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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Der Grundgedanke der Bodenbesitzreform, daß der Gesellschaft alles ge¬
hören müsse, was sie an Wert erzeugt, ist heutzutage in einem Stücke sast
dem gauzen Volke sympathisch: in der Npothekenfrage. Hier tritt auch wieder
recht deutlich der Unterschied der Interessen zwischen dem Eigentümer der
Apotheke und dem Verweser hervor: dem Eigentümer liegt daran, den Wert
der Apotheke so hoch wie möglich zu steigern, während der arbeitende Apo¬
theker so billig wie möglich zu der Arbeitsmöglichkeit zu kommen trachtet.
Der Eigentümer streicht den durch die Entwicklung der Gesellschaft entstandnen
Mehrwert -- mit oder ohne schönen Dank -- ein; da drängt sich der Plan
der Verstaatlichung der Apotheken und ihre Verpachtung von selbst ans.

Für die großen Städte regen sich ähnliche Gedanken. Tritt in ihnen
doch dem denkenden Menschen der Widersinn kraß entgegen, daß, je mehr sich
dort die Menschen sammeln und arbeiten und sich durch gegenseitigen Dienst
die Arbeit und den Genuß erleichtern, je mehr sie damit einen neuen, an sich
erfreulichen Wert, den Mehrwert des Grund und Bodens erzeugen, diese
selben Menschen sich eine desto größere Last auf ihre eignen Schultern häufen;
sie binden sich selber die Rute, mit der sie gezüchtigt werden.

Über die Miete sagt Ad. Wagner, der unter den Nationnlölonomen her¬
vorragend soziales Verständnis besitzt: "Nur ein Teil der Miete stellt sich
ökonomisch als Entgelt nach den gewöhnliche!, Preisbestimmungsgründen des
freien Verkehrs dar, ein andrer Teil nnr als erzwungne Zahlung oder als
Nvtpreis des Käufers, wegen der monopolistischen Stellung des Verkäufers,
d. h. hier des privaten Grund- und Hauseigentümers. Sogar die bedeutenden
Verwendungen aus öffentlichen Mitteln des Staats und besonders der Ge¬
meinde -- also mit andern Worten: aus den Mitteln der gesamten Bevölke¬
rung für Straßen, Reinlichkeit, Gesundheit, Sicherheit, Unterrichtswesen u. s. w.
dienen schließlich dazu, die Höhe der Renten und den Wert des städtischen
Grund- und Gebüudeeigentums zu steigern, weil die Vermehrung der städtischen
Bevölkerung dadurch begünstigt wird. In solchen Füllen Profitirt der städtische
Grundbesitz doppelt, und die Nichtgrundbesitzende Bevölkerung giebt selbst in
den Steuern das Geld zu den Ausgaben her, die indirekt zu einer neuen
Steigerung der Mieter für sie führen, leidet also doppelt." Wagner faßt seine
Untersuchung über das städtische Grundeigentum dahin zusammen: "Das pri¬
vate städtische Grund- und Hauseigentnm ist bestenfalls ein recht mangelhaftes
Mittel für die Bevölkerung, eins der ersten materiellen Bediirfnisfe sicher zu
stellen. Das umsomehr, je mehr die Entwicklung des Großstädtewesens vor¬
wärts geht. Vom sozialpolitischen und vom Verteilungsintcresse aus betrachtet


seitigung des privaten Grundeigentums bestehen bleiben." Die Bodenbesitzrcsormer betonen
gerade das privatwirtschaftliche System und sind der Ansicht, daß es gerade erst unter der
Bodenbcsitzrefvrm zu seiner vollen Entfaltung gelangen werde.

Der Grundgedanke der Bodenbesitzreform, daß der Gesellschaft alles ge¬
hören müsse, was sie an Wert erzeugt, ist heutzutage in einem Stücke sast
dem gauzen Volke sympathisch: in der Npothekenfrage. Hier tritt auch wieder
recht deutlich der Unterschied der Interessen zwischen dem Eigentümer der
Apotheke und dem Verweser hervor: dem Eigentümer liegt daran, den Wert
der Apotheke so hoch wie möglich zu steigern, während der arbeitende Apo¬
theker so billig wie möglich zu der Arbeitsmöglichkeit zu kommen trachtet.
Der Eigentümer streicht den durch die Entwicklung der Gesellschaft entstandnen
Mehrwert — mit oder ohne schönen Dank — ein; da drängt sich der Plan
der Verstaatlichung der Apotheken und ihre Verpachtung von selbst ans.

Für die großen Städte regen sich ähnliche Gedanken. Tritt in ihnen
doch dem denkenden Menschen der Widersinn kraß entgegen, daß, je mehr sich
dort die Menschen sammeln und arbeiten und sich durch gegenseitigen Dienst
die Arbeit und den Genuß erleichtern, je mehr sie damit einen neuen, an sich
erfreulichen Wert, den Mehrwert des Grund und Bodens erzeugen, diese
selben Menschen sich eine desto größere Last auf ihre eignen Schultern häufen;
sie binden sich selber die Rute, mit der sie gezüchtigt werden.

