Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

und Ziller wird das Ideal der Persönlichkeit allerdings in rein philosophischer
Weise bestimmt, sodaß die Persönlichkeit ganz erfüllt und durchdrungen ge¬
dacht wird von den ethischen Ideen, den sittlichen Musterbildern für mensch¬
liches Denken und Thun. Hier tritt der Zusammenhang zwischen den philo¬
sophischen Grundanschauungen und den pädagogischen Folgerungen scharf und
bestimmt hervor. Und dies ist es gerade, was der Philosophie Hcrbarts eine
Lebenskraft sichert, die bei andern philosophischen Theorien nur ein frommer
Wunsch bleibt. Ohne Zweifel vollziehen sich in unserm Jahrhundert die
Kulturbewegungen weit mehr als ehedem unter der Mitwirkung planmäßig
vorbereiteter Arbeit, die zu erstrebenden Fortschritte werden scharf ins Auge
gefaßt. Das bezieht sich vor allem auch auf die Erziehung, da ja sie es ge¬
rade ist, die sich durchaus ihres Zieles bewußt die jugendlichen Geister in
eine Bahn zu bringen sucht, die bestimmend für das ganze Leben sein soll.
Wo sich eine Erzichnngstheorie ans bestimmte philosophische Grundlagen
ethischer nud psychologischer Natur stützt, da giebt sie diesen selbst erst
wahres Leben und sichert ihnen eine breitere Wirkung. Wie der mächtig fort¬
wirkende Einfluß der Kantischen Philosophie im kategorischen Imperativ ge¬
sehen werden muß, so der Einfluß der Herbartischen in seiner ethischen Jdeen-
lehre. In den Kreisen der Fachphilvsophen im allgemeinen als abgethan
betrachtet, ist sie in der That gegenwärtig mehr als irgend ein andres philo¬
sophisches System im Leben der Nation wirksam, wenn man die erzieherischen
Mächte, die in Bewegung gesetzt werden, überhaupt in der Entwicklung der
Völker etwas gelten lassen will.

Wir haben es schon hervorgehoben, daß sich das Schnltzische Buch gleich-
falls in den Dienst der idealistischen Ethik stellt, die immerfort daran mahnt,
daß die sittlichen Spannkräfte im Volke nicht erlahmen dürfen, wenn wir nicht
rettungslos dem Verfall entgegengehn wollen. Und es ist gut, wenn von
allen Seiten her Bundesgenossen beiströinen, um dem uiederzieheuden Einfluß
einer naturwissenschaftlichen Moral entgegenzutreten. Wenn mich der Inhalt
der Erziehungsmaßregeln noch so sehr von der Verschiedenheit der Völker
und Zeiten abhängen und damit historisch bedingt sein mag, der Haupt-
crziehungszweck ist davon unabhängig als ein sittlicher zu denken. Wie anders
sollen denn anch Erziehungsmaßrcgeln, die aus dem jeweiligen Volksethos
herauswachsen, kritisirt und reformirt werden? Wenn das Sittliche allein
durch die Sitte bestimmt werden, wenn es mit der Kulturentwicklung wechseln
soll, dann ist jede pädagogische Frage bedeutungslos. Ein bewußtes, folge¬
richtiges Handeln des Erziehers ist uur dann denkbar, wenn bei allen
seineu Maßregeln der wachsende sittliche Wert nicht nur wie ein zufälliges
Nebenprodukt erwartet, sondern von vornherein in bestimmter Weise beab¬
sichtigt wird. Darum muß an die Spitze ein Erziehungsziel treten, das von
der normativen Ethik seinen bestimmten Inhalt erhält. Im andern Fall er-


und Ziller wird das Ideal der Persönlichkeit allerdings in rein philosophischer
Weise bestimmt, sodaß die Persönlichkeit ganz erfüllt und durchdrungen ge¬
dacht wird von den ethischen Ideen, den sittlichen Musterbildern für mensch¬
liches Denken und Thun. Hier tritt der Zusammenhang zwischen den philo¬
sophischen Grundanschauungen und den pädagogischen Folgerungen scharf und
bestimmt hervor. Und dies ist es gerade, was der Philosophie Hcrbarts eine
Lebenskraft sichert, die bei andern philosophischen Theorien nur ein frommer
Wunsch bleibt. Ohne Zweifel vollziehen sich in unserm Jahrhundert die
Kulturbewegungen weit mehr als ehedem unter der Mitwirkung planmäßig
vorbereiteter Arbeit, die zu erstrebenden Fortschritte werden scharf ins Auge
gefaßt. Das bezieht sich vor allem auch auf die Erziehung, da ja sie es ge¬
rade ist, die sich durchaus ihres Zieles bewußt die jugendlichen Geister in
eine Bahn zu bringen sucht, die bestimmend für das ganze Leben sein soll.
