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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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wärtigen Staat reich machen, der dann allerdings eine wesentliche Umwandlung
erfahren würde.

Dem entsprechend geht auch die Betrachtung der Wirtschaftsgeschichte bei
beiden auseinander: die Sozialdemokratie legt alles Gewicht auf die Verän¬
derung des wirtschaftlichen Betriebes im Laufe der Jahrhunderte und Jahr¬
tausende; für die Bodenbesitzreform ist diese zwar ein wesentlicher, aber doch
etwas untergeordneter Punkt, das Hauptgewicht liegt auf den Veränderungen
in dem sozialen und privaten Eigentum. Ihre Geschichtsphilosophie läßt sich
kurz dahin zusammenfassen: von dem Gemeinbesitz ist die Entwicklung der
Gesellschaft ausgegangen, er hat sich aufgelöst in den Privatbesitz, das soziale
Element ist mehr und mehr zurückgetreten; der Erwerb dieser das Indi¬
viduum betonenden und entwickelnden Periode wird aber uicht verloren gehen
in der Rückkehr zu dem Gemeinbesitz, wenn auch jetzt auf hoher Kulturstufe
-- wie die Sozialdemokraten meinen --, sondern er wird aufgehoben sein in
einer Wirtschaft, die ein soziales Eigentum in dem gesellschaftlich gesteigerten
Werte des Grund und Bodens zu ihrer festen, breiten Grundlage hat, auf
der sich die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen erhebt -- Sozialismus und
Individualismus eirunder fordernd und fördernd.

Unsre gegenwärtige Wirtschaftsverfassung verleugnet das Eigentum der
Gesellschaft,^) sie kennt fast nur das Eigentum der Privaten; sie wirft den
Boden und die Produktionswerkzeuge und die Arbeitsprodukte, alles in einen
Topf und behandelt sie alle gleich: iäsnr oui^us, als ob sie nicht grundver-
schiedne Natur besüßen. So wirft denn der kommunistische Staat, das Kind
und der Erbe der jetzigen Gesellschaft, auch seinerseits alles in einen Topf.
Der Unterschied ist nur der, daß der gegenwärtige Staat sagt: alles in Privat-
bauten, und der Zukunftsstaat: alles in Gesellschaftshänden. Die Boden¬
besitzreform dagegen hätte zur Devise das suum euicsus: der Gesellschaft, was
ihr, und den Privaten, was ihnen gebührt; und wieder: dem Boden eine
nationalökonomische Behandlung nach seiner Art und den Produktionswerk-
zeugeu und den Produkten eine Behandlung nach ihrer Art."^)




*) Dem Eigentum, das die Gesellschaft noch besitzt, pflegt ein enormes Debet in Staats¬
und Gemeindcschulden gegenüberzustehen.
Daß die Einführung der Bvdendesitzreform wirtschaftlich wohl möglich ist, während
die von der Sozialdemokratie geforderte Abschaffung des Privatkapitals den größten national¬
ökonomischen Bedenken begegnet, erkennt Adolf Wagner an: "Selbst eine vollständige Ab¬
schaffung alles privaten Grundeigentums ist weder so schwer denkbar, wie die gleiche Ma߬
regel bei dein Kapitaleigcntum, noch so schwierig durchzuführen, noch erscheint sie notwendig
von vornherein so verhängnisvoll für das Produktionsinteresse, und zwar einfach deswegen
nicht, weil sie sich verwirklichen ließe ohne eine so vollständige Verrückung oder Umgestaltung
der ganzen Organisation der Volkswirtschaft, loin sie eine Abschaffung des Privatkapitals
erfordern würde. Das privatkapitalistische System könnte in der Hauptsache bei der Be-

wärtigen Staat reich machen, der dann allerdings eine wesentliche Umwandlung
erfahren würde.

Dem entsprechend geht auch die Betrachtung der Wirtschaftsgeschichte bei
beiden auseinander: die Sozialdemokratie legt alles Gewicht auf die Verän¬
derung des wirtschaftlichen Betriebes im Laufe der Jahrhunderte und Jahr¬
tausende; für die Bodenbesitzreform ist diese zwar ein wesentlicher, aber doch
etwas untergeordneter Punkt, das Hauptgewicht liegt auf den Veränderungen
in dem sozialen und privaten Eigentum. Ihre Geschichtsphilosophie läßt sich
kurz dahin zusammenfassen: von dem Gemeinbesitz ist die Entwicklung der
Gesellschaft ausgegangen, er hat sich aufgelöst in den Privatbesitz, das soziale
Element ist mehr und mehr zurückgetreten; der Erwerb dieser das Indi¬
viduum betonenden und entwickelnden Periode wird aber uicht verloren gehen
in der Rückkehr zu dem Gemeinbesitz, wenn auch jetzt auf hoher Kulturstufe
— wie die Sozialdemokraten meinen —, sondern er wird aufgehoben sein in
einer Wirtschaft, die ein soziales Eigentum in dem gesellschaftlich gesteigerten
Werte des Grund und Bodens zu ihrer festen, breiten Grundlage hat, auf
der sich die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen erhebt — Sozialismus und
Individualismus eirunder fordernd und fördernd.

