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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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wäre daher die Beseitigung dieses Eigentums eher erwünscht als unerwünscht.
Die allmähliche Annäherung an dieses Ziel ist nach dem dargelegten auch nicht
mit so unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden, als es scheinen könnte."

Als Berlin die Hauptstadt des deutschen Reichs wurde, als es einem
großartigen Aufschwung entgegenging, schlug Wagner die Festlegung des da¬
maligen Bodenwertes vor und die Einziehung des künftig entstehenden Wertes
für die Kommune. Wäre das geschehen, so hätte an diesem Werte Berlin
eine Einnahme, die alle heutigen Kommunal- und Staatssteuern der Stadt
überträfe. Die Christlichsozialen beklagen es jetzt, daß man in Berlin nicht
zu rechter Zeit die Hand auf allen Baugrund gelegt und in städtischen Besitz
gebracht hat; durch die ungeheuern Bangrundpreise werde "dem armen Manne
das Wohnen in unverantwortlicher Weise verteuert und die soziale Gefahr un¬
gemein verstärkt."

Eine Partei der Antisemiten hat die Vodenbesitzreform geradezu in ihr
Programm aufgenommen. Ebenso neuerdings Egidy. Behörden suchen vor¬
läufig wenigstens durch Bauordnungen das öffentliche Interesse an der Be¬
bauung des Grund und Bodens zu wahren. In der gemischten Kommission,
die Magistrat und Stadtverordnete von Berlin zur Beratung der Einverlei¬
bung der Vororte eingesetzt haben, wurde der Antrag gestellt, es solle die Re¬
gierung ersucht werden, in das zu erlassende Einverleibnngsgesetz eine Bestim¬
mung aufzunehmen, wonach es der Gemeinde Berlin freistehen solle, den noch
unbebauten einzuverleibenden Grund und Boden zu seinem gegenwärtigen Werte
zu enteignen. Überall Gedanken der Vodenbesitzreform! Wenn nicht alles trügt,
mird zuerst der Boden der großen Städte der Verstaatlichung anheim sollen.
Vielleicht kommen ihm noch die Bergwerke zuvor.

Ist aber Aussicht vorhanden, daß sich die Verstaatlichung nicht auf das
Ackerland auszudehnen brauchte? Schwerlich! Denn wenn die Verstaatlichung
des Grund und Bodens der großen Städte einen Vorteil für das Leben der
Gesamtheit bedeutet, so würde die Anziehungskraft dieser großen Städte, die
jetzt schon groß genug ist, noch verstärkt werden, und die kleinern Städte und
das Land hätten schleunigst nachzufolgen. Sander, der Schüler Ad. Wagners,
legt sogar mehr Gewicht auf die Überführung des ländlichen Bodens in die
Hände der Gesellschaft. Und die Stimmen vom Lande, die nach Erhaltung
und Mehrung des Gemeindeeigentums rufen, mehren sich. Abgesehen von
solchen überzeugten Bodenbefitzreformern, wie von Helldorf-Vanmersroda,
brachte z. B. die treffliche Zeitschrift "Das Land," die gar nicht für Voden¬
besitzreform ist, kürzlich einen Aufsatz aus der Feder des Redakteurs selbst, des
bekannten Schriftstellers Sohnrey, worin er den Mahnruf ertönen ließ: "Schützt
und erhaltet die Gemeindegüter, und wo sie infolge der geistigen Kurzsichtig¬
keit verloren gegangen sind, da sorge man eilends für vollwertigen Ersatz."
Er erwähnt den Erlaß eines elsässischen Kreisdirektors, worin es heißt: "In


wäre daher die Beseitigung dieses Eigentums eher erwünscht als unerwünscht.
Die allmähliche Annäherung an dieses Ziel ist nach dem dargelegten auch nicht
mit so unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden, als es scheinen könnte."

Als Berlin die Hauptstadt des deutschen Reichs wurde, als es einem
großartigen Aufschwung entgegenging, schlug Wagner die Festlegung des da¬
maligen Bodenwertes vor und die Einziehung des künftig entstehenden Wertes
für die Kommune. Wäre das geschehen, so hätte an diesem Werte Berlin
eine Einnahme, die alle heutigen Kommunal- und Staatssteuern der Stadt
überträfe. Die Christlichsozialen beklagen es jetzt, daß man in Berlin nicht
zu rechter Zeit die Hand auf allen Baugrund gelegt und in städtischen Besitz
gebracht hat; durch die ungeheuern Bangrundpreise werde „dem armen Manne
das Wohnen in unverantwortlicher Weise verteuert und die soziale Gefahr un¬
gemein verstärkt."

Eine Partei der Antisemiten hat die Vodenbesitzreform geradezu in ihr
Programm aufgenommen. Ebenso neuerdings Egidy. Behörden suchen vor¬
läufig wenigstens durch Bauordnungen das öffentliche Interesse an der Be¬
bauung des Grund und Bodens zu wahren. In der gemischten Kommission,
die Magistrat und Stadtverordnete von Berlin zur Beratung der Einverlei¬
bung der Vororte eingesetzt haben, wurde der Antrag gestellt, es solle die Re¬
gierung ersucht werden, in das zu erlassende Einverleibnngsgesetz eine Bestim¬
mung aufzunehmen, wonach es der Gemeinde Berlin freistehen solle, den noch
unbebauten einzuverleibenden Grund und Boden zu seinem gegenwärtigen Werte
zu enteignen. Überall Gedanken der Vodenbesitzreform! Wenn nicht alles trügt,
mird zuerst der Boden der großen Städte der Verstaatlichung anheim sollen.
Vielleicht kommen ihm noch die Bergwerke zuvor.

Ist aber Aussicht vorhanden, daß sich die Verstaatlichung nicht auf das
Ackerland auszudehnen brauchte? Schwerlich! Denn wenn die Verstaatlichung
des Grund und Bodens der großen Städte einen Vorteil für das Leben der
Gesamtheit bedeutet, so würde die Anziehungskraft dieser großen Städte, die
jetzt schon groß genug ist, noch verstärkt werden, und die kleinern Städte und
das Land hätten schleunigst nachzufolgen. Sander, der Schüler Ad. Wagners,
legt sogar mehr Gewicht auf die Überführung des ländlichen Bodens in die
Hände der Gesellschaft. Und die Stimmen vom Lande, die nach Erhaltung
und Mehrung des Gemeindeeigentums rufen, mehren sich. Abgesehen von
solchen überzeugten Bodenbefitzreformern, wie von Helldorf-Vanmersroda,
brachte z. B. die treffliche Zeitschrift „Das Land," die gar nicht für Voden¬
besitzreform ist, kürzlich einen Aufsatz aus der Feder des Redakteurs selbst, des
bekannten Schriftstellers Sohnrey, worin er den Mahnruf ertönen ließ: „Schützt
und erhaltet die Gemeindegüter, und wo sie infolge der geistigen Kurzsichtig¬
keit verloren gegangen sind, da sorge man eilends für vollwertigen Ersatz."
Er erwähnt den Erlaß eines elsässischen Kreisdirektors, worin es heißt: „In


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/308>, abgerufen am 23.11.2024.