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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Neue Merke über Nordamerika

Staat, der als europäische Großmacht eine Rolle gespielt habe, könne
in absehbarer Zeit zu den Kleinstaaten gehören. "Wollen die europäischen
Staaten ihre Weltstellung aufrecht erhalten, so werden sie nicht umhin
können, soweit sie wenigstens nach ihren Anlagen dazu geeignet sind, sich
eng aneinnnderzuschließen." Bei dieser Mahnung schwebten ihm die Ver¬
einigten Staaten von Amerika vor, deren panamerikanischen Plänen damals
in Europa viel zu großes Gewicht beigelegt wurde. Ein Reich, dreimal so stark
wie Europa, wäre ja keine Kleinigkeit, kann aber dem Wesen der Dinge nach
nicht so nahe sein, wie man damals furchtsamerwcise annehmen wollte. Immer¬
hin wachsen die Vereinigten Staaten in der Richtung ihrer panamerikanischen
Bestrebungen langsam südwärts und über deu Golf von Mexiko; zunächst
ziehen sie Teile von Mexiko und Zentralamerika näher an sich heran. Wir
mögen von dem Endergebnis halten, was wir wollen, den Weg und die Me¬
thode wollen wir uns merken: Unternehmung und Kapital, das sind die
Pioniere dieses Vormarsches. Der Schmuggel, der Handel, der Bergbau, die
Eisenbahnen haben die mexikanischen Nordstaaten bis Durango mit einem
ganzen Netz nordamerikanischer Interessen überzogen, das täglich enger wird.
In dem Gesamthandel dieses Landes nehmen die Vereinigten Staaten seit
wenigen Jahren die erste Stelle ein. Die heilsamste Pflege politischer Keime
ist die, die den Boden mit materiellen Interessen düngt. Ahnen wir das nach,
soweit wir können. Knüpfen wir durch wirtschaftliche Bande die Nachbarn
zusammen, die politischen Übereinstimmungen folgen dann in gewiesenen Wegen.
Die Geschichte des Zollvereins hat in Amerika viel Interesse erregt. Ameri¬
kaner können uns nun zum Dank lehren, daß man heute bei der Entwicklung
eines Zollgebiets nicht bei 10000 Quadratmeilen stehen bleiben darf, und wie
man es weiter bringt.

Der Zug der deutschen Besucher der Weltausstellung in Chicago ist
immer dichter geworden. Weder die großen Summen für die Einrichtung der
deutschen Ausstellung, die allgemein gelobt wird, noch die Reisegelder bereiten
uns diesmal nationale Beklemmungen. Sonst zahlen wir uns nicht zu den
Freunden dieser modernen Bazare, die uns wie bombastische Phrasen anmuten.
Dieses mal hoffen wir viel von der Kenntnis transatlantischer Zustände, die
unsre Wandrer zurückbringen werde". Ein Land zu kennen, das unter allen
außereuropäischen an allem, was Macht giebt, besonders an Reichtum und
Bildung weit voransteht, mit dem uns Deutsche außerdem die geschichtlichen
Wirkungen und Erinnerungen einer seit zweihundert Jahren immer gewachsenen
Auswanderung und einer deutsch-amerikanischen Bevölkerung verbinden, die
jetzt sechs bis sieben Millionen zählt, ist nicht bloß ein empfehlenswerter
Vorzug, sondern für eine immer noch zunehmende Zahl vou uns unbedingt
notwendig. Bei unsern Staatsmännern, Großindustriellen, Großkaufleuten und
Sozialpolitiken! ist die Fähigkeit, richtig zu urteilen, von der Kenntnis dieses


Neue Merke über Nordamerika

Staat, der als europäische Großmacht eine Rolle gespielt habe, könne
in absehbarer Zeit zu den Kleinstaaten gehören. „Wollen die europäischen
Staaten ihre Weltstellung aufrecht erhalten, so werden sie nicht umhin
können, soweit sie wenigstens nach ihren Anlagen dazu geeignet sind, sich
eng aneinnnderzuschließen." Bei dieser Mahnung schwebten ihm die Ver¬
einigten Staaten von Amerika vor, deren panamerikanischen Plänen damals
in Europa viel zu großes Gewicht beigelegt wurde. Ein Reich, dreimal so stark
wie Europa, wäre ja keine Kleinigkeit, kann aber dem Wesen der Dinge nach
nicht so nahe sein, wie man damals furchtsamerwcise annehmen wollte. Immer¬
hin wachsen die Vereinigten Staaten in der Richtung ihrer panamerikanischen
Bestrebungen langsam südwärts und über deu Golf von Mexiko; zunächst
ziehen sie Teile von Mexiko und Zentralamerika näher an sich heran. Wir
mögen von dem Endergebnis halten, was wir wollen, den Weg und die Me¬
thode wollen wir uns merken: Unternehmung und Kapital, das sind die
Pioniere dieses Vormarsches. Der Schmuggel, der Handel, der Bergbau, die
Eisenbahnen haben die mexikanischen Nordstaaten bis Durango mit einem
ganzen Netz nordamerikanischer Interessen überzogen, das täglich enger wird.
In dem Gesamthandel dieses Landes nehmen die Vereinigten Staaten seit
wenigen Jahren die erste Stelle ein. Die heilsamste Pflege politischer Keime
ist die, die den Boden mit materiellen Interessen düngt. Ahnen wir das nach,
soweit wir können. Knüpfen wir durch wirtschaftliche Bande die Nachbarn
zusammen, die politischen Übereinstimmungen folgen dann in gewiesenen Wegen.
Die Geschichte des Zollvereins hat in Amerika viel Interesse erregt. Ameri¬
kaner können uns nun zum Dank lehren, daß man heute bei der Entwicklung
eines Zollgebiets nicht bei 10000 Quadratmeilen stehen bleiben darf, und wie
man es weiter bringt.

Der Zug der deutschen Besucher der Weltausstellung in Chicago ist
immer dichter geworden. Weder die großen Summen für die Einrichtung der
deutschen Ausstellung, die allgemein gelobt wird, noch die Reisegelder bereiten
uns diesmal nationale Beklemmungen. Sonst zahlen wir uns nicht zu den
Freunden dieser modernen Bazare, die uns wie bombastische Phrasen anmuten.
Dieses mal hoffen wir viel von der Kenntnis transatlantischer Zustände, die
unsre Wandrer zurückbringen werde». Ein Land zu kennen, das unter allen
außereuropäischen an allem, was Macht giebt, besonders an Reichtum und
Bildung weit voransteht, mit dem uns Deutsche außerdem die geschichtlichen
Wirkungen und Erinnerungen einer seit zweihundert Jahren immer gewachsenen
Auswanderung und einer deutsch-amerikanischen Bevölkerung verbinden, die
jetzt sechs bis sieben Millionen zählt, ist nicht bloß ein empfehlenswerter
Vorzug, sondern für eine immer noch zunehmende Zahl vou uns unbedingt
notwendig. Bei unsern Staatsmännern, Großindustriellen, Großkaufleuten und
Sozialpolitiken! ist die Fähigkeit, richtig zu urteilen, von der Kenntnis dieses


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/311>, abgerufen am 23.11.2024.