noch dazu über Pflastcr-
stoßklippen, gewandert ist, der kennt das angenehme Gefühl, sich behaglich auf
einem wohlbereiteten Lager strecken zu dürfen. Schon der Gedanke ist schön.
Aber es kommt manchmal anders. Was ist denn das für eine sonderbare
Matratze? Hier oben aus den Bergen scheint alles gebirgig zu sein, sogar die
Sprungfedermatratzen. Rechts am Rande hoch, links am Rande wieder hoch,
und in der Mitte gehts tief hinab ins Thal. Mit großem Mißtrauen legen
wir uns ans das dergestalt koupirte Terrain nieder. Und richtig, die Sprung¬
federn sind in der Mitte so zusammengelegen, daß von Sprungfederkraft keine
Rede mehr ist: man kommt einfach auf den harten Holzrahmen zu liegen.
Wenn der noch wenigstens ein Brett, eine Pritsche wäre -- wo ruht der
Mensch nicht, wenn er müde ist! Aber ans einem Rahmen, einem Rost, o hei¬
liger Laurentius, was mußt du gelitten haben! Es ist unerträglich. Also ver¬
suchen wirs, da es in der Thalsohle nicht geht, mit dem Bergesabhang; da
sind die Federn, wie es scheint, noch heil und elastisch. In der That, es geht!
Man muß sich freilich etwas "abstutzen." Aber wer an die 100 000 Meilen
zur See gefahren ist, der hat sich bei Sturm und Wetter in einer Koje so
oft abgestützt, daß ihm das nichts verschlägt. Freilich scheint es ans dem
Brocken doch etwas schwieriger zu sein als auf dem Ozean; denn kaum sind wir
entschlummert, so kollern wir anch schon den Abhang hinunter und finden
uns unten im Thal auf dem Laurentiusrost wieder. Wir versuchen es auf
der andern Seite, mit dem östlichen Abhang -- es ist dieselbe Sache. Der
müde Leib sinkt, sobald der Arm beim Einschlafen seine stützende Kraft


Juden! Da ging mir ein Licht auf über die Judenfrage, und ihre einzig mög¬
liche Lösung. Der christlichgermanische Mann darf eben abends nicht so lange
bei Skat und Bier und Tabak sitzen und muß früher aufstehen. Jene Hanno-
verschen Juden im zoologischen Garten hatten sich den Abend vorher müßig
und nüchtern ihrer Familie gewidmet, erfrischtem sich durch einen Morgen¬
spaziergang und — hatten dem deutschen Michel schon das Fell über die Ohren
gezogen zu einer Zeit, wo diese noch von der Nachtmütze bedeckt waren, und
er noch mit wüstem Kopf in den Federn lag.

Doch wir sind ja in der Restauration des Brockenhotels, und hier ist
der Raucher in seinem Recht. Darin wollen wir ihn denn auch nicht stören.
Wir begeben uns vielmehr auf Ur. 33, aber uicht ohne es der zuständigen
Stelle ernstlich auf die Seele gebunden zu haben, uns ja rechtzeitig zum,
Sonnenaufgang zu wecken. Eine solche Mahnung ist nicht überflüssig, denn
so etwas verschläft mau leicht. Oder man schläft, um es nicht zu verschlafen,
unruhig und wacht jede halbe Stunde auf. Doch es wurde uns hoch und
heilig versprochen, daß wir beim ersten Strahl der erwachenden Sonne auch
wach sein sollten. Darum legten wir uns hin, um einen ruhigen Schlaf
zu thun.

Wer einmal acht Stunden hinter einander, und noch dazu über Pflastcr-
stoßklippen, gewandert ist, der kennt das angenehme Gefühl, sich behaglich auf
einem wohlbereiteten Lager strecken zu dürfen. Schon der Gedanke ist schön.
Aber es kommt manchmal anders. Was ist denn das für eine sonderbare
Matratze? Hier oben aus den Bergen scheint alles gebirgig zu sein, sogar die
Sprungfedermatratzen. Rechts am Rande hoch, links am Rande wieder hoch,
und in der Mitte gehts tief hinab ins Thal. Mit großem Mißtrauen legen
wir uns ans das dergestalt koupirte Terrain nieder. Und richtig, die Sprung¬
federn sind in der Mitte so zusammengelegen, daß von Sprungfederkraft keine
Rede mehr ist: man kommt einfach auf den harten Holzrahmen zu liegen.
Wenn der noch wenigstens ein Brett, eine Pritsche wäre — wo ruht der
Mensch nicht, wenn er müde ist! Aber ans einem Rahmen, einem Rost, o hei¬
liger Laurentius, was mußt du gelitten haben! Es ist unerträglich. Also ver¬
suchen wirs, da es in der Thalsohle nicht geht, mit dem Bergesabhang; da
sind die Federn, wie es scheint, noch heil und elastisch. In der That, es geht!
Man muß sich freilich etwas „abstutzen." Aber wer an die 100 000 Meilen
zur See gefahren ist, der hat sich bei Sturm und Wetter in einer Koje so
oft abgestützt, daß ihm das nichts verschlägt. Freilich scheint es ans dem
Brocken doch etwas schwieriger zu sein als auf dem Ozean; denn kaum sind wir
entschlummert, so kollern wir anch schon den Abhang hinunter und finden
uns unten im Thal auf dem Laurentiusrost wieder. Wir versuchen es auf
der andern Seite, mit dem östlichen Abhang — es ist dieselbe Sache. Der
müde Leib sinkt, sobald der Arm beim Einschlafen seine stützende Kraft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/379>, abgerufen am 24.11.2024.