Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Neue Merke über Nordamerika die kräftigste Stütze zu sein und sie durch seine eigne Kulturkraft aufzufrischen, "Zur Kolumbus-Weltausstellung 1893" trügt uns im Stcrnenstrahlen- Neue Merke über Nordamerika die kräftigste Stütze zu sein und sie durch seine eigne Kulturkraft aufzufrischen, „Zur Kolumbus-Weltausstellung 1893" trügt uns im Stcrnenstrahlen- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215406"/> <fw type="header" place="top"> Neue Merke über Nordamerika</fw><lb/> <p xml:id="ID_1093" prev="#ID_1092"> die kräftigste Stütze zu sein und sie durch seine eigne Kulturkraft aufzufrischen,<lb/> daß sie wieder jung werde, wie der Adler. Dieser großartige Austausch zwischen<lb/> Altem und Neuem, diese wechselseitige Belebung und Verstärkung, das vor<lb/> allem ist die Hoffnung und der Trost derer, die in Wahrheit an den Fort¬<lb/> schritt der Menschen glauben." Wir müssen ein Lächeln unterdrücken, wenn ein<lb/> Lindau so große Worte macht. Wir hören jedoch aus ihm seine deutschameri¬<lb/> kanischen Freunde sprechen und beherzigen diese Worte, wenn wir auch wünschen,<lb/> daß sie vernünftiger gewählt und gestellt wären. Wir wollen der Neigung<lb/> zu versöhnenden, manchmal sogar etwas schwächlichen und verwaschnen Urteilen<lb/> nicht entgegentreten, die bei jenen herrscht. Wir unsrerseits glauben zwar,<lb/> daß wenn Europa so schwach werden sollte, wie Lindau glaubt, Amerika von<lb/> dieser Schwäche Gebrauch machen und seine Mutter niederschlagen würde; wir<lb/> hoffen aber, daß Europa nicht so schwach werden wird, weil wir auf die<lb/> Stadtende Kraft des Kampfes vertrauen. Seis friedliche Wettbewerbung oder<lb/> blutiges Ringen, die uns Amerika aufzwingen sollte, wir werden an Kraft ge¬<lb/> winnen. Der Adler, den Lindau wie ein kleines gepreßtes Bildchen zwischen<lb/> seine Zeilen legt, wird nicht stark durch Aufpäppeluug, sondern weil er der<lb/> Sonne entgegenfliegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1094" next="#ID_1095"> „Zur Kolumbus-Weltausstellung 1893" trügt uns im Stcrnenstrahlen-<lb/> kranz des Unionswappens der dicke Band von Claudio Jannet und Walter<lb/> Kämpfe, dessen nüchterner Titel lautet: Die Vereinigten Staaten Nord¬<lb/> amerikas in der Gegenwart. Sitten, Institutionen und Ideen seit dem<lb/> Sezessionskriege. (Freiburg i. V., Herdersche Verlagshandlung, 1893.) Es<lb/> ist gerade kein duftender Strauß, den diese Herren der Jungfrau Columbia<lb/> darbringen, vielmehr sind reichlich Disteln und Nesseln darin. Herr Jannet<lb/> ist Professor der Sozinlökvnomie am In8Ulme oaUioliquö as 1'-n'i8. Ungleich<lb/> den meisten Fremden und besonders seinen Landsleuten, die über Amerika<lb/> schreiben, ohne es genau genug zu keimen, ist Herr Jannet ein guter Kenner<lb/> Nordamerikas und der Litteratur über Nordamerika. Und auch Dr. Kämpfe<lb/> weiß sicherlich weit mehr von dem Gegenstände des Buches, das er übersetzt,<lb/> als so mancher andre Bearbeiter. Das Buch ist in hohem Grade anziehend<lb/> und belehrend. So wie Jannets Original ausgezeichnet, stellenweise glänzend<lb/> geschrieben ist, so ist die Kümpfesche Übersetzung sorgfältig und gewandt. Wo<lb/> wir auch eine Seite aufschlagen mögen, begegnen wir unabhängigen Ansichten,<lb/> die mit Kraft und nicht ohne Anmut ausgesprochen sind. Von dem gewohnten<lb/> Gefasel keuntnisloser Bewunderung keine Spur. Schade, daß um so häufiger<lb/> die Spuren vorgefaßter Meinungen hervortreten. Aus Jannet spricht nicht<lb/> bloß der Katholik, der in der Trennung der Kirche von Staate, wie sie sich<lb/> in den Vereinigten Staaten erst als neuere Entwicklung vollzogen hat — denn<lb/> die kräftigsten Gemeinwesen der ersten anderthalb Jahrhunderte waren zum<lb/> Teil höchst unduldsame Theotratien , mit Recht etwas Unheilvolles sieht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0316]
