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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Line Nacht auf dem Brocken

aus allen Himmeln fallen, als ihm das verwiesen und ihm gesagt wird, man
wolle doch den neuen Rathaussaal nicht gleich wieder so eiuräucheru wie den
alten. Wo raucht überhaupt der Deutsche nicht? In der Pferdebahn? Da
ist freilich ein Verbot angeschlagen, aber wer kümmert sich drum? Die
Schaffner gewöhnlich nicht, und wenn sich der Mitfahrende selbst helfen soll,
dann giebt es Rede und Gegenrede und Verdruß und höchstens ein Ausgehen
der Cigarre, und das ist noch schlimmer, als wenn sie brennt. In der Eisen¬
bahn? Da ist es genau so. Kommt der Schaffner, so wird die Cigarre ver¬
steckt, und den übrigen Reisenden gegenüber läßt mans drauf ankommen.
Sagt einer was, dann erhält er die Antwort: "Darnach fragen wir nix!"
Auf den Postanstalten? Ich kenne den Schalterraum eines großen, schönen,
neuen Postamtes, wo eine große Inschrift angebracht ist: "Rauchen verboten."
Die Inschrift aber ist ganz brann angeraucht! Auf den Bahnhöfen? Ich
kenne einen Bahnhof, da sitzen Sonntags nachmittags die "Honoratioren" der
ganzen Umgegend Stunden lang im Wartesaal zweiter Klasse und trinken ein
Glas Bier nach dem andern und brennen sich eine Cigarre nach der andern an
und fragen nicht das geringste nach den Frauen, die in Ermanglung eines
besondern Zimmers auf denselben Raum angewiesen sind, wenn sie es nicht
etwa vorziehen, auf dein "Bahnsteig" spazieren zu gehen und sich naß regnen
zu lassen, denn ein Dach hat der Bahnhof nicht. Na, überhaupt!

Doch um auf den Brocken zurückzukommen: wir gedachten bei Zeiten anf
die Stange zu fliege", weil wir am andern Morgen den Sonnenaufgang sehen
wollten. Da man jedoch etwas von Münchner Löwenbräu munkeln hörte, so
konnte man ja den müden Leib auch uoch auf ein Stündchen nebenan in die
Restauration tragen. Aber ach, da kamen wir aus dem Regen in die Traufe.
Welch ein Vierduust, und welch ein Tabaksqualm! Es war höllenmäßig.
Wers nicht gesehn hat, der kanns nicht glauben. Wie vermögen nur in solcher
Luft Menschen zu atmen? Sollte da nicht das Reichsgesundheitsamt --?
Aber sie atmen ja und leben, wenn mans leben nennen kann, die Männer
Dentschlands und solche, die es werden wollen, unsre Hoffnung, unsre Zukunft.
Und sie thun es viele, viele kostbare Stunden lang, denn wenn der deutsche
Mann oder Jüngling erst einmal an seinen Skat gekommen ist, dann sitzt und
und trinkt und raucht und drischt er bis in die aschgraue Pechhütte, und am
andern Morgen wundert er sich, daß er keinen klaren Kopf und keine Lust für
seinen Dienst, sein Amt oder sein Geschäft hat. Vor einigen Jahren war ich
einmal in Hannover. Nach meiner Gewohnheit stand ich früh auf und wan¬
derte in dem frischen Sommermorgen durch die Eilenriede. Mutterseelen¬
allein! Um sechs Uhr kam ich an den zoologischen Garten. Auch hier war
ich bei der Eröffnung die einzige fühlende Brust. Für mich allein erwachte
der Löwe, für mich allem machte der Bär seine Morgentoilette. Allmählich
kamen einige Menschen hinzu. Aber was warens für welche? Juden, lauter


Line Nacht auf dem Brocken

aus allen Himmeln fallen, als ihm das verwiesen und ihm gesagt wird, man
wolle doch den neuen Rathaussaal nicht gleich wieder so eiuräucheru wie den
alten. Wo raucht überhaupt der Deutsche nicht? In der Pferdebahn? Da
ist freilich ein Verbot angeschlagen, aber wer kümmert sich drum? Die
Schaffner gewöhnlich nicht, und wenn sich der Mitfahrende selbst helfen soll,
dann giebt es Rede und Gegenrede und Verdruß und höchstens ein Ausgehen
der Cigarre, und das ist noch schlimmer, als wenn sie brennt. In der Eisen¬
bahn? Da ist es genau so. Kommt der Schaffner, so wird die Cigarre ver¬
steckt, und den übrigen Reisenden gegenüber läßt mans drauf ankommen.
Sagt einer was, dann erhält er die Antwort: „Darnach fragen wir nix!"
Auf den Postanstalten? Ich kenne den Schalterraum eines großen, schönen,
neuen Postamtes, wo eine große Inschrift angebracht ist: „Rauchen verboten."
Die Inschrift aber ist ganz brann angeraucht! Auf den Bahnhöfen? Ich
kenne einen Bahnhof, da sitzen Sonntags nachmittags die „Honoratioren" der
ganzen Umgegend Stunden lang im Wartesaal zweiter Klasse und trinken ein
Glas Bier nach dem andern und brennen sich eine Cigarre nach der andern an
und fragen nicht das geringste nach den Frauen, die in Ermanglung eines
besondern Zimmers auf denselben Raum angewiesen sind, wenn sie es nicht
etwa vorziehen, auf dein „Bahnsteig" spazieren zu gehen und sich naß regnen
zu lassen, denn ein Dach hat der Bahnhof nicht. Na, überhaupt!

