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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Charles Aingsley als Dichter und Sozialreformer

In Whitford hat Lmicelot den Waldhüter Paul Tregarva gefunden, einen
strengen Methodisten und eifrigen Verfechter des Evangeliums. Beide schließen
Freundschaft und täuschen ihre Kenntnisse und Anschauungen aus; denn, meinen
sie, weder die Wissenschaft noch das Evangelium kann getrennt die Welt ver¬
bessern, das kann nur geschehe,,, wenn Wissenschaft und Evangelinm vereinigt
zusammenarbeite".

Die schweren Schicksalsschläge, vor allem Agremones Tod, haben Lan-
celot geläutert, ihm deu Blick für das Elend des Volks geöffnet und ihm
wieder den Weg zu Gott gewiesen. Bon der Fuchsjagd, dem rohesten Sport,
durch eine reine, keusche, unglückliche Liebe zu dem festen Glauben um Gott
und seine Offenbarungen -- das ist der Weg, den uns Kiugsleh in seinem
Romane führt. Die Dichtung ist reich an Lebeuswahrheiteu und sonstigen
feinen Bemerkungen. Vortrefflich sind die volkswirtschaftlichen Gedanken über
den ererbten Reichtum, das Elend der Armen, die GesuudheitsrefvrM, die
Eigcutumspflichten der Besitzer, den Wert der Autoritäten, die verfehlte Art
der Armenunterstützung und die Seelsorge der Geistlichen. "El, Herr, sagt
der Waldhüter zu Lancelot, die Pastoren wollen recht gern für die Seelen
sorgen, doch soll es nur immer mich Regel und Ordnung geschehen. Ehe das
Evangelium gepredigt werden kann, müssen dreitausend Pfund für eine Kirche
beisammen sein und tausend, für deren Ausstattung, ohne die tausend Pfund,
die schon die Ausbildung des Geistlichen kostet. seinen Unterhalt rechne ich
gnr nicht, Herr, der ist meistens schmal genug, und die arbeite", werden, wie
mir scheint, am wenigsten bezahlt. Nach all den Ausgaben nun, wenn die
Kirche gebaut ist, da gehen die Kaufleute hinein und der Adel und die alten
Leute, aber die Arbeiter kommen ihr nicht zu nahe vou einem Jahresende bis
zum andern." Es steckt in I'vast ein gutes Teil von Kingslehs inneren Leben,
viele Züge seines eignen Wesens hat er seinem Helden Lancelot beigelegt,
und wir sind wohl zu der Annahme berechtigt, daß der Dichter die mystische
Pforte der Kathedrale am Schluß des Romans nur als ein Sinnbild für den
geistlichen Beruf, der für Lancelot der wahre Beruf ist, aufgefaßt hat. Ouum
vxöunt in inMorwm, mit diesem Ausspruch sucht sich KingSleh in seinem
Epilog wegen des rätselhaften Schlusses zu rechtfertigen.

Aber trotz diefes Epilogs läßt uns der Roman unbefriedigt. Es sind
zu viel Fragen und Zweifel angeregt worden, als daß man sich mit einem
lateinischen Zitat begnügen könnte. Es treten zu viel Personen auf, deren
Schicksal man ganz kennen lernen möchte, die der Dichter aber dann einfach
verschwinden läßt, so z. B. der zum Katholizismus übertretende Vetter Lukas,
der wunderliche Fremde Barnakill, der gutgezeichnete, weltliche Pfarrer
O'Blarenway und das liebenswürdige Künstlcrehepaar Claude Mellot und
Sabina. Kingsleh hat diese Mängel wohl empfunden. Wie aus seineu
Briefen und Gedenkblättern hervorgeht, beabsichtigte er den Roman fortzu-


Charles Aingsley als Dichter und Sozialreformer

In Whitford hat Lmicelot den Waldhüter Paul Tregarva gefunden, einen
strengen Methodisten und eifrigen Verfechter des Evangeliums. Beide schließen
Freundschaft und täuschen ihre Kenntnisse und Anschauungen aus; denn, meinen
sie, weder die Wissenschaft noch das Evangelium kann getrennt die Welt ver¬
bessern, das kann nur geschehe,,, wenn Wissenschaft und Evangelinm vereinigt
zusammenarbeite«.

Die schweren Schicksalsschläge, vor allem Agremones Tod, haben Lan-
celot geläutert, ihm deu Blick für das Elend des Volks geöffnet und ihm
wieder den Weg zu Gott gewiesen. Bon der Fuchsjagd, dem rohesten Sport,
durch eine reine, keusche, unglückliche Liebe zu dem festen Glauben um Gott
und seine Offenbarungen — das ist der Weg, den uns Kiugsleh in seinem
Romane führt. Die Dichtung ist reich an Lebeuswahrheiteu und sonstigen
feinen Bemerkungen. Vortrefflich sind die volkswirtschaftlichen Gedanken über
den ererbten Reichtum, das Elend der Armen, die GesuudheitsrefvrM, die
Eigcutumspflichten der Besitzer, den Wert der Autoritäten, die verfehlte Art
der Armenunterstützung und die Seelsorge der Geistlichen. „El, Herr, sagt
der Waldhüter zu Lancelot, die Pastoren wollen recht gern für die Seelen
sorgen, doch soll es nur immer mich Regel und Ordnung geschehen. Ehe das
Evangelium gepredigt werden kann, müssen dreitausend Pfund für eine Kirche
beisammen sein und tausend, für deren Ausstattung, ohne die tausend Pfund,
die schon die Ausbildung des Geistlichen kostet. seinen Unterhalt rechne ich
gnr nicht, Herr, der ist meistens schmal genug, und die arbeite», werden, wie
mir scheint, am wenigsten bezahlt. Nach all den Ausgaben nun, wenn die
Kirche gebaut ist, da gehen die Kaufleute hinein und der Adel und die alten
Leute, aber die Arbeiter kommen ihr nicht zu nahe vou einem Jahresende bis
zum andern." Es steckt in I'vast ein gutes Teil von Kingslehs inneren Leben,
viele Züge seines eignen Wesens hat er seinem Helden Lancelot beigelegt,
und wir sind wohl zu der Annahme berechtigt, daß der Dichter die mystische
Pforte der Kathedrale am Schluß des Romans nur als ein Sinnbild für den
geistlichen Beruf, der für Lancelot der wahre Beruf ist, aufgefaßt hat. Ouum
vxöunt in inMorwm, mit diesem Ausspruch sucht sich KingSleh in seinem
Epilog wegen des rätselhaften Schlusses zu rechtfertigen.

