Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Line Nacht auf dein Brocken ganz erloschnen, stark nach Schwefel riechenden Krater Schutz suchen mußten. Und nun -- ja, nun kommt der Brocken! Es war im Jahre 18 . . Die Das Abendessen und der Niersteiner waren gut. Die Herren Mitesser Grenzboten 111 1893 47
Line Nacht auf dein Brocken ganz erloschnen, stark nach Schwefel riechenden Krater Schutz suchen mußten. Und nun — ja, nun kommt der Brocken! Es war im Jahre 18 . . Die Das Abendessen und der Niersteiner waren gut. Die Herren Mitesser Grenzboten 111 1893 47
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215467"/> <fw type="header" place="top"> Line Nacht auf dein Brocken</fw><lb/> <p xml:id="ID_1384" prev="#ID_1383"> ganz erloschnen, stark nach Schwefel riechenden Krater Schutz suchen mußten.<lb/> Auf einmal rief ein Führer: lÄ sol! Ich hinter meinem Felsenversteck heraus,<lb/> und — ja, wenn ich hundert Jahre alt würde, nimmer würde ich das Bild<lb/> vergessen! Im weiten Bogen zu unsern Füßen ein Wolkenmeer. Plötzlich ein<lb/> Windstoß, der die Wogen teilte. Da sah man nun tief hinab auf das wirk¬<lb/> liche Meer, das sich aber uns gegenüber scheinbar wieder hoch erhob, sodnß<lb/> uns die Kinn näher zu sein schien als die Küste. Und aus diesem wunder¬<lb/> baren Gewoge stieg auf einmal in strahlender Schöne das große Tagesgestirn.<lb/> Laß mich schweigen, Leser, wo Worte doch nur kindisches Lallen sind!</p><lb/> <p xml:id="ID_1385"> Und nun — ja, nun kommt der Brocken! Es war im Jahre 18 . . Die<lb/> Schatten eines langen Junitages wurden länger und länger. Wir waren mit¬<lb/> tags von Harzburg aufgebrochen, hatten beim Canossadenkmal sehr gemischte<lb/> Gefühle gehabt und kletterten nun über die Pflasterstvßklippen. Ein angenehmer<lb/> Name! Aber was thut das dem Wanderer mit dem Sträußchen am Hute,<lb/> dem Stab in der Hand, dem Reisesack auf dem Rucken und dem abgetropften<lb/> Hemdcnkrageu? Verlöre nur nicht die bessere Hälfte bald den über den Arm<lb/> gehängten Hut, bald die über den Arm gehängte Jacke! Da muß natürlich der<lb/> galante Mann wie ein munteres Hündlein einen hübschen Teil des Weges<lb/> doppelt machen. Wie tugendhaft! Freilich das Taschentuch, das beim Aus¬<lb/> ruhen auf das Moos eines Felsens ausgebreitet und dann vergessen worden<lb/> war, das lassen wir bei aller Tugendhaftigkeit ruhig liegen, als wir nach einer<lb/> halben Stunde den Berlnst merken. Es wurde so wie so immer später, die<lb/> Schatten wurden immer länger und die Beine immer müder. Ja, rechtschaffen<lb/> milde waren wir, als wir endlich am Abend gegen nenn Uhr unsre Füße über<lb/> die gastliche Schwelle des Brockenhvtels setzten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1386" next="#ID_1387"> Das Abendessen und der Niersteiner waren gut. Die Herren Mitesser<lb/> konnten natürlich mit ihrem Tabak nicht warten, bis alle mit Essen fertig<lb/> waren. Diese ewige Nancherei! Wann wird man sich in Deutschland einmal<lb/> unbehelligt von Tabaksqualm seiner Ernährung widmen können? Ich war<lb/> damals selbst noch Raucher. Aber schon damals war mir das aufdringliche,<lb/> rücksichtslose Gepaff an der Wirtstafel und in Gegenwart von Frauen ein<lb/> Greuel. Ich hatte es schon auf der Zunge, zu sagen: Meine Herren, unser<lb/> Essen genirt Sie doch hoffentlich nicht beim Rauchen? Aber wer zu fo un¬<lb/> passender Zeit und an so unpassendem Orte raucht, der benimmt sich auch<lb/> sonst unpassend und setzt auch noch andre Rücksichten außer Acht, die gebildete<lb/> Menschen auf einander nehmen: er wird grob. Da heißt es denn, sich mit<lb/> schweigender Verachtung wappnen. Leider werden die Raucher in Deutschland<lb/> immer rücksichtsloser. Ich kenne eine Stadt, da hielten neulich Magistrat und<lb/> Bürgervvrsteher eine gemeinschaftliche Sitzung ab, zum erstenmale in dem neuen,<lb/> fürstlichen, allerdings auf Pump gebauten Rathause. Siehe, da holt sich ein<lb/> Vater der Stadt ganz gemütlich eine Cigarre heraus, steckt sie an und will</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 111 1893 47</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0377]
Line Nacht auf dein Brocken
ganz erloschnen, stark nach Schwefel riechenden Krater Schutz suchen mußten.
