Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Nur vom Standpunkte unsrer heutigen Emanzipationssüchtigen aus, den
Daß Medea lieber ein Mann sein möchte, liegt in ihrem Charakter, aber in
*) Heute erst recht! Von der Dienstmagd, die ihren Soldaten freihält, bis zur Mil¬
lionärstochter, die sich einen Grafen kauft und noch von Glück sagen kann, wenn der nicht ein abgelebter Wüstling ist. Wie viel höher im Preise steht das Weib bei dem Hottentottcu- jüngliug, der nicht eher ein Mädchen bekommt, als bis er ein Paar Ochsen für sie zahlen kann, die er sich in mehrjähriger harter Arbeit verdienen muß! Nur vom Standpunkte unsrer heutigen Emanzipationssüchtigen aus, den
Daß Medea lieber ein Mann sein möchte, liegt in ihrem Charakter, aber in
*) Heute erst recht! Von der Dienstmagd, die ihren Soldaten freihält, bis zur Mil¬
lionärstochter, die sich einen Grafen kauft und noch von Glück sagen kann, wenn der nicht ein abgelebter Wüstling ist. Wie viel höher im Preise steht das Weib bei dem Hottentottcu- jüngliug, der nicht eher ein Mädchen bekommt, als bis er ein Paar Ochsen für sie zahlen kann, die er sich in mehrjähriger harter Arbeit verdienen muß! <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0360" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215450"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1284"> Nur vom Standpunkte unsrer heutigen Emanzipationssüchtigen aus, den<lb/> wir, altmodisch gesinnt, nicht teilen, kann man es als eine Herabwürdigung<lb/> der Frau ansehen, wenn ihr nicht der Markt und die Rednerbühne. sondern<lb/> nur das Haus als Wirkungskreis angewiesen wird. Wir sind zwar weit<lb/> entfernt davon, die Frauen und Mädchen zu tadeln, die heute in der Öffent¬<lb/> lichkeit auftreten, um ihren Schwestern bessere Lebensbedingungen zu erkämpfen;<lb/> aber nimmermehr werden wir die Verhältnisse, die sie dazu treiben und be¬<lb/> rechtigen, als natürlich und gesund anerkennen. Wo ein Ausnahmezustand<lb/> herrschte, da ward es auch in Hellas der Frau, der sittsamen Jungfrau nicht<lb/> verübelt, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegte. Antigone geleitet als<lb/> Pflegerin den verbannten blinden Vater auf seinen Irrfahrten, Jsmene sucht<lb/> ihre Lieben von Zeit zu Zeit auf, um ihnen Nachrichten von Hause zu<lb/> bringen, und scheut dabei nicht die Fährlichkeiten, die sie als allein reisende<lb/> Jungfrau, nur von einem Diener begleitet, zu bestehen hat. Wir haben, sagt<lb/> Ödipus, die Lebensweise der Ägypter angenommen:</p><lb/> <quote> <p xml:id="ID_1285"> Im Haus, den Webstuhl zu besorgen, sitzen dort</p> <p xml:id="ID_1286"> Die Männer, während draußen ihre Frauen stets</p> <p xml:id="ID_1287"> Beschaffen, was des Lebens Unterhalt bedarf.</p> <p xml:id="ID_1288"> So auch bei euch, ihr Kinder, Deren Pflicht es war.</p> <p xml:id="ID_1289"> Sich abznmühn, wie Mädchen hüten sie das Hans;</p> <p xml:id="ID_1290"> Statt ihrer tragt ihr beiden viele Rot um mich,</p> <p xml:id="ID_1291"> Den Unglückseliger. Eine teilt, seitdem ihr Leib</p> <p xml:id="ID_1292"> Entwnchs der Kindcspflege und die Kraft gewann,</p> <p xml:id="ID_1293"> Mit mir des Wanderns ganzes Elend immerdar;</p> <p xml:id="ID_1294"> Sie führt den Greisen,, irret ohne Speise oft</p> <p xml:id="ID_1295"> Umher im rauhen Waldüsdickicht, unbeschuht,</p> <p xml:id="ID_1296"> Ost schaffen Regengüsse, oft der Sonne Brand</p> <p xml:id="ID_1297"> Der Ärmsten viel Beschwerde; doch sie schätzt gering</p> <p xml:id="ID_1298"> Des Hanfes Pflege, ist der Vater nnr versorgt.</p> <p xml:id="ID_1299"> Und du, Kind, ohne Wissen der Kadmeer kamst</p> <p xml:id="ID_1300"> Du sonst schon, brachtest die Orakel alle mir.