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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die ätherische volksmoral im Drama

Annehmen; dies ist schlimmer noch als jenes Leid.

Dann ist das grüßte Wagnis, ob er bieder ist,

-Ob böse; denn unrühmlich ists dem Weibe, sich

Vom Gatten scheiden, und sie darf ihn nicht verschmähn.

Und freit in neue Sitten und Gesetze sie,

Muß eine, weis! sich nicht von Hans, Prophetin sein,

Zu wissen, welchem Lose sie entgegengeht.

Doch wenn wir dieses glücklich uns vollendeten,

Der uns Berbnndne froh mit uns am Joche trägt,

Ist unser Los zu meiden; kommt es anders -- lieber Tod!

Auch kann der Gatte, wenn daheim ihn. Ärger quält,

Auswärts des Herzens Überdruß beschwichtigen,

Bei Freunden oder einem, der mit ihm erwuchs.

Aus ist in eine Seele nur der Blick vergönnt.

Sie sagen wohl, wir lebten sicher vor Gefahr

Zu Hause, während sie bostehn der Speere Kampf,

Die Thoren! Lieber wollt' ich ja dreimal ins Graun

Der Schlacht mich werfen, als gebären einmal nur!


Eins fällt dem modernen Leser auf: daß unglückliche Liebe in der griechischen
Tragödie keine Rolle spielt. Die Erklärung dafür scheint mir einfach zu sein.
Lange Brautwerbungen mit Hindernissen, aus denen ein tragischer Konflikt
entstehen könnte, kommen in so einfachen Verhültniffen, wie sie damals
herrschten, nur selten vor. Ereignete sich etwas dergleichen, so konnte die
Sache auch tragisch enden, wie der junge zärtliche Humor beweist, der sich
an der Leiche seiner geliebten Antigone entleibt; und in solchen Fällen wird
dann Eros auch als ein schrecklicher und erbarmungsloser Gott mit Furcht
und Zittern gefeiert. Aber verliebtes Getose gehörte nicht in die Tragödie,
in der nur ernste und große Gegenstände berechtigt waren. Die geschlechtliche
Liebe gehörte als das anmutigste, heiterste und beglückendste im Leben nicht
in die Tragödie, sondern in die Idylle, in die Elegie, in die Komödie. Das;
es im modernen Drama einen so breiten Raum einnimmt und im Roman, in
der Novelle zum alles beherrschenden Mittelpunkte geworden ist, kann nicht
als ein Zeichen von Gesundheit angesehen werden. Es ist doch eben nicht
Wahr, daß im wirklichen Leben die Geschlechtsliebe die einzige und alles be¬
herrschende Hauptsache wäre. Mehr Gelegenheit zur Behandlung dieses Gegen¬
standes geben allerdings die durch unsre verwickelten Verhältnisse und sozialen
Schwierigkeiten erzeugten Hindernisse der Berehelichung, aber gerade die
Rvmanleserci, die die Köpfe mit überspannten Ideen und die Gemüter mit
eingebildeten Empfindungen erfüllt, vermehrt die Anlässe zu tragischen Kon¬
flikten noch um ein bedeutendes.

Eine Ausnahmestellung nahmen die Spartanerfrauen ein. Nur näherte
sich ihre Lebensweise nicht dem orientalischen Haremsdasein, sondern im Gegen¬
teil Bebels Ideal. In der Lysistrate rühmt die Spartanerin Lcnnpito mit


Grenzboten III 1893 45
Die ätherische volksmoral im Drama

Annehmen; dies ist schlimmer noch als jenes Leid.

Dann ist das grüßte Wagnis, ob er bieder ist,

-Ob böse; denn unrühmlich ists dem Weibe, sich

Vom Gatten scheiden, und sie darf ihn nicht verschmähn.

Und freit in neue Sitten und Gesetze sie,

Muß eine, weis! sich nicht von Hans, Prophetin sein,

Zu wissen, welchem Lose sie entgegengeht.

Doch wenn wir dieses glücklich uns vollendeten,

Der uns Berbnndne froh mit uns am Joche trägt,

Ist unser Los zu meiden; kommt es anders — lieber Tod!

Auch kann der Gatte, wenn daheim ihn. Ärger quält,

Auswärts des Herzens Überdruß beschwichtigen,

Bei Freunden oder einem, der mit ihm erwuchs.

Aus ist in eine Seele nur der Blick vergönnt.

Sie sagen wohl, wir lebten sicher vor Gefahr

Zu Hause, während sie bostehn der Speere Kampf,

Die Thoren! Lieber wollt' ich ja dreimal ins Graun

Der Schlacht mich werfen, als gebären einmal nur!


