Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Bodenbesitzreforin deutscher Richtung

die Gesellschaft besäße an ihrem gesellschaftlich erzeugten Nebenprodukt des
steigenden Bodenwertes hinreichende Mittel, ihren Pflichten gegen die Gesamt¬
heit zu genügen.

Auf dem Grunde des Gesellschaftsvermögcus kann der einzelne seine Leibes¬
und Geisteskräfte ausbilden (wie er das thut, ist die Sache seiner eignen
schweren Verantwortlichkeit), die wirtschaftlichen Hindernisse der Entwicklung
der persönlichen Anlagen sind hinweggeräumt. Sozialismus und Individua¬
lismus sind einander nicht feind, sie unterstützen einander auf wirtschaftlichem
Gebiete: je mehr die einzelnen arbeiten und sich ausleben, desto höher steigt
der Wert des Grund und Bodens, und je höher die Einnahmen der Gesell¬
schaft steigen, umsomehr unterstützt sie im eigensten Interesse die Arbeit und
das Leben der einzelnen. Und die Menschen greifen es mit Händen, daß die
erschaffne Unterlage der wirtschaftlichen Welt vernünftig ist, daß der Menschen
nicht zu viel siud, daß für sie, die arbeitenden, reichlicher gesorgt ist als für
die Vögel unter dem Himmel.

Die wirtschaftliche Freiheit ist in dieser Wirtschaftsordnung sozialer und
individnaler Gerechtigkeit gerettet. Hatten sich bisher die Privaten des sozialen
Eigentums bemächtigt, so drohte im Umschlag die Gesellschaft nicht nur ihr
Eigentum wieder zurückzunehmen, sondern auch zugleich das Eigentum der ein¬
zelnen in allen Produktionsmitteln zu verschlingen, der Sozialismus drohte
in Kommunismus umzuschlagen. Die Gefahr ist beseitigt: es fällt niemandem
ein. seine wirtschaftliche Freiheit, die er innerhalb der reich gewordnen Gesell¬
schaft genießt, zu opfern, um auch seinen Teil an den Produktionswerkzeugen
zu haben.")

Das sind die Zukunftsbilder, die Flürscheim mit H. George teilt, die er
sogar unter Zustimmung der meisten der gegenwärtigen Grundeigentümer zu
verwirklichen hofft, sobald diesen, wie bereits dem Großgrundbesitzer von Hell-
dorf-Baumersroda und andern, die Augen über die fortschreitende Belastung
auch ihrer Arbeit durch den Kapitalismus aufgegangen sind, während H. George
die gegenwärtigen Grundeigentümer expropriiren will. Im Ziele sind beide
gleich ideal, in den Mitteln ist Flürscheim idealer.

Wir mögen die Ziele der Bodenbesitzreform und besonders die Über¬
schwenglichkeiten und einzelne Wunderlichkeiten Flürscheims als utopische Ge¬
bilde belächeln, wir mögen zu seiner Theorie über Kapital lind Zinsen und
Krisen manches Fragezeichen machen (auch die Autorität des Dr. Preuß wird
hierüber noch nicht der Weisheit letzten Schluß geredet haben), jedenfalls



") Den Wert des Grund und Bodens in Deutschland berechnet man auf mindestens
hundert Milliarden, dagegen den der Fabriken, Werkzeuge u. s. w. aus höchstens sieben Mil¬
liarde". Der Wert des Bodens ist in fortwährendem Steigen begriffen, während das Steige"
des Gesamtwertes der Prvduktionswerkzeuge stark behindert ist dnrch ihre Abnutzung.
Die Bodenbesitzreforin deutscher Richtung

die Gesellschaft besäße an ihrem gesellschaftlich erzeugten Nebenprodukt des
steigenden Bodenwertes hinreichende Mittel, ihren Pflichten gegen die Gesamt¬
heit zu genügen.

Auf dem Grunde des Gesellschaftsvermögcus kann der einzelne seine Leibes¬
und Geisteskräfte ausbilden (wie er das thut, ist die Sache seiner eignen
schweren Verantwortlichkeit), die wirtschaftlichen Hindernisse der Entwicklung
der persönlichen Anlagen sind hinweggeräumt. Sozialismus und Individua¬
lismus sind einander nicht feind, sie unterstützen einander auf wirtschaftlichem
Gebiete: je mehr die einzelnen arbeiten und sich ausleben, desto höher steigt
der Wert des Grund und Bodens, und je höher die Einnahmen der Gesell¬
schaft steigen, umsomehr unterstützt sie im eigensten Interesse die Arbeit und
das Leben der einzelnen. Und die Menschen greifen es mit Händen, daß die
erschaffne Unterlage der wirtschaftlichen Welt vernünftig ist, daß der Menschen
nicht zu viel siud, daß für sie, die arbeitenden, reichlicher gesorgt ist als für
die Vögel unter dem Himmel.