Aber trotz diefes Epilogs läßt uns der Roman unbefriedigt. Es sind
zu viel Fragen und Zweifel angeregt worden, als daß man sich mit einem
lateinischen Zitat begnügen könnte. Es treten zu viel Personen auf, deren
Schicksal man ganz kennen lernen möchte, die der Dichter aber dann einfach
verschwinden läßt, so z. B. der zum Katholizismus übertretende Vetter Lukas,
der wunderliche Fremde Barnakill, der gutgezeichnete, weltliche Pfarrer
O'Blarenway und das liebenswürdige Künstlcrehepaar Claude Mellot und
Sabina. Kingsleh hat diese Mängel wohl empfunden. Wie aus seineu
Briefen und Gedenkblättern hervorgeht, beabsichtigte er den Roman fortzu-


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[0367] Charles Aingsley als Dichter und Sozialreformer In Whitford hat Lmicelot den Waldhüter Paul Tregarva gefunden, einen strengen Methodisten und eifrigen Verfechter des Evangeliums. Beide schließen Freundschaft und täuschen ihre Kenntnisse und Anschauungen aus; denn, meinen sie, weder die Wissenschaft noch das Evangelium kann getrennt die Welt ver¬ bessern, das kann nur geschehe,,, wenn Wissenschaft und Evangelinm vereinigt zusammenarbeite«. Die schweren Schicksalsschläge, vor allem Agremones Tod, haben Lan- celot geläutert, ihm deu Blick für das Elend des Volks geöffnet und ihm wieder den Weg zu Gott gewiesen. Bon der Fuchsjagd, dem rohesten Sport, durch eine reine, keusche, unglückliche Liebe zu dem festen Glauben um Gott und seine Offenbarungen — das ist der Weg, den uns Kiugsleh in seinem Romane führt. Die Dichtung ist reich an Lebeuswahrheiteu und sonstigen feinen Bemerkungen. Vortrefflich sind die volkswirtschaftlichen Gedanken über den ererbten Reichtum, das Elend der Armen, die GesuudheitsrefvrM, die Eigcutumspflichten der Besitzer, den Wert der Autoritäten, die verfehlte Art der Armenunterstützung und die Seelsorge der Geistlichen. „El, Herr, sagt der Waldhüter zu Lancelot, die Pastoren wollen recht gern für die Seelen sorgen, doch soll es nur immer mich Regel und Ordnung geschehen. Ehe das Evangelium gepredigt werden kann, müssen dreitausend Pfund für eine Kirche beisammen sein und tausend, für deren Ausstattung, ohne die tausend Pfund, die schon die Ausbildung des Geistlichen kostet. seinen Unterhalt rechne ich gnr nicht, Herr, der ist meistens schmal genug, und die arbeite», werden, wie mir scheint, am wenigsten bezahlt. Nach all den Ausgaben nun, wenn die Kirche gebaut ist, da gehen die Kaufleute hinein und der Adel und die alten Leute, aber die Arbeiter kommen ihr nicht zu nahe vou einem Jahresende bis zum andern." Es steckt in I'vast ein gutes Teil von Kingslehs inneren Leben, viele Züge seines eignen Wesens hat er seinem Helden Lancelot beigelegt, und wir sind wohl zu der Annahme berechtigt, daß der Dichter die mystische Pforte der Kathedrale am Schluß des Romans nur als ein Sinnbild für den geistlichen Beruf, der für Lancelot der wahre Beruf ist, aufgefaßt hat. Ouum vxöunt in inMorwm, mit diesem Ausspruch sucht sich KingSleh in seinem Epilog wegen des rätselhaften Schlusses zu rechtfertigen. Aber trotz diefes Epilogs läßt uns der Roman unbefriedigt. Es sind zu viel Fragen und Zweifel angeregt worden, als daß man sich mit einem lateinischen Zitat begnügen könnte. Es treten zu viel Personen auf, deren Schicksal man ganz kennen lernen möchte, die der Dichter aber dann einfach verschwinden läßt, so z. B. der zum Katholizismus übertretende Vetter Lukas, der wunderliche Fremde Barnakill, der gutgezeichnete, weltliche Pfarrer O'Blarenway und das liebenswürdige Künstlcrehepaar Claude Mellot und Sabina. Kingsleh hat diese Mängel wohl empfunden. Wie aus seineu Briefen und Gedenkblättern hervorgeht, beabsichtigte er den Roman fortzu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/367>, abgerufen am 28.07.2024.