Wo sich eine Erzichnngstheorie ans bestimmte philosophische Grundlagen
ethischer nud psychologischer Natur stützt, da giebt sie diesen selbst erst
wahres Leben und sichert ihnen eine breitere Wirkung. Wie der mächtig fort¬
wirkende Einfluß der Kantischen Philosophie im kategorischen Imperativ ge¬
sehen werden muß, so der Einfluß der Herbartischen in seiner ethischen Jdeen-
lehre. In den Kreisen der Fachphilvsophen im allgemeinen als abgethan
betrachtet, ist sie in der That gegenwärtig mehr als irgend ein andres philo¬
sophisches System im Leben der Nation wirksam, wenn man die erzieherischen
Mächte, die in Bewegung gesetzt werden, überhaupt in der Entwicklung der
Völker etwas gelten lassen will.

Wir haben es schon hervorgehoben, daß sich das Schnltzische Buch gleich-
falls in den Dienst der idealistischen Ethik stellt, die immerfort daran mahnt,
daß die sittlichen Spannkräfte im Volke nicht erlahmen dürfen, wenn wir nicht
rettungslos dem Verfall entgegengehn wollen. Und es ist gut, wenn von
allen Seiten her Bundesgenossen beiströinen, um dem uiederzieheuden Einfluß
einer naturwissenschaftlichen Moral entgegenzutreten. Wenn mich der Inhalt
der Erziehungsmaßregeln noch so sehr von der Verschiedenheit der Völker
und Zeiten abhängen und damit historisch bedingt sein mag, der Haupt-
crziehungszweck ist davon unabhängig als ein sittlicher zu denken. Wie anders
sollen denn anch Erziehungsmaßrcgeln, die aus dem jeweiligen Volksethos
herauswachsen, kritisirt und reformirt werden? Wenn das Sittliche allein
durch die Sitte bestimmt werden, wenn es mit der Kulturentwicklung wechseln
soll, dann ist jede pädagogische Frage bedeutungslos. Ein bewußtes, folge¬
richtiges Handeln des Erziehers ist uur dann denkbar, wenn bei allen
seineu Maßregeln der wachsende sittliche Wert nicht nur wie ein zufälliges
Nebenprodukt erwartet, sondern von vornherein in bestimmter Weise beab¬
sichtigt wird. Darum muß an die Spitze ein Erziehungsziel treten, das von
der normativen Ethik seinen bestimmten Inhalt erhält. Im andern Fall er-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215122"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_99" prev="#ID_98"> und Ziller wird das Ideal der Persönlichkeit allerdings in rein philosophischer<lb/>
Weise bestimmt, sodaß die Persönlichkeit ganz erfüllt und durchdrungen ge¬<lb/>
dacht wird von den ethischen Ideen, den sittlichen Musterbildern für mensch¬<lb/>
liches Denken und Thun. Hier tritt der Zusammenhang zwischen den philo¬<lb/>
sophischen Grundanschauungen und den pädagogischen Folgerungen scharf und<lb/>
bestimmt hervor. Und dies ist es gerade, was der Philosophie Hcrbarts eine<lb/>
Lebenskraft sichert, die bei andern philosophischen Theorien nur ein frommer<lb/>
Wunsch bleibt. Ohne Zweifel vollziehen sich in unserm Jahrhundert die<lb/>
Kulturbewegungen weit mehr als ehedem unter der Mitwirkung planmäßig<lb/>
vorbereiteter Arbeit, die zu erstrebenden Fortschritte werden scharf ins Auge<lb/>
gefaßt. Das bezieht sich vor allem auch auf die Erziehung, da ja sie es ge¬<lb/>
rade ist, die sich durchaus ihres Zieles bewußt die jugendlichen Geister in<lb/>
eine Bahn zu bringen sucht, die bestimmend für das ganze Leben sein soll.<lb/>
Wo sich eine Erzichnngstheorie ans bestimmte philosophische Grundlagen<lb/>
ethischer nud psychologischer Natur stützt, da giebt sie diesen selbst erst<lb/>
wahres Leben und sichert ihnen eine breitere Wirkung. Wie der mächtig fort¬<lb/>
wirkende Einfluß der Kantischen Philosophie im kategorischen Imperativ ge¬<lb/>
sehen werden muß, so der Einfluß der Herbartischen in seiner ethischen Jdeen-<lb/>
lehre. In den Kreisen der Fachphilvsophen im allgemeinen als abgethan<lb/>
betrachtet, ist sie in der That gegenwärtig mehr als irgend ein andres philo¬<lb/>
sophisches System im Leben der Nation wirksam, wenn man die erzieherischen<lb/>
Mächte, die in Bewegung gesetzt werden, überhaupt in der Entwicklung der<lb/>
Völker etwas gelten lassen will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_100" next="#ID_101"> Wir haben es schon hervorgehoben, daß sich das Schnltzische Buch gleich-<lb/>
falls in den Dienst der idealistischen Ethik stellt, die immerfort daran mahnt,<lb/>
daß die sittlichen Spannkräfte im Volke nicht erlahmen dürfen, wenn wir nicht<lb/>
rettungslos dem Verfall entgegengehn wollen. Und es ist gut, wenn von<lb/>
