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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Neue Iverke über Nordamerika

uns kurz fassen. Dieser vielschreibende Manu kennt Chicago auch. Er ist
durchgereist und hat sich aufgehalten, hat Menschen und Dinge kennen gelernt
und mit lebhaftem Auge beobachtet. Dabei hat er aber keine Fühlung mit
dem Ganzen gewonnen, und Ernst und Geist sucht man in dem Buche vergeb¬
lich. Die Beobachtungen bleiben an der Oberfläche, das Ganze hat etwas
Flaches. Nach dem Grunde braucht man nicht lauge zu fragen. Wenn man
in dem Abschnitt Frauenleben und Frauenthätigkeit liest, wie sich der Ver¬
fasser von Backfischen, die komponiren, dichten, malen, bildhauern, als Ver¬
treter der bessern europäischen Männerwelt anschwärmen läßt, hat man genug
von ihm. Lassei? wir ihn diesen Damen. Wer so sehr von seiner eignen
Wichtigkeit überzeugt ist, wie dieser Salonheld, kann Amerika nicht richtig auf¬
fassen, er schwebt nur so durch und wird den Dunstkreis seiner Eitelkeit
nicht los.

Was ein blasirter, aber geistreicher Weltmensch von mehr journalistischen
als aristokratischen Neigungen und Gewohnheiten in Nordamerika sehen will
und kann, hat Paul Lindau gesehen und natürlich auch beschrieben in seinem
zweibändigen Buche: Altes und neues aus der Neuen Welt.
Zwei Bände. (Berlin, 1893.) Eigentlich paßt Lindau nicht so recht hin.
Großstädter von Anlage und Neigung, ohne angebornen Natursinn, sühlt er
sich nur in Städten, Eisenbahnen, Dampfschiffen zu Hause und scheint,
ein richtiger Faulpelz, keine Meile außerhalb der Straßen der Städte zu
Fuß gegangen zu sein. Nordamerika ist aber noch so natürlich, die im Ur¬
zustande gebliebner Gebiete sind uoch so groß, daß eine Stüdtereise kein rich¬
tiges Bild gewährt. Die paar Fluß-, Küsten- und Gebirgsszenerien, die er
mit beschreibt, sind nur die an den großen Straßen des Verkehrs liegenden,
von aller Welt besuchten und schon hundertmal abgeschriebnen. Interessant
wird Lindau, wo er von Menschen spricht. Er hat viele Bekanntschaften
gemacht, das sucht ja ein Reisender seiner Art, und darunter auch die von
Männern wie Schurz und Villard, die man immer wieder gern sieht und hört.
Man möchte nnr noch mehr von den Ansichten und Urteilen dieser Männer
hören. Wir gehen aber kaum fehl, wenn wir annehmen, daß viel davon in
den Urteilen Lindaus enthalten sei, besonders in dem Endurteil am Schluß
des zweiten Bandes. Dieses Schlußkapitel "Heimkehr" entschädigt sür viel
Oberflächliches und Unbedeutendes, das in den frühern Abschnitten so hin¬
gesprochen ist, damit eben etwas gesagt werde. Es ist ein gedankenvoller Rück¬
blick, den der Reisende auf das Land wirft, das er durchfahren hat. Leider
schließt er mit folgenden geschwollnen Sätzen: "Blöden Sinnes wäre der, der
von den unausbleibliche" Unarten des Werdenden abgestoßen, seine Bewunde¬
rung einem Lande versagen wollte, dem die verheißnngsvollste Fertigkeit (?)
gesichert ist, und das. nachdem es sich selbst an den Brüsten der altenro-
päischen Kultur genährt, vielleicht dazu ausersehen ist, der alternden Mutter


Neue Iverke über Nordamerika

uns kurz fassen. Dieser vielschreibende Manu kennt Chicago auch. Er ist
durchgereist und hat sich aufgehalten, hat Menschen und Dinge kennen gelernt
und mit lebhaftem Auge beobachtet. Dabei hat er aber keine Fühlung mit
dem Ganzen gewonnen, und Ernst und Geist sucht man in dem Buche vergeb¬
lich. Die Beobachtungen bleiben an der Oberfläche, das Ganze hat etwas
Flaches. Nach dem Grunde braucht man nicht lauge zu fragen. Wenn man
in dem Abschnitt Frauenleben und Frauenthätigkeit liest, wie sich der Ver¬
fasser von Backfischen, die komponiren, dichten, malen, bildhauern, als Ver¬
treter der bessern europäischen Männerwelt anschwärmen läßt, hat man genug
von ihm. Lassei? wir ihn diesen Damen. Wer so sehr von seiner eignen
Wichtigkeit überzeugt ist, wie dieser Salonheld, kann Amerika nicht richtig auf¬
fassen, er schwebt nur so durch und wird den Dunstkreis seiner Eitelkeit
nicht los.