Unsre gegenwärtige Wirtschaftsverfassung verleugnet das Eigentum der
Gesellschaft,^) sie kennt fast nur das Eigentum der Privaten; sie wirft den
Boden und die Produktionswerkzeuge und die Arbeitsprodukte, alles in einen
Topf und behandelt sie alle gleich: iäsnr oui^us, als ob sie nicht grundver-
schiedne Natur besüßen. So wirft denn der kommunistische Staat, das Kind
und der Erbe der jetzigen Gesellschaft, auch seinerseits alles in einen Topf.
Der Unterschied ist nur der, daß der gegenwärtige Staat sagt: alles in Privat-
bauten, und der Zukunftsstaat: alles in Gesellschaftshänden. Die Boden¬
besitzreform dagegen hätte zur Devise das suum euicsus: der Gesellschaft, was
ihr, und den Privaten, was ihnen gebührt; und wieder: dem Boden eine
nationalökonomische Behandlung nach seiner Art und den Produktionswerk-
zeugeu und den Produkten eine Behandlung nach ihrer Art."^)




*) Dem Eigentum, das die Gesellschaft noch besitzt, pflegt ein enormes Debet in Staats¬
und Gemeindcschulden gegenüberzustehen.
Daß die Einführung der Bvdendesitzreform wirtschaftlich wohl möglich ist, während
die von der Sozialdemokratie geforderte Abschaffung des Privatkapitals den größten national¬
ökonomischen Bedenken begegnet, erkennt Adolf Wagner an: „Selbst eine vollständige Ab¬
schaffung alles privaten Grundeigentums ist weder so schwer denkbar, wie die gleiche Ma߬
regel bei dein Kapitaleigcntum, noch so schwierig durchzuführen, noch erscheint sie notwendig
von vornherein so verhängnisvoll für das Produktionsinteresse, und zwar einfach deswegen
nicht, weil sie sich verwirklichen ließe ohne eine so vollständige Verrückung oder Umgestaltung
der ganzen Organisation der Volkswirtschaft, loin sie eine Abschaffung des Privatkapitals
erfordern würde. Das privatkapitalistische System könnte in der Hauptsache bei der Be-
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[0306] wärtigen Staat reich machen, der dann allerdings eine wesentliche Umwandlung erfahren würde. Dem entsprechend geht auch die Betrachtung der Wirtschaftsgeschichte bei beiden auseinander: die Sozialdemokratie legt alles Gewicht auf die Verän¬ derung des wirtschaftlichen Betriebes im Laufe der Jahrhunderte und Jahr¬ tausende; für die Bodenbesitzreform ist diese zwar ein wesentlicher, aber doch etwas untergeordneter Punkt, das Hauptgewicht liegt auf den Veränderungen in dem sozialen und privaten Eigentum. Ihre Geschichtsphilosophie läßt sich kurz dahin zusammenfassen: von dem Gemeinbesitz ist die Entwicklung der Gesellschaft ausgegangen, er hat sich aufgelöst in den Privatbesitz, das soziale Element ist mehr und mehr zurückgetreten; der Erwerb dieser das Indi¬ viduum betonenden und entwickelnden Periode wird aber uicht verloren gehen in der Rückkehr zu dem Gemeinbesitz, wenn auch jetzt auf hoher Kulturstufe — wie die Sozialdemokraten meinen —, sondern er wird aufgehoben sein in einer Wirtschaft, die ein soziales Eigentum in dem gesellschaftlich gesteigerten Werte des Grund und Bodens zu ihrer festen, breiten Grundlage hat, auf der sich die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen erhebt — Sozialismus und Individualismus eirunder fordernd und fördernd. Unsre gegenwärtige Wirtschaftsverfassung verleugnet das Eigentum der Gesellschaft,^) sie kennt fast nur das Eigentum der Privaten; sie wirft den Boden und die Produktionswerkzeuge und die Arbeitsprodukte, alles in einen Topf und behandelt sie alle gleich: iäsnr oui^us, als ob sie nicht grundver- schiedne Natur besüßen. So wirft denn der kommunistische Staat, das Kind und der Erbe der jetzigen Gesellschaft, auch seinerseits alles in einen Topf. Der Unterschied ist nur der, daß der gegenwärtige Staat sagt: alles in Privat- bauten, und der Zukunftsstaat: alles in Gesellschaftshänden. Die Boden¬ besitzreform dagegen hätte zur Devise das suum euicsus: der Gesellschaft, was ihr, und den Privaten, was ihnen gebührt; und wieder: dem Boden eine nationalökonomische Behandlung nach seiner Art und den Produktionswerk- zeugeu und den Produkten eine Behandlung nach ihrer Art."^) *) Dem Eigentum, das die Gesellschaft noch besitzt, pflegt ein enormes Debet in Staats¬ und Gemeindcschulden gegenüberzustehen. Daß die Einführung der Bvdendesitzreform wirtschaftlich wohl möglich ist, während die von der Sozialdemokratie geforderte Abschaffung des Privatkapitals den größten national¬ ökonomischen Bedenken begegnet, erkennt Adolf Wagner an: „Selbst eine vollständige Ab¬ schaffung alles privaten Grundeigentums ist weder so schwer denkbar, wie die gleiche Ma߬ regel bei dein Kapitaleigcntum, noch so schwierig durchzuführen, noch erscheint sie notwendig von vornherein so verhängnisvoll für das Produktionsinteresse, und zwar einfach deswegen nicht, weil sie sich verwirklichen ließe ohne eine so vollständige Verrückung oder Umgestaltung der ganzen Organisation der Volkswirtschaft, loin sie eine Abschaffung des Privatkapitals erfordern würde. Das privatkapitalistische System könnte in der Hauptsache bei der Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/306>, abgerufen am 28.07.2024.