Die wirtschaftliche Freiheit ist in dieser Wirtschaftsordnung sozialer und
individnaler Gerechtigkeit gerettet. Hatten sich bisher die Privaten des sozialen
Eigentums bemächtigt, so drohte im Umschlag die Gesellschaft nicht nur ihr
Eigentum wieder zurückzunehmen, sondern auch zugleich das Eigentum der ein¬
zelnen in allen Produktionsmitteln zu verschlingen, der Sozialismus drohte
in Kommunismus umzuschlagen. Die Gefahr ist beseitigt: es fällt niemandem
ein. seine wirtschaftliche Freiheit, die er innerhalb der reich gewordnen Gesell¬
schaft genießt, zu opfern, um auch seinen Teil an den Produktionswerkzeugen
zu haben.")

Das sind die Zukunftsbilder, die Flürscheim mit H. George teilt, die er
sogar unter Zustimmung der meisten der gegenwärtigen Grundeigentümer zu
verwirklichen hofft, sobald diesen, wie bereits dem Großgrundbesitzer von Hell-
dorf-Baumersroda und andern, die Augen über die fortschreitende Belastung
auch ihrer Arbeit durch den Kapitalismus aufgegangen sind, während H. George
die gegenwärtigen Grundeigentümer expropriiren will. Im Ziele sind beide
gleich ideal, in den Mitteln ist Flürscheim idealer.

Wir mögen die Ziele der Bodenbesitzreform und besonders die Über¬
schwenglichkeiten und einzelne Wunderlichkeiten Flürscheims als utopische Ge¬
bilde belächeln, wir mögen zu seiner Theorie über Kapital lind Zinsen und
Krisen manches Fragezeichen machen (auch die Autorität des Dr. Preuß wird
hierüber noch nicht der Weisheit letzten Schluß geredet haben), jedenfalls



