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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Neue Merke über Nordamerika

größten transatlantischen Landes abhängig. Andre Elemente politischer Bil¬
dung sind weiter verbreitet als dieses, und doch sollte von diesem Fehlen oder
Vorhandensein in Zweifelsfällen ohne weiteres unser Urteil darüber abhängig
sein, ob einer unsre politische und wirtschaftliche Lage überhaupt verstehe oder
nicht. Laßt also unsre Chicago-Waller viel mitbringen, was uns frommt; laßt
sie vor allem Urteile gewinnen über das, was uus von dem drüben auf
weitem Raum und in freier Luft neugeschaffnem zur Lehre dienen könnte.

Natürlich handelt es sich bei einem Lande, dessen Außenhandel schon
heute mehr als das Doppelte des Handels des russischen Reichs in Europa
und Asien betrügt, und mit, dem Deutschland in den letzten Jahren durch¬
schnittlich drei Viertelmilliarden Mark jährlich umsetzte, in erster Linie um Wirt¬
schaftliches. Unsre Landwirte werden sich Wohl vor allem die Frage vorlegen,
ob die Überflutung der europäischen Märkte mit Weizen und Schweinefleisch
und Schweinefett auch denn noch, durch intensivem Betrieb, aufrecht erhalten
werden kann, wenn keine neuen Räume mehr eingezäunt und beackert werden
können; und unsre Gewerbtreibenden werden nach den Ursachen der uner¬
warteten Selbständigkeit einiger wichtigen Zweige der nordamerikanischen Textil-
uud Metallindustrie forschen und werden fragen, ob mit ihrer Wettbewerbung
auf den europäischen Märkten schon heute in vollem Ernste zu rechnen sei.
Wer nicht das Glück hat, daß ihm sein Beruf so bestimmte Wege weist -- und
es ist ein Glück, in dem Wirrwarr einer Weltausstellung sich beschränkte
Aufgaben setzen zu können --, wird gut thun, wenn er sich durch alle die
schillernden Erscheinungen des Tages uicht abhalten läßt, immer wieder zur
Beobachtung drei großer Erscheinungen des amerikanischen Lebens zurückzu¬
kehren. Familie, Politik und Geld der Nordamerikaner in ihrer Macht und
Ohnmacht zu verstehen, heißt gegen viele Täuschungen und Enttäuschungen,
denen der Beobachter dort besonders leicht verfällt, geschützt zu sein. Und
außerdem kann sich der Europäer für die Erkenntnis der Entwicklung, die
dem Leben seines eignen Volks bevorsteht, nirgends besser vorbereiten als
dnrch das Studium dieser Großmächte im amerikanischen Leben.

Zunächst handelt es sich aber um näheres. Der reiselustige Mann ist
erst flott zu machen. Er will wissen, wie er zu reisen hat, wo und wie er
ankommt, und wie er sich inmitten neuer Einrichtungen zu verhalten habe.
Dafür will ein ganzes Bücherbrett voll neuer Bände forgen, von denen wir
ein paar erwähnenswerte dem geneigten Leser jetzt vorzeigen wollen.

Das praktischste aller Bücher über Chicago hat uns jedenfalls Bädeker
geliefert. Sein Nordamerika/') deutsch und englisch erschienen, wird Deutschen,



*) Nordamerika. Die Vereinigten Staaten nebst einem Ausflug nach Mexiko. Hand¬
buch für Reisende von K. V ab eker. Mit 17 Karten, 22 Plänen und 2 Grundrissen. Leipzig,
Karl Bädeker, 1893.
Neue Merke über Nordamerika

größten transatlantischen Landes abhängig. Andre Elemente politischer Bil¬
dung sind weiter verbreitet als dieses, und doch sollte von diesem Fehlen oder
Vorhandensein in Zweifelsfällen ohne weiteres unser Urteil darüber abhängig
sein, ob einer unsre politische und wirtschaftliche Lage überhaupt verstehe oder
nicht. Laßt also unsre Chicago-Waller viel mitbringen, was uns frommt; laßt
sie vor allem Urteile gewinnen über das, was uus von dem drüben auf
weitem Raum und in freier Luft neugeschaffnem zur Lehre dienen könnte.

Natürlich handelt es sich bei einem Lande, dessen Außenhandel schon
heute mehr als das Doppelte des Handels des russischen Reichs in Europa
und Asien betrügt, und mit, dem Deutschland in den letzten Jahren durch¬
schnittlich drei Viertelmilliarden Mark jährlich umsetzte, in erster Linie um Wirt¬
schaftliches. Unsre Landwirte werden sich Wohl vor allem die Frage vorlegen,
ob die Überflutung der europäischen Märkte mit Weizen und Schweinefleisch
und Schweinefett auch denn noch, durch intensivem Betrieb, aufrecht erhalten
werden kann, wenn keine neuen Räume mehr eingezäunt und beackert werden
können; und unsre Gewerbtreibenden werden nach den Ursachen der uner¬
warteten Selbständigkeit einiger wichtigen Zweige der nordamerikanischen Textil-
uud Metallindustrie forschen und werden fragen, ob mit ihrer Wettbewerbung
auf den europäischen Märkten schon heute in vollem Ernste zu rechnen sei.
Wer nicht das Glück hat, daß ihm sein Beruf so bestimmte Wege weist — und
es ist ein Glück, in dem Wirrwarr einer Weltausstellung sich beschränkte
Aufgaben setzen zu können —, wird gut thun, wenn er sich durch alle die
schillernden Erscheinungen des Tages uicht abhalten läßt, immer wieder zur
Beobachtung drei großer Erscheinungen des amerikanischen Lebens zurückzu¬
kehren. Familie, Politik und Geld der Nordamerikaner in ihrer Macht und
Ohnmacht zu verstehen, heißt gegen viele Täuschungen und Enttäuschungen,
denen der Beobachter dort besonders leicht verfällt, geschützt zu sein. Und
außerdem kann sich der Europäer für die Erkenntnis der Entwicklung, die
dem Leben seines eignen Volks bevorsteht, nirgends besser vorbereiten als
dnrch das Studium dieser Großmächte im amerikanischen Leben.