allen Seiten her Bundesgenossen beiströinen, um dem uiederzieheuden Einfluß<lb/>
einer naturwissenschaftlichen Moral entgegenzutreten. Wenn mich der Inhalt<lb/>
der Erziehungsmaßregeln noch so sehr von der Verschiedenheit der Völker<lb/>
und Zeiten abhängen und damit historisch bedingt sein mag, der Haupt-<lb/>
crziehungszweck ist davon unabhängig als ein sittlicher zu denken. Wie anders<lb/>
sollen denn anch Erziehungsmaßrcgeln, die aus dem jeweiligen Volksethos<lb/>
herauswachsen, kritisirt und reformirt werden? Wenn das Sittliche allein<lb/>
durch die Sitte bestimmt werden, wenn es mit der Kulturentwicklung wechseln<lb/>
soll, dann ist jede pädagogische Frage bedeutungslos. Ein bewußtes, folge¬<lb/>
richtiges Handeln des Erziehers ist uur dann denkbar, wenn bei allen<lb/>
seineu Maßregeln der wachsende sittliche Wert nicht nur wie ein zufälliges<lb/>
Nebenprodukt erwartet, sondern von vornherein in bestimmter Weise beab¬<lb/>
sichtigt wird. Darum muß an die Spitze ein Erziehungsziel treten, das von<lb/>
der normativen Ethik seinen bestimmten Inhalt erhält.  Im andern Fall er-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] und Ziller wird das Ideal der Persönlichkeit allerdings in rein philosophischer Weise bestimmt, sodaß die Persönlichkeit ganz erfüllt und durchdrungen ge¬ dacht wird von den ethischen Ideen, den sittlichen Musterbildern für mensch¬ liches Denken und Thun. Hier tritt der Zusammenhang zwischen den philo¬ sophischen Grundanschauungen und den pädagogischen Folgerungen scharf und bestimmt hervor. Und dies ist es gerade, was der Philosophie Hcrbarts eine Lebenskraft sichert, die bei andern philosophischen Theorien nur ein frommer Wunsch bleibt. Ohne Zweifel vollziehen sich in unserm Jahrhundert die Kulturbewegungen weit mehr als ehedem unter der Mitwirkung planmäßig vorbereiteter Arbeit, die zu erstrebenden Fortschritte werden scharf ins Auge gefaßt. Das bezieht sich vor allem auch auf die Erziehung, da ja sie es ge¬ rade ist, die sich durchaus ihres Zieles bewußt die jugendlichen Geister in eine Bahn zu bringen sucht, die bestimmend für das ganze Leben sein soll. Wo sich eine Erzichnngstheorie ans bestimmte philosophische Grundlagen ethischer nud psychologischer Natur stützt, da giebt sie diesen selbst erst wahres Leben und sichert ihnen eine breitere Wirkung. Wie der mächtig fort¬ wirkende Einfluß der Kantischen Philosophie im kategorischen Imperativ ge¬ sehen werden muß, so der Einfluß der Herbartischen in seiner ethischen Jdeen- lehre. In den Kreisen der Fachphilvsophen im allgemeinen als abgethan betrachtet, ist sie in der That gegenwärtig mehr als irgend ein andres philo¬ sophisches System im Leben der Nation wirksam, wenn man die erzieherischen Mächte, die in Bewegung gesetzt werden, überhaupt in der Entwicklung der Völker etwas gelten lassen will. Wir haben es schon hervorgehoben, daß sich das Schnltzische Buch gleich- falls in den Dienst der idealistischen Ethik stellt, die immerfort daran mahnt, daß die sittlichen Spannkräfte im Volke nicht erlahmen dürfen, wenn wir nicht rettungslos dem Verfall entgegengehn wollen. Und es ist gut, wenn von allen Seiten her Bundesgenossen beiströinen, um dem uiederzieheuden Einfluß einer naturwissenschaftlichen Moral entgegenzutreten. Wenn mich der Inhalt der Erziehungsmaßregeln noch so sehr von der Verschiedenheit der Völker und Zeiten abhängen und damit historisch bedingt sein mag, der Haupt- crziehungszweck ist davon unabhängig als ein sittlicher zu denken. Wie anders sollen denn anch Erziehungsmaßrcgeln, die aus dem jeweiligen Volksethos herauswachsen, kritisirt und reformirt werden? Wenn das Sittliche allein durch die Sitte bestimmt werden, wenn es mit der Kulturentwicklung wechseln soll, dann ist jede pädagogische Frage bedeutungslos. Ein bewußtes, folge¬ richtiges Handeln des Erziehers ist uur dann denkbar, wenn bei allen seineu Maßregeln der wachsende sittliche Wert nicht nur wie ein zufälliges Nebenprodukt erwartet, sondern von vornherein in bestimmter Weise beab¬ sichtigt wird. Darum muß an die Spitze ein Erziehungsziel treten, das von der normativen Ethik seinen bestimmten Inhalt erhält. Im andern Fall er-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/32
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/32>, abgerufen am 01.09.2024.