") Den Wert des Grund und Bodens in Deutschland berechnet man auf mindestens
hundert Milliarden, dagegen den der Fabriken, Werkzeuge u. s. w. aus höchstens sieben Mil¬
liarde». Der Wert des Bodens ist in fortwährendem Steigen begriffen, während das Steige»
des Gesamtwertes der Prvduktionswerkzeuge stark behindert ist dnrch ihre Abnutzung.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0304" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215394"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Bodenbesitzreforin deutscher Richtung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1059" prev="#ID_1058"> die Gesellschaft besäße an ihrem gesellschaftlich erzeugten Nebenprodukt des<lb/>
steigenden Bodenwertes hinreichende Mittel, ihren Pflichten gegen die Gesamt¬<lb/>
heit zu genügen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1060"> Auf dem Grunde des Gesellschaftsvermögcus kann der einzelne seine Leibes¬<lb/>
und Geisteskräfte ausbilden (wie er das thut, ist die Sache seiner eignen<lb/>
schweren Verantwortlichkeit), die wirtschaftlichen Hindernisse der Entwicklung<lb/>
der persönlichen Anlagen sind hinweggeräumt. Sozialismus und Individua¬<lb/>
lismus sind einander nicht feind, sie unterstützen einander auf wirtschaftlichem<lb/>
Gebiete: je mehr die einzelnen arbeiten und sich ausleben, desto höher steigt<lb/>
der Wert des Grund und Bodens, und je höher die Einnahmen der Gesell¬<lb/>
schaft steigen, umsomehr unterstützt sie im eigensten Interesse die Arbeit und<lb/>
das Leben der einzelnen. Und die Menschen greifen es mit Händen, daß die<lb/>
erschaffne Unterlage der wirtschaftlichen Welt vernünftig ist, daß der Menschen<lb/>
nicht zu viel siud, daß für sie, die arbeitenden, reichlicher gesorgt ist als für<lb/>
die Vögel unter dem Himmel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1061"> Die wirtschaftliche Freiheit ist in dieser Wirtschaftsordnung sozialer und<lb/>
individnaler Gerechtigkeit gerettet. Hatten sich bisher die Privaten des sozialen<lb/>
Eigentums bemächtigt, so drohte im Umschlag die Gesellschaft nicht nur ihr<lb/>
Eigentum wieder zurückzunehmen, sondern auch zugleich das Eigentum der ein¬<lb/>
zelnen in allen Produktionsmitteln zu verschlingen, der Sozialismus drohte<lb/>
in Kommunismus umzuschlagen. Die Gefahr ist beseitigt: es fällt niemandem<lb/>
ein. seine wirtschaftliche Freiheit, die er innerhalb der reich gewordnen Gesell¬<lb/>
schaft genießt, zu opfern, um auch seinen Teil an den Produktionswerkzeugen<lb/>
zu haben.")</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1062"> Das sind die Zukunftsbilder, die Flürscheim mit H. George teilt, die er<lb/>
sogar unter Zustimmung der meisten der gegenwärtigen Grundeigentümer zu<lb/>
verwirklichen hofft, sobald diesen, wie bereits dem Großgrundbesitzer von Hell-<lb/>
dorf-Baumersroda und andern, die Augen über die fortschreitende Belastung<lb/>
auch ihrer Arbeit durch den Kapitalismus aufgegangen sind, während H. George<lb/>
die gegenwärtigen Grundeigentümer expropriiren will. Im Ziele sind beide<lb/>
gleich ideal, in den Mitteln ist Flürscheim idealer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1063" next="#ID_1064"> Wir mögen die Ziele der Bodenbesitzreform und besonders die Über¬<lb/>
schwenglichkeiten und einzelne Wunderlichkeiten Flürscheims als utopische Ge¬<lb/>
bilde belächeln, wir mögen zu seiner Theorie über Kapital lind Zinsen und<lb/>
Krisen manches Fragezeichen machen (auch die Autorität des Dr. Preuß wird<lb/>
hierüber noch nicht der Weisheit letzten Schluß geredet haben), jedenfalls</p><lb/>
          <note xml:id="FID_45" place="foot"> ") Den Wert des Grund und Bodens in Deutschland berechnet man auf mindestens<lb/>
hundert Milliarden, dagegen den der Fabriken, Werkzeuge u. s. w. aus höchstens sieben Mil¬<lb/>
liarde». Der Wert des Bodens ist in fortwährendem Steigen begriffen, während das Steige»<lb/>
des Gesamtwertes der Prvduktionswerkzeuge stark behindert ist dnrch ihre Abnutzung.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0304] Die Bodenbesitzreforin deutscher Richtung die Gesellschaft besäße an ihrem gesellschaftlich erzeugten Nebenprodukt des steigenden Bodenwertes hinreichende Mittel, ihren Pflichten gegen die Gesamt¬ heit zu genügen. Auf dem Grunde des Gesellschaftsvermögcus kann der einzelne seine Leibes¬ und Geisteskräfte ausbilden (wie er das thut, ist die Sache seiner eignen schweren Verantwortlichkeit), die wirtschaftlichen Hindernisse der Entwicklung der persönlichen Anlagen sind hinweggeräumt. Sozialismus und Individua¬ lismus sind einander nicht feind, sie unterstützen einander auf wirtschaftlichem Gebiete: je mehr die einzelnen arbeiten und sich ausleben, desto höher steigt der Wert des Grund und Bodens, und je höher die Einnahmen der Gesell¬ schaft steigen, umsomehr unterstützt sie im eigensten Interesse die Arbeit und das Leben der einzelnen. Und die Menschen greifen es mit Händen, daß die erschaffne Unterlage der wirtschaftlichen Welt vernünftig ist, daß der Menschen nicht zu viel siud, daß für sie, die arbeitenden, reichlicher gesorgt ist als für die Vögel unter dem Himmel. Die wirtschaftliche Freiheit ist in dieser Wirtschaftsordnung sozialer und individnaler Gerechtigkeit gerettet. Hatten sich bisher die Privaten des sozialen Eigentums bemächtigt, so drohte im Umschlag die Gesellschaft nicht nur ihr Eigentum wieder zurückzunehmen, sondern auch zugleich das Eigentum der ein¬ zelnen in allen Produktionsmitteln zu verschlingen, der Sozialismus drohte in Kommunismus umzuschlagen. Die Gefahr ist beseitigt: es fällt niemandem ein. seine wirtschaftliche Freiheit, die er innerhalb der reich gewordnen Gesell¬ schaft genießt, zu opfern, um auch seinen Teil an den Produktionswerkzeugen zu haben.") Das sind die Zukunftsbilder, die Flürscheim mit H. George teilt, die er sogar unter Zustimmung der meisten der gegenwärtigen Grundeigentümer zu verwirklichen hofft, sobald diesen, wie bereits dem Großgrundbesitzer von Hell- dorf-Baumersroda und andern, die Augen über die fortschreitende Belastung auch ihrer Arbeit durch den Kapitalismus aufgegangen sind, während H. George die gegenwärtigen Grundeigentümer expropriiren will. Im Ziele sind beide gleich ideal, in den Mitteln ist Flürscheim idealer. Wir mögen die Ziele der Bodenbesitzreform und besonders die Über¬ schwenglichkeiten und einzelne Wunderlichkeiten Flürscheims als utopische Ge¬ bilde belächeln, wir mögen zu seiner Theorie über Kapital lind Zinsen und Krisen manches Fragezeichen machen (auch die Autorität des Dr. Preuß wird hierüber noch nicht der Weisheit letzten Schluß geredet haben), jedenfalls ") Den Wert des Grund und Bodens in Deutschland berechnet man auf mindestens hundert Milliarden, dagegen den der Fabriken, Werkzeuge u. s. w. aus höchstens sieben Mil¬ liarde». Der Wert des Bodens ist in fortwährendem Steigen begriffen, während das Steige» des Gesamtwertes der Prvduktionswerkzeuge stark behindert ist dnrch ihre Abnutzung.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/304
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/304>, abgerufen am 28.07.2024.