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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Charles Mngsley als Dichter und Sozialreformer

stünde herbeigeführt werden sollten. Bei seinen Amtsbrüdern konnte Kingsleh
für seine Ideen kein Verständnis und keine Förderung erwarten. Ihnen allen
fehlte die Fähigkeit, die soziale Bewegung auch nur zu verstehen.

Brentano giebt in seinem Buche eine vortreffliche Charakteristik der eng¬
lischen Staatskirche und des englischen Geistlichen jener Zeit; er nennt ihn
erstaunlich unwissend, selbst ans theologischen Gebiete, voll von verknöcherten
Dogmatismus und eiuen Feind alles geistigen und kirchlichen Fortschritts,
der nichts weiter wußte, als die Texte aus der Bibel, die zum Gehorsam
gegen die bestehenden Gewalten ernähren. Viele Hochkirchler waren nicht nur
allem Fortschritte abhold, sie traten sogar für eine entschiedne Reaktion ein,
für eine Umbildung der englischen Kirche nach dem Vorbilde der katholischen
aus den ersten Jahrhunderten des Christentums. Diese reaktionäre Bewegung
ging von mehreren Oxforder Theologen aus, an deren Spitze Puseh und
Newman standen. In ihren Schriften, 'I'ravts l'or tluz 1uns8, nach denen sich
die Anhänger Traktarianer nannten, vertraten sie ihre katholischen Prinzipien.
Sie verlangten die Autorität der kirchlichen Tradition, die apostolische Nach¬
folge (Luc-vössioii) der Bischöfe, das Recht der Bibelerkläruug nur für den
Geistlichen, die Einführung der Messen, der Kirchenbusze, der Fasten und der
Ohrenbeichte und bei den Pfarrern den Cölibat. Im Jahre 1845 trat New¬
man offen zur römisch-katholischen Kirche über, und mehrere hundert englische
Geistliche folgten ihm. Die Anhänger Pnsehs, die Puseyisten, blieben zwar
bei der anglikanischen Kirche, neigten aber doch zur römischen Lehre. Mit
Kirchenregiment und Askese glaubten sie die sozialen Schäden zu heilen. Die
.heiligen des Mittelalters wurden dem uiiznfriednen Volke als nachahmens¬
werte Vorbilder vorgehalten und Werkgerechtigkeit und Weltflucht als der
einzige Weg zur Rettung gepriesen.

Gegen diese Traktarianer mit ihrem mönchischen Ideal vom Christentum
zog Kingsleh zuerst zu Felde. Er suchte die Thorheit und Verwerflichkeit
der Askese an dem Beispiel der heiligen Elisabeth von Thüringen nachzu¬
weisen und schrieb sein Drama "IIw Lsint's ^r-r^sa^. (lüolleetscl ^Vorlis, 1'veins,
London, Mnemillail and Co.; neueste Auflage 1892. 'IIis 8-rire's ?raM<Zv
übersetzt unter dem Titel: Elisabeth, Landgräfin von Thüringen. Von P.
Spangenberg, zweite Auflage. Gvthn, Perthes, 1885.) Wie im dreizehnten
Jahrhundert der wahre Christ zu kämpfen hatte gegen den herrischen Feu¬
dalismus und die Trugbilder des Papsttums -- elle- tvrmnry ot' Kzuäsl os8te,
unä elle xlmnt,c>in8 vliiod ?oper,7 suwtiwws lor eilf living- Llirist, sagt
Kingsleh in der Vorrede--, so standen in der Mitte des neunzehnten Jahr¬
hunderts den wahren sittlichen Ideen des Christentums zwei Mächte gegen¬
über: der Kapitalismus und der Kryptolathvlizismus. Gegen beide erhebt
Kingsleh in seinem Drama die Stimme. Im Jahre 1846 hatte er I'ibe
Kirint's I'r-rgöö)' fertig, aber sieben Jahre sollte es liegen bleiben. Doch sein


Charles Mngsley als Dichter und Sozialreformer

stünde herbeigeführt werden sollten. Bei seinen Amtsbrüdern konnte Kingsleh
für seine Ideen kein Verständnis und keine Förderung erwarten. Ihnen allen
fehlte die Fähigkeit, die soziale Bewegung auch nur zu verstehen.