Über die Miete sagt Ad. Wagner, der unter den Nationnlölonomen her¬
vorragend soziales Verständnis besitzt: „Nur ein Teil der Miete stellt sich
ökonomisch als Entgelt nach den gewöhnliche!, Preisbestimmungsgründen des
freien Verkehrs dar, ein andrer Teil nnr als erzwungne Zahlung oder als
Nvtpreis des Käufers, wegen der monopolistischen Stellung des Verkäufers,
d. h. hier des privaten Grund- und Hauseigentümers. Sogar die bedeutenden
Verwendungen aus öffentlichen Mitteln des Staats und besonders der Ge¬
meinde — also mit andern Worten: aus den Mitteln der gesamten Bevölke¬
rung für Straßen, Reinlichkeit, Gesundheit, Sicherheit, Unterrichtswesen u. s. w.
dienen schließlich dazu, die Höhe der Renten und den Wert des städtischen
Grund- und Gebüudeeigentums zu steigern, weil die Vermehrung der städtischen
Bevölkerung dadurch begünstigt wird. In solchen Füllen Profitirt der städtische
Grundbesitz doppelt, und die Nichtgrundbesitzende Bevölkerung giebt selbst in
den Steuern das Geld zu den Ausgaben her, die indirekt zu einer neuen
Steigerung der Mieter für sie führen, leidet also doppelt." Wagner faßt seine
Untersuchung über das städtische Grundeigentum dahin zusammen: „Das pri¬
vate städtische Grund- und Hauseigentnm ist bestenfalls ein recht mangelhaftes
Mittel für die Bevölkerung, eins der ersten materiellen Bediirfnisfe sicher zu
stellen. Das umsomehr, je mehr die Entwicklung des Großstädtewesens vor¬
wärts geht. Vom sozialpolitischen und vom Verteilungsintcresse aus betrachtet


seitigung des privaten Grundeigentums bestehen bleiben." Die Bodenbesitzrcsormer betonen
gerade das privatwirtschaftliche System und sind der Ansicht, daß es gerade erst unter der
Bodenbcsitzrefvrm zu seiner vollen Entfaltung gelangen werde.
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[0307] Der Grundgedanke der Bodenbesitzreform, daß der Gesellschaft alles ge¬ hören müsse, was sie an Wert erzeugt, ist heutzutage in einem Stücke sast dem gauzen Volke sympathisch: in der Npothekenfrage. Hier tritt auch wieder recht deutlich der Unterschied der Interessen zwischen dem Eigentümer der Apotheke und dem Verweser hervor: dem Eigentümer liegt daran, den Wert der Apotheke so hoch wie möglich zu steigern, während der arbeitende Apo¬ theker so billig wie möglich zu der Arbeitsmöglichkeit zu kommen trachtet. Der Eigentümer streicht den durch die Entwicklung der Gesellschaft entstandnen Mehrwert — mit oder ohne schönen Dank — ein; da drängt sich der Plan der Verstaatlichung der Apotheken und ihre Verpachtung von selbst ans. Für die großen Städte regen sich ähnliche Gedanken. Tritt in ihnen doch dem denkenden Menschen der Widersinn kraß entgegen, daß, je mehr sich dort die Menschen sammeln und arbeiten und sich durch gegenseitigen Dienst die Arbeit und den Genuß erleichtern, je mehr sie damit einen neuen, an sich erfreulichen Wert, den Mehrwert des Grund und Bodens erzeugen, diese selben Menschen sich eine desto größere Last auf ihre eignen Schultern häufen; sie binden sich selber die Rute, mit der sie gezüchtigt werden. Über die Miete sagt Ad. Wagner, der unter den Nationnlölonomen her¬ vorragend soziales Verständnis besitzt: „Nur ein Teil der Miete stellt sich ökonomisch als Entgelt nach den gewöhnliche!, Preisbestimmungsgründen des freien Verkehrs dar, ein andrer Teil nnr als erzwungne Zahlung oder als Nvtpreis des Käufers, wegen der monopolistischen Stellung des Verkäufers, d. h. hier des privaten Grund- und Hauseigentümers. Sogar die bedeutenden Verwendungen aus öffentlichen Mitteln des Staats und besonders der Ge¬ meinde — also mit andern Worten: aus den Mitteln der gesamten Bevölke¬ rung für Straßen, Reinlichkeit, Gesundheit, Sicherheit, Unterrichtswesen u. s. w. dienen schließlich dazu, die Höhe der Renten und den Wert des städtischen Grund- und Gebüudeeigentums zu steigern, weil die Vermehrung der städtischen Bevölkerung dadurch begünstigt wird. In solchen Füllen Profitirt der städtische Grundbesitz doppelt, und die Nichtgrundbesitzende Bevölkerung giebt selbst in den Steuern das Geld zu den Ausgaben her, die indirekt zu einer neuen Steigerung der Mieter für sie führen, leidet also doppelt." Wagner faßt seine Untersuchung über das städtische Grundeigentum dahin zusammen: „Das pri¬ vate städtische Grund- und Hauseigentnm ist bestenfalls ein recht mangelhaftes Mittel für die Bevölkerung, eins der ersten materiellen Bediirfnisfe sicher zu stellen. Das umsomehr, je mehr die Entwicklung des Großstädtewesens vor¬ wärts geht. Vom sozialpolitischen und vom Verteilungsintcresse aus betrachtet seitigung des privaten Grundeigentums bestehen bleiben." Die Bodenbesitzrcsormer betonen gerade das privatwirtschaftliche System und sind der Ansicht, daß es gerade erst unter der Bodenbcsitzrefvrm zu seiner vollen Entfaltung gelangen werde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/307>, abgerufen am 24.11.2024.