Was ein blasirter, aber geistreicher Weltmensch von mehr journalistischen
als aristokratischen Neigungen und Gewohnheiten in Nordamerika sehen will
und kann, hat Paul Lindau gesehen und natürlich auch beschrieben in seinem
zweibändigen Buche: Altes und neues aus der Neuen Welt.
Zwei Bände. (Berlin, 1893.) Eigentlich paßt Lindau nicht so recht hin.
Großstädter von Anlage und Neigung, ohne angebornen Natursinn, sühlt er
sich nur in Städten, Eisenbahnen, Dampfschiffen zu Hause und scheint,
ein richtiger Faulpelz, keine Meile außerhalb der Straßen der Städte zu
Fuß gegangen zu sein. Nordamerika ist aber noch so natürlich, die im Ur¬
zustande gebliebner Gebiete sind uoch so groß, daß eine Stüdtereise kein rich¬
tiges Bild gewährt. Die paar Fluß-, Küsten- und Gebirgsszenerien, die er
mit beschreibt, sind nur die an den großen Straßen des Verkehrs liegenden,
von aller Welt besuchten und schon hundertmal abgeschriebnen. Interessant
wird Lindau, wo er von Menschen spricht. Er hat viele Bekanntschaften
gemacht, das sucht ja ein Reisender seiner Art, und darunter auch die von
Männern wie Schurz und Villard, die man immer wieder gern sieht und hört.
Man möchte nnr noch mehr von den Ansichten und Urteilen dieser Männer
hören. Wir gehen aber kaum fehl, wenn wir annehmen, daß viel davon in
den Urteilen Lindaus enthalten sei, besonders in dem Endurteil am Schluß
des zweiten Bandes. Dieses Schlußkapitel „Heimkehr" entschädigt sür viel
Oberflächliches und Unbedeutendes, das in den frühern Abschnitten so hin¬
gesprochen ist, damit eben etwas gesagt werde. Es ist ein gedankenvoller Rück¬
blick, den der Reisende auf das Land wirft, das er durchfahren hat. Leider
schließt er mit folgenden geschwollnen Sätzen: „Blöden Sinnes wäre der, der
von den unausbleibliche» Unarten des Werdenden abgestoßen, seine Bewunde¬
rung einem Lande versagen wollte, dem die verheißnngsvollste Fertigkeit (?)
gesichert ist, und das. nachdem es sich selbst an den Brüsten der altenro-
päischen Kultur genährt, vielleicht dazu ausersehen ist, der alternden Mutter


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[0315] Neue Iverke über Nordamerika uns kurz fassen. Dieser vielschreibende Manu kennt Chicago auch. Er ist durchgereist und hat sich aufgehalten, hat Menschen und Dinge kennen gelernt und mit lebhaftem Auge beobachtet. Dabei hat er aber keine Fühlung mit dem Ganzen gewonnen, und Ernst und Geist sucht man in dem Buche vergeb¬ lich. Die Beobachtungen bleiben an der Oberfläche, das Ganze hat etwas Flaches. Nach dem Grunde braucht man nicht lauge zu fragen. Wenn man in dem Abschnitt Frauenleben und Frauenthätigkeit liest, wie sich der Ver¬ fasser von Backfischen, die komponiren, dichten, malen, bildhauern, als Ver¬ treter der bessern europäischen Männerwelt anschwärmen läßt, hat man genug von ihm. Lassei? wir ihn diesen Damen. Wer so sehr von seiner eignen Wichtigkeit überzeugt ist, wie dieser Salonheld, kann Amerika nicht richtig auf¬ fassen, er schwebt nur so durch und wird den Dunstkreis seiner Eitelkeit nicht los. Was ein blasirter, aber geistreicher Weltmensch von mehr journalistischen als aristokratischen Neigungen und Gewohnheiten in Nordamerika sehen will und kann, hat Paul Lindau gesehen und natürlich auch beschrieben in seinem zweibändigen Buche: Altes und neues aus der Neuen Welt. Zwei Bände. (Berlin, 1893.) Eigentlich paßt Lindau nicht so recht hin. Großstädter von Anlage und Neigung, ohne angebornen Natursinn, sühlt er sich nur in Städten, Eisenbahnen, Dampfschiffen zu Hause und scheint, ein richtiger Faulpelz, keine Meile außerhalb der Straßen der Städte zu Fuß gegangen zu sein. Nordamerika ist aber noch so natürlich, die im Ur¬ zustande gebliebner Gebiete sind uoch so groß, daß eine Stüdtereise kein rich¬ tiges Bild gewährt. Die paar Fluß-, Küsten- und Gebirgsszenerien, die er mit beschreibt, sind nur die an den großen Straßen des Verkehrs liegenden, von aller Welt besuchten und schon hundertmal abgeschriebnen. Interessant wird Lindau, wo er von Menschen spricht. Er hat viele Bekanntschaften gemacht, das sucht ja ein Reisender seiner Art, und darunter auch die von Männern wie Schurz und Villard, die man immer wieder gern sieht und hört. Man möchte nnr noch mehr von den Ansichten und Urteilen dieser Männer hören. Wir gehen aber kaum fehl, wenn wir annehmen, daß viel davon in den Urteilen Lindaus enthalten sei, besonders in dem Endurteil am Schluß des zweiten Bandes. Dieses Schlußkapitel „Heimkehr" entschädigt sür viel Oberflächliches und Unbedeutendes, das in den frühern Abschnitten so hin¬ gesprochen ist, damit eben etwas gesagt werde. Es ist ein gedankenvoller Rück¬ blick, den der Reisende auf das Land wirft, das er durchfahren hat. Leider schließt er mit folgenden geschwollnen Sätzen: „Blöden Sinnes wäre der, der von den unausbleibliche» Unarten des Werdenden abgestoßen, seine Bewunde¬ rung einem Lande versagen wollte, dem die verheißnngsvollste Fertigkeit (?) gesichert ist, und das. nachdem es sich selbst an den Brüsten der altenro- päischen Kultur genährt, vielleicht dazu ausersehen ist, der alternden Mutter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/315>, abgerufen am 24.11.2024.