Brentano giebt in seinem Buche eine vortreffliche Charakteristik der eng¬
lischen Staatskirche und des englischen Geistlichen jener Zeit; er nennt ihn
erstaunlich unwissend, selbst ans theologischen Gebiete, voll von verknöcherten
Dogmatismus und eiuen Feind alles geistigen und kirchlichen Fortschritts,
der nichts weiter wußte, als die Texte aus der Bibel, die zum Gehorsam
gegen die bestehenden Gewalten ernähren. Viele Hochkirchler waren nicht nur
allem Fortschritte abhold, sie traten sogar für eine entschiedne Reaktion ein,
für eine Umbildung der englischen Kirche nach dem Vorbilde der katholischen
aus den ersten Jahrhunderten des Christentums. Diese reaktionäre Bewegung
ging von mehreren Oxforder Theologen aus, an deren Spitze Puseh und
Newman standen. In ihren Schriften, 'I'ravts l'or tluz 1uns8, nach denen sich
die Anhänger Traktarianer nannten, vertraten sie ihre katholischen Prinzipien.
Sie verlangten die Autorität der kirchlichen Tradition, die apostolische Nach¬
folge (Luc-vössioii) der Bischöfe, das Recht der Bibelerkläruug nur für den
Geistlichen, die Einführung der Messen, der Kirchenbusze, der Fasten und der
Ohrenbeichte und bei den Pfarrern den Cölibat. Im Jahre 1845 trat New¬
man offen zur römisch-katholischen Kirche über, und mehrere hundert englische
Geistliche folgten ihm. Die Anhänger Pnsehs, die Puseyisten, blieben zwar
bei der anglikanischen Kirche, neigten aber doch zur römischen Lehre. Mit
Kirchenregiment und Askese glaubten sie die sozialen Schäden zu heilen. Die
.heiligen des Mittelalters wurden dem uiiznfriednen Volke als nachahmens¬
werte Vorbilder vorgehalten und Werkgerechtigkeit und Weltflucht als der
einzige Weg zur Rettung gepriesen.

Gegen diese Traktarianer mit ihrem mönchischen Ideal vom Christentum
zog Kingsleh zuerst zu Felde. Er suchte die Thorheit und Verwerflichkeit
der Askese an dem Beispiel der heiligen Elisabeth von Thüringen nachzu¬
weisen und schrieb sein Drama "IIw Lsint's ^r-r^sa^. (lüolleetscl ^Vorlis, 1'veins,
London, Mnemillail and Co.; neueste Auflage 1892. 'IIis 8-rire's ?raM<Zv
übersetzt unter dem Titel: Elisabeth, Landgräfin von Thüringen. Von P.
Spangenberg, zweite Auflage. Gvthn, Perthes, 1885.) Wie im dreizehnten
Jahrhundert der wahre Christ zu kämpfen hatte gegen den herrischen Feu¬
dalismus und die Trugbilder des Papsttums -- elle- tvrmnry ot' Kzuäsl os8te,
unä elle xlmnt,c>in8 vliiod ?oper,7 suwtiwws lor eilf living- Llirist, sagt
Kingsleh in der Vorrede—, so standen in der Mitte des neunzehnten Jahr¬
hunderts den wahren sittlichen Ideen des Christentums zwei Mächte gegen¬
über: der Kapitalismus und der Kryptolathvlizismus. Gegen beide erhebt
Kingsleh in seinem Drama die Stimme. Im Jahre 1846 hatte er I'ibe
Kirint's I'r-rgöö)' fertig, aber sieben Jahre sollte es liegen bleiben. Doch sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/325>, abgerufen am 27.11.2024.