</p> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1301"> Daß Medea lieber ein Mann sein möchte, liegt in ihrem Charakter, aber in<lb/> ihren Klagen über das Los der Frauen kommt nichts andres vor, als wor¬<lb/> über sich die heutigen Frauen zu beklagen Pflegen, und daß es nicht aus<lb/> Verachtung, sondern zu ihrem Schutze geschieht, wenn sie mit ihrer Wirksamkeit<lb/> auf das Haus beschränkt bleiben, gesteht sie zu.</p><lb/> <quote> <p xml:id="ID_1302"> Sind doch wir Fraun das allernnglückseligstc!</p> <p xml:id="ID_1303"> Mit Gaben sonder Eude müssen wir zuerst</p> <p xml:id="ID_1304"> Den Gatten uns erkaufen/') ihn als unsern Herrn</p> </quote><lb/> <note xml:id="FID_53" place="foot"> *) Heute erst recht! Von der Dienstmagd, die ihren Soldaten freihält, bis zur Mil¬<lb/> lionärstochter, die sich einen Grafen kauft und noch von Glück sagen kann, wenn der nicht<lb/> ein abgelebter Wüstling ist. Wie viel höher im Preise steht das Weib bei dem Hottentottcu-<lb/> jüngliug, der nicht eher ein Mädchen bekommt, als bis er ein Paar Ochsen für sie zahlen<lb/> kann, die er sich in mehrjähriger harter Arbeit verdienen muß!</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0360]
Nur vom Standpunkte unsrer heutigen Emanzipationssüchtigen aus, den
wir, altmodisch gesinnt, nicht teilen, kann man es als eine Herabwürdigung
der Frau ansehen, wenn ihr nicht der Markt und die Rednerbühne. sondern
nur das Haus als Wirkungskreis angewiesen wird. Wir sind zwar weit
entfernt davon, die Frauen und Mädchen zu tadeln, die heute in der Öffent¬
lichkeit auftreten, um ihren Schwestern bessere Lebensbedingungen zu erkämpfen;
aber nimmermehr werden wir die Verhältnisse, die sie dazu treiben und be¬
rechtigen, als natürlich und gesund anerkennen. Wo ein Ausnahmezustand
herrschte, da ward es auch in Hellas der Frau, der sittsamen Jungfrau nicht
verübelt, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegte. Antigone geleitet als
Pflegerin den verbannten blinden Vater auf seinen Irrfahrten, Jsmene sucht
ihre Lieben von Zeit zu Zeit auf, um ihnen Nachrichten von Hause zu
bringen, und scheut dabei nicht die Fährlichkeiten, die sie als allein reisende
Jungfrau, nur von einem Diener begleitet, zu bestehen hat. Wir haben, sagt
Ödipus, die Lebensweise der Ägypter angenommen:
Im Haus, den Webstuhl zu besorgen, sitzen dort
Die Männer, während draußen ihre Frauen stets
Beschaffen, was des Lebens Unterhalt bedarf.
So auch bei euch, ihr Kinder, Deren Pflicht es war.
Sich abznmühn, wie Mädchen hüten sie das Hans;
Statt ihrer tragt ihr beiden viele Rot um mich,
Den Unglückseliger. Eine teilt, seitdem ihr Leib
Entwnchs der Kindcspflege und die Kraft gewann,
Mit mir des Wanderns ganzes Elend immerdar;
Sie führt den Greisen,, irret ohne Speise oft
Umher im rauhen Waldüsdickicht, unbeschuht,
Ost schaffen Regengüsse, oft der Sonne Brand
Der Ärmsten viel Beschwerde; doch sie schätzt gering
Des Hanfes Pflege, ist der Vater nnr versorgt.
Und du, Kind, ohne Wissen der Kadmeer kamst
Du sonst schon, brachtest die Orakel alle mir.
Daß Medea lieber ein Mann sein möchte, liegt in ihrem Charakter, aber in
ihren Klagen über das Los der Frauen kommt nichts andres vor, als wor¬
über sich die heutigen Frauen zu beklagen Pflegen, und daß es nicht aus
Verachtung, sondern zu ihrem Schutze geschieht, wenn sie mit ihrer Wirksamkeit
auf das Haus beschränkt bleiben, gesteht sie zu.
Sind doch wir Fraun das allernnglückseligstc!
Mit Gaben sonder Eude müssen wir zuerst
Den Gatten uns erkaufen/') ihn als unsern Herrn
*) Heute erst recht! Von der Dienstmagd, die ihren Soldaten freihält, bis zur Mil¬
lionärstochter, die sich einen Grafen kauft und noch von Glück sagen kann, wenn der nicht
ein abgelebter Wüstling ist. Wie viel höher im Preise steht das Weib bei dem Hottentottcu-
jüngliug, der nicht eher ein Mädchen bekommt, als bis er ein Paar Ochsen für sie zahlen
kann, die er sich in mehrjähriger harter Arbeit verdienen muß!
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