Auf einmal rief ein Führer: lÄ sol! Ich hinter meinem Felsenversteck heraus,
und — ja, wenn ich hundert Jahre alt würde, nimmer würde ich das Bild
vergessen! Im weiten Bogen zu unsern Füßen ein Wolkenmeer. Plötzlich ein
Windstoß, der die Wogen teilte. Da sah man nun tief hinab auf das wirk¬
liche Meer, das sich aber uns gegenüber scheinbar wieder hoch erhob, sodnß
uns die Kinn näher zu sein schien als die Küste. Und aus diesem wunder¬
baren Gewoge stieg auf einmal in strahlender Schöne das große Tagesgestirn.
Laß mich schweigen, Leser, wo Worte doch nur kindisches Lallen sind!
Und nun — ja, nun kommt der Brocken! Es war im Jahre 18 . . Die
Schatten eines langen Junitages wurden länger und länger. Wir waren mit¬
tags von Harzburg aufgebrochen, hatten beim Canossadenkmal sehr gemischte
Gefühle gehabt und kletterten nun über die Pflasterstvßklippen. Ein angenehmer
Name! Aber was thut das dem Wanderer mit dem Sträußchen am Hute,
dem Stab in der Hand, dem Reisesack auf dem Rucken und dem abgetropften
Hemdcnkrageu? Verlöre nur nicht die bessere Hälfte bald den über den Arm
gehängten Hut, bald die über den Arm gehängte Jacke! Da muß natürlich der
galante Mann wie ein munteres Hündlein einen hübschen Teil des Weges
doppelt machen. Wie tugendhaft! Freilich das Taschentuch, das beim Aus¬
ruhen auf das Moos eines Felsens ausgebreitet und dann vergessen worden
war, das lassen wir bei aller Tugendhaftigkeit ruhig liegen, als wir nach einer
halben Stunde den Berlnst merken. Es wurde so wie so immer später, die
Schatten wurden immer länger und die Beine immer müder. Ja, rechtschaffen
milde waren wir, als wir endlich am Abend gegen nenn Uhr unsre Füße über
die gastliche Schwelle des Brockenhvtels setzten.
Das Abendessen und der Niersteiner waren gut. Die Herren Mitesser
konnten natürlich mit ihrem Tabak nicht warten, bis alle mit Essen fertig
waren. Diese ewige Nancherei! Wann wird man sich in Deutschland einmal
unbehelligt von Tabaksqualm seiner Ernährung widmen können? Ich war
damals selbst noch Raucher. Aber schon damals war mir das aufdringliche,
rücksichtslose Gepaff an der Wirtstafel und in Gegenwart von Frauen ein
Greuel. Ich hatte es schon auf der Zunge, zu sagen: Meine Herren, unser
Essen genirt Sie doch hoffentlich nicht beim Rauchen? Aber wer zu fo un¬
passender Zeit und an so unpassendem Orte raucht, der benimmt sich auch
sonst unpassend und setzt auch noch andre Rücksichten außer Acht, die gebildete
Menschen auf einander nehmen: er wird grob. Da heißt es denn, sich mit
schweigender Verachtung wappnen. Leider werden die Raucher in Deutschland
immer rücksichtsloser. Ich kenne eine Stadt, da hielten neulich Magistrat und
Bürgervvrsteher eine gemeinschaftliche Sitzung ab, zum erstenmale in dem neuen,
fürstlichen, allerdings auf Pump gebauten Rathause. Siehe, da holt sich ein
Vater der Stadt ganz gemütlich eine Cigarre heraus, steckt sie an und will
Grenzboten 111 1893 47
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