Eins fällt dem modernen Leser auf: daß unglückliche Liebe in der griechischen
Tragödie keine Rolle spielt. Die Erklärung dafür scheint mir einfach zu sein.
Lange Brautwerbungen mit Hindernissen, aus denen ein tragischer Konflikt
entstehen könnte, kommen in so einfachen Verhültniffen, wie sie damals
herrschten, nur selten vor. Ereignete sich etwas dergleichen, so konnte die
Sache auch tragisch enden, wie der junge zärtliche Humor beweist, der sich
an der Leiche seiner geliebten Antigone entleibt; und in solchen Fällen wird
dann Eros auch als ein schrecklicher und erbarmungsloser Gott mit Furcht
und Zittern gefeiert. Aber verliebtes Getose gehörte nicht in die Tragödie,
in der nur ernste und große Gegenstände berechtigt waren. Die geschlechtliche
Liebe gehörte als das anmutigste, heiterste und beglückendste im Leben nicht
in die Tragödie, sondern in die Idylle, in die Elegie, in die Komödie. Das;
es im modernen Drama einen so breiten Raum einnimmt und im Roman, in
der Novelle zum alles beherrschenden Mittelpunkte geworden ist, kann nicht
als ein Zeichen von Gesundheit angesehen werden. Es ist doch eben nicht
Wahr, daß im wirklichen Leben die Geschlechtsliebe die einzige und alles be¬
herrschende Hauptsache wäre. Mehr Gelegenheit zur Behandlung dieses Gegen¬
standes geben allerdings die durch unsre verwickelten Verhältnisse und sozialen
Schwierigkeiten erzeugten Hindernisse der Berehelichung, aber gerade die
Rvmanleserci, die die Köpfe mit überspannten Ideen und die Gemüter mit
eingebildeten Empfindungen erfüllt, vermehrt die Anlässe zu tragischen Kon¬
flikten noch um ein bedeutendes.

Eine Ausnahmestellung nahmen die Spartanerfrauen ein. Nur näherte
sich ihre Lebensweise nicht dem orientalischen Haremsdasein, sondern im Gegen¬
teil Bebels Ideal. In der Lysistrate rühmt die Spartanerin Lcnnpito mit


Grenzboten III 1893 45
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[0361] Die ätherische volksmoral im Drama Annehmen; dies ist schlimmer noch als jenes Leid. Dann ist das grüßte Wagnis, ob er bieder ist, -Ob böse; denn unrühmlich ists dem Weibe, sich Vom Gatten scheiden, und sie darf ihn nicht verschmähn. Und freit in neue Sitten und Gesetze sie, Muß eine, weis! sich nicht von Hans, Prophetin sein, Zu wissen, welchem Lose sie entgegengeht. Doch wenn wir dieses glücklich uns vollendeten, Der uns Berbnndne froh mit uns am Joche trägt, Ist unser Los zu meiden; kommt es anders — lieber Tod! Auch kann der Gatte, wenn daheim ihn. Ärger quält, Auswärts des Herzens Überdruß beschwichtigen, Bei Freunden oder einem, der mit ihm erwuchs. Aus ist in eine Seele nur der Blick vergönnt. Sie sagen wohl, wir lebten sicher vor Gefahr Zu Hause, während sie bostehn der Speere Kampf, Die Thoren! Lieber wollt' ich ja dreimal ins Graun Der Schlacht mich werfen, als gebären einmal nur! Eins fällt dem modernen Leser auf: daß unglückliche Liebe in der griechischen Tragödie keine Rolle spielt. Die Erklärung dafür scheint mir einfach zu sein. Lange Brautwerbungen mit Hindernissen, aus denen ein tragischer Konflikt entstehen könnte, kommen in so einfachen Verhültniffen, wie sie damals herrschten, nur selten vor. Ereignete sich etwas dergleichen, so konnte die Sache auch tragisch enden, wie der junge zärtliche Humor beweist, der sich an der Leiche seiner geliebten Antigone entleibt; und in solchen Fällen wird dann Eros auch als ein schrecklicher und erbarmungsloser Gott mit Furcht und Zittern gefeiert. Aber verliebtes Getose gehörte nicht in die Tragödie, in der nur ernste und große Gegenstände berechtigt waren. Die geschlechtliche Liebe gehörte als das anmutigste, heiterste und beglückendste im Leben nicht in die Tragödie, sondern in die Idylle, in die Elegie, in die Komödie. Das; es im modernen Drama einen so breiten Raum einnimmt und im Roman, in der Novelle zum alles beherrschenden Mittelpunkte geworden ist, kann nicht als ein Zeichen von Gesundheit angesehen werden. Es ist doch eben nicht Wahr, daß im wirklichen Leben die Geschlechtsliebe die einzige und alles be¬ herrschende Hauptsache wäre. Mehr Gelegenheit zur Behandlung dieses Gegen¬ standes geben allerdings die durch unsre verwickelten Verhältnisse und sozialen Schwierigkeiten erzeugten Hindernisse der Berehelichung, aber gerade die Rvmanleserci, die die Köpfe mit überspannten Ideen und die Gemüter mit eingebildeten Empfindungen erfüllt, vermehrt die Anlässe zu tragischen Kon¬ flikten noch um ein bedeutendes. Eine Ausnahmestellung nahmen die Spartanerfrauen ein. Nur näherte sich ihre Lebensweise nicht dem orientalischen Haremsdasein, sondern im Gegen¬ teil Bebels Ideal. In der Lysistrate rühmt die Spartanerin Lcnnpito mit Grenzboten III 1893 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/361>, abgerufen am 25.11.2024.