Doch um auf den Brocken zurückzukommen: wir gedachten bei Zeiten anf
die Stange zu fliege», weil wir am andern Morgen den Sonnenaufgang sehen
wollten. Da man jedoch etwas von Münchner Löwenbräu munkeln hörte, so
konnte man ja den müden Leib auch uoch auf ein Stündchen nebenan in die
Restauration tragen. Aber ach, da kamen wir aus dem Regen in die Traufe.
Welch ein Vierduust, und welch ein Tabaksqualm! Es war höllenmäßig.
Wers nicht gesehn hat, der kanns nicht glauben. Wie vermögen nur in solcher
Luft Menschen zu atmen? Sollte da nicht das Reichsgesundheitsamt —?
Aber sie atmen ja und leben, wenn mans leben nennen kann, die Männer
Dentschlands und solche, die es werden wollen, unsre Hoffnung, unsre Zukunft.
Und sie thun es viele, viele kostbare Stunden lang, denn wenn der deutsche
Mann oder Jüngling erst einmal an seinen Skat gekommen ist, dann sitzt und
und trinkt und raucht und drischt er bis in die aschgraue Pechhütte, und am
andern Morgen wundert er sich, daß er keinen klaren Kopf und keine Lust für
seinen Dienst, sein Amt oder sein Geschäft hat. Vor einigen Jahren war ich
einmal in Hannover. Nach meiner Gewohnheit stand ich früh auf und wan¬
derte in dem frischen Sommermorgen durch die Eilenriede. Mutterseelen¬
allein! Um sechs Uhr kam ich an den zoologischen Garten. Auch hier war
ich bei der Eröffnung die einzige fühlende Brust. Für mich allein erwachte
der Löwe, für mich allem machte der Bär seine Morgentoilette. Allmählich
kamen einige Menschen hinzu. Aber was warens für welche? Juden, lauter


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[0378] Line Nacht auf dem Brocken aus allen Himmeln fallen, als ihm das verwiesen und ihm gesagt wird, man wolle doch den neuen Rathaussaal nicht gleich wieder so eiuräucheru wie den alten. Wo raucht überhaupt der Deutsche nicht? In der Pferdebahn? Da ist freilich ein Verbot angeschlagen, aber wer kümmert sich drum? Die Schaffner gewöhnlich nicht, und wenn sich der Mitfahrende selbst helfen soll, dann giebt es Rede und Gegenrede und Verdruß und höchstens ein Ausgehen der Cigarre, und das ist noch schlimmer, als wenn sie brennt. In der Eisen¬ bahn? Da ist es genau so. Kommt der Schaffner, so wird die Cigarre ver¬ steckt, und den übrigen Reisenden gegenüber läßt mans drauf ankommen. Sagt einer was, dann erhält er die Antwort: „Darnach fragen wir nix!" Auf den Postanstalten? Ich kenne den Schalterraum eines großen, schönen, neuen Postamtes, wo eine große Inschrift angebracht ist: „Rauchen verboten." Die Inschrift aber ist ganz brann angeraucht! Auf den Bahnhöfen? Ich kenne einen Bahnhof, da sitzen Sonntags nachmittags die „Honoratioren" der ganzen Umgegend Stunden lang im Wartesaal zweiter Klasse und trinken ein Glas Bier nach dem andern und brennen sich eine Cigarre nach der andern an und fragen nicht das geringste nach den Frauen, die in Ermanglung eines besondern Zimmers auf denselben Raum angewiesen sind, wenn sie es nicht etwa vorziehen, auf dein „Bahnsteig" spazieren zu gehen und sich naß regnen zu lassen, denn ein Dach hat der Bahnhof nicht. Na, überhaupt! Doch um auf den Brocken zurückzukommen: wir gedachten bei Zeiten anf die Stange zu fliege», weil wir am andern Morgen den Sonnenaufgang sehen wollten. Da man jedoch etwas von Münchner Löwenbräu munkeln hörte, so konnte man ja den müden Leib auch uoch auf ein Stündchen nebenan in die Restauration tragen. Aber ach, da kamen wir aus dem Regen in die Traufe. Welch ein Vierduust, und welch ein Tabaksqualm! Es war höllenmäßig. Wers nicht gesehn hat, der kanns nicht glauben. Wie vermögen nur in solcher Luft Menschen zu atmen? Sollte da nicht das Reichsgesundheitsamt —? Aber sie atmen ja und leben, wenn mans leben nennen kann, die Männer Dentschlands und solche, die es werden wollen, unsre Hoffnung, unsre Zukunft. Und sie thun es viele, viele kostbare Stunden lang, denn wenn der deutsche Mann oder Jüngling erst einmal an seinen Skat gekommen ist, dann sitzt und und trinkt und raucht und drischt er bis in die aschgraue Pechhütte, und am andern Morgen wundert er sich, daß er keinen klaren Kopf und keine Lust für seinen Dienst, sein Amt oder sein Geschäft hat. Vor einigen Jahren war ich einmal in Hannover. Nach meiner Gewohnheit stand ich früh auf und wan¬ derte in dem frischen Sommermorgen durch die Eilenriede. Mutterseelen¬ allein! Um sechs Uhr kam ich an den zoologischen Garten. Auch hier war ich bei der Eröffnung die einzige fühlende Brust. Für mich allein erwachte der Löwe, für mich allem machte der Bär seine Morgentoilette. Allmählich kamen einige Menschen hinzu. Aber was warens für welche? Juden, lauter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/378>, abgerufen am 28.07.2024.