Zunächst handelt es sich aber um näheres. Der reiselustige Mann ist
erst flott zu machen. Er will wissen, wie er zu reisen hat, wo und wie er
ankommt, und wie er sich inmitten neuer Einrichtungen zu verhalten habe.
Dafür will ein ganzes Bücherbrett voll neuer Bände forgen, von denen wir
ein paar erwähnenswerte dem geneigten Leser jetzt vorzeigen wollen.

Das praktischste aller Bücher über Chicago hat uns jedenfalls Bädeker
geliefert. Sein Nordamerika/') deutsch und englisch erschienen, wird Deutschen,



*) Nordamerika. Die Vereinigten Staaten nebst einem Ausflug nach Mexiko. Hand¬
buch für Reisende von K. V ab eker. Mit 17 Karten, 22 Plänen und 2 Grundrissen. Leipzig,
Karl Bädeker, 1893.
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[0312] Neue Merke über Nordamerika größten transatlantischen Landes abhängig. Andre Elemente politischer Bil¬ dung sind weiter verbreitet als dieses, und doch sollte von diesem Fehlen oder Vorhandensein in Zweifelsfällen ohne weiteres unser Urteil darüber abhängig sein, ob einer unsre politische und wirtschaftliche Lage überhaupt verstehe oder nicht. Laßt also unsre Chicago-Waller viel mitbringen, was uns frommt; laßt sie vor allem Urteile gewinnen über das, was uus von dem drüben auf weitem Raum und in freier Luft neugeschaffnem zur Lehre dienen könnte. Natürlich handelt es sich bei einem Lande, dessen Außenhandel schon heute mehr als das Doppelte des Handels des russischen Reichs in Europa und Asien betrügt, und mit, dem Deutschland in den letzten Jahren durch¬ schnittlich drei Viertelmilliarden Mark jährlich umsetzte, in erster Linie um Wirt¬ schaftliches. Unsre Landwirte werden sich Wohl vor allem die Frage vorlegen, ob die Überflutung der europäischen Märkte mit Weizen und Schweinefleisch und Schweinefett auch denn noch, durch intensivem Betrieb, aufrecht erhalten werden kann, wenn keine neuen Räume mehr eingezäunt und beackert werden können; und unsre Gewerbtreibenden werden nach den Ursachen der uner¬ warteten Selbständigkeit einiger wichtigen Zweige der nordamerikanischen Textil- uud Metallindustrie forschen und werden fragen, ob mit ihrer Wettbewerbung auf den europäischen Märkten schon heute in vollem Ernste zu rechnen sei. Wer nicht das Glück hat, daß ihm sein Beruf so bestimmte Wege weist — und es ist ein Glück, in dem Wirrwarr einer Weltausstellung sich beschränkte Aufgaben setzen zu können —, wird gut thun, wenn er sich durch alle die schillernden Erscheinungen des Tages uicht abhalten läßt, immer wieder zur Beobachtung drei großer Erscheinungen des amerikanischen Lebens zurückzu¬ kehren. Familie, Politik und Geld der Nordamerikaner in ihrer Macht und Ohnmacht zu verstehen, heißt gegen viele Täuschungen und Enttäuschungen, denen der Beobachter dort besonders leicht verfällt, geschützt zu sein. Und außerdem kann sich der Europäer für die Erkenntnis der Entwicklung, die dem Leben seines eignen Volks bevorsteht, nirgends besser vorbereiten als dnrch das Studium dieser Großmächte im amerikanischen Leben. Zunächst handelt es sich aber um näheres. Der reiselustige Mann ist erst flott zu machen. Er will wissen, wie er zu reisen hat, wo und wie er ankommt, und wie er sich inmitten neuer Einrichtungen zu verhalten habe. Dafür will ein ganzes Bücherbrett voll neuer Bände forgen, von denen wir ein paar erwähnenswerte dem geneigten Leser jetzt vorzeigen wollen. Das praktischste aller Bücher über Chicago hat uns jedenfalls Bädeker geliefert. Sein Nordamerika/') deutsch und englisch erschienen, wird Deutschen, *) Nordamerika. Die Vereinigten Staaten nebst einem Ausflug nach Mexiko. Hand¬ buch für Reisende von K. V ab eker. Mit 17 Karten, 22 Plänen und 2 Grundrissen. Leipzig, Karl Bädeker, 1893.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/312>, abgerufen am 28.07.2024.