Neue Merke über Nordamerika
die kräftigste Stütze zu sein und sie durch seine eigne Kulturkraft aufzufrischen,
daß sie wieder jung werde, wie der Adler. Dieser großartige Austausch zwischen
Altem und Neuem, diese wechselseitige Belebung und Verstärkung, das vor
allem ist die Hoffnung und der Trost derer, die in Wahrheit an den Fort¬
schritt der Menschen glauben." Wir müssen ein Lächeln unterdrücken, wenn ein
Lindau so große Worte macht. Wir hören jedoch aus ihm seine deutschameri¬
kanischen Freunde sprechen und beherzigen diese Worte, wenn wir auch wünschen,
daß sie vernünftiger gewählt und gestellt wären. Wir wollen der Neigung
zu versöhnenden, manchmal sogar etwas schwächlichen und verwaschnen Urteilen
nicht entgegentreten, die bei jenen herrscht. Wir unsrerseits glauben zwar,
daß wenn Europa so schwach werden sollte, wie Lindau glaubt, Amerika von
dieser Schwäche Gebrauch machen und seine Mutter niederschlagen würde; wir
hoffen aber, daß Europa nicht so schwach werden wird, weil wir auf die
Stadtende Kraft des Kampfes vertrauen. Seis friedliche Wettbewerbung oder
blutiges Ringen, die uns Amerika aufzwingen sollte, wir werden an Kraft ge¬
winnen. Der Adler, den Lindau wie ein kleines gepreßtes Bildchen zwischen
seine Zeilen legt, wird nicht stark durch Aufpäppeluug, sondern weil er der
Sonne entgegenfliegt.
„Zur Kolumbus-Weltausstellung 1893" trügt uns im Stcrnenstrahlen-
kranz des Unionswappens der dicke Band von Claudio Jannet und Walter
Kämpfe, dessen nüchterner Titel lautet: Die Vereinigten Staaten Nord¬
amerikas in der Gegenwart. Sitten, Institutionen und Ideen seit dem
Sezessionskriege. (Freiburg i. V., Herdersche Verlagshandlung, 1893.) Es
ist gerade kein duftender Strauß, den diese Herren der Jungfrau Columbia
darbringen, vielmehr sind reichlich Disteln und Nesseln darin. Herr Jannet
ist Professor der Sozinlökvnomie am In8Ulme oaUioliquö as 1'-n'i8. Ungleich
den meisten Fremden und besonders seinen Landsleuten, die über Amerika
schreiben, ohne es genau genug zu keimen, ist Herr Jannet ein guter Kenner
Nordamerikas und der Litteratur über Nordamerika. Und auch Dr. Kämpfe
weiß sicherlich weit mehr von dem Gegenstände des Buches, das er übersetzt,
als so mancher andre Bearbeiter. Das Buch ist in hohem Grade anziehend
und belehrend. So wie Jannets Original ausgezeichnet, stellenweise glänzend
geschrieben ist, so ist die Kümpfesche Übersetzung sorgfältig und gewandt. Wo
wir auch eine Seite aufschlagen mögen, begegnen wir unabhängigen Ansichten,
die mit Kraft und nicht ohne Anmut ausgesprochen sind. Von dem gewohnten
Gefasel keuntnisloser Bewunderung keine Spur. Schade, daß um so häufiger
die Spuren vorgefaßter Meinungen hervortreten. Aus Jannet spricht nicht
bloß der Katholik, der in der Trennung der Kirche von Staate, wie sie sich
in den Vereinigten Staaten erst als neuere Entwicklung vollzogen hat — denn
die kräftigsten Gemeinwesen der ersten anderthalb Jahrhunderte waren zum
Teil höchst unduldsame Theotratien , mit Recht etwas Unheilvolles sieht
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |