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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die Bodeubesttzreform deutscher Richtung

fertigen. Sie wäre allerdings gering im Vergleich zu der sozialdemokratischen
Vergesellschaftung nicht bloß des Grund und Bodens, sondern auch aller Pro¬
duktionsmittel. Dennoch hätte diese immerhin noch einen bedeutenden Vorzug:
diese allgemeine Konfiskation träfe alle Besitzenden, und zugleich würden sie
alle -- nach der Theorie -- innerhalb der neuen Gesellschaft versorgt sein
mit Arbeit und Lebensunterhalt; bei jener H. Georgeschen Konfiskation da¬
gegen würde mancher arme Teufel von Grundeigentümer, der sich schon schwer
genug über Wasser hält, vollends untersinken, und es wäre sehr fraglich, ob
ihm die infolge der Bodenbesitzreform in Aussicht stehende Besserung der ge¬
samten wirtschaftlichen Lage, besonders die Mehrung der Arbeitsgelegenheit,
noch schnell genug Hilfe brächte.

Die H. Georgesche Wegsteuerung der Grundrente erscheint der deutschen
Bodenbesitzreform wie eine schwere Operation, bei der der Körper der Gesell¬
schaft viel Blut verlieren würde. Sie erkennt vielmehr das auf Grund der
bisher bestehenden Gesetze erworbne Eigentum, innerhalb dessen das durch
eigne oder Familienarbeit gewonnene und das durch die Gesellschaft erzeugte
unentwirrbar durcheinandergehen, völlig an und proklamirt nur den Grundsatz,
daß von jetzt ab gesellschaftlich erzeugter Wert nicht mehr in die Hände eines
Privaten gehen darf. Wer ans Grund der alten Gesetze gehandelt hat, kann
dafür nicht gestraft werden. Die neue Wirtschaftsordnung darf keine rück¬
wirkende Kraft haben.

Die Aufgabe, in dieser Beschränkung, gleichsam gefesselt durch die Rück¬
sicht auf die peinliche Gerechtigkeit, doch das gleiche Ziel zu erreichen, das sich
H. George vorgesetzt hat: Erlösung der darbenden Menschheit durch Überfüh¬
rung des Gesellschaftseigentums in die Hände der Gesellschaft und Befreiung
des Privateigentums vou allem Steuerdruck und Eröffnung des Zutritts jedes
Arbeitswilligen zum Arbeitsmaterial -- diese Ausgabe scheint allerdings bei
solcher Fesselung unlösbar zu sein. H. George erscheint als der konsequente
Denker, der für die lange benachteiligte Gesellschaft zurücknehmen will, was
ihr gehört, der, wenn er den Zweck will, anch vor den Mitteln uicht zurück¬
schreckt.

Und doch kaun man gerade ihn der Inkonsequenz beschuldigen. Will er
folgerichtig verfahren, dann muß er uicht bloß den Boden, sondern auch das
auf Grund des Privateigentums um Boden erworbne Kapital kvnfisziren, z. B.
den betreffenden Teil der enormen Reichtümer, die jenen englischen Lords durch
Zinsesaufhäufung ohne irgend eine Arbeitsleistung zugewachsen und nicht in
Bodenbesitz angelegt sind; und da dies Vermögen unentwirrbar in das durch
Arbeit erworbne Kapital verflochten ist, so nehme man lieber gleich das ganze
Kapital, wie die Sozialdemokratie.

Die Konsequenz des Grundgedankens der Bodenbesitzrefvrm liegt vielmehr
auf deutscher Seite. Die Bvdenbesitzreform erkennt nämlich in der Arbeit einen


Die Bodeubesttzreform deutscher Richtung

fertigen. Sie wäre allerdings gering im Vergleich zu der sozialdemokratischen
Vergesellschaftung nicht bloß des Grund und Bodens, sondern auch aller Pro¬
duktionsmittel. Dennoch hätte diese immerhin noch einen bedeutenden Vorzug:
diese allgemeine Konfiskation träfe alle Besitzenden, und zugleich würden sie
alle — nach der Theorie — innerhalb der neuen Gesellschaft versorgt sein
mit Arbeit und Lebensunterhalt; bei jener H. Georgeschen Konfiskation da¬
gegen würde mancher arme Teufel von Grundeigentümer, der sich schon schwer
genug über Wasser hält, vollends untersinken, und es wäre sehr fraglich, ob
ihm die infolge der Bodenbesitzreform in Aussicht stehende Besserung der ge¬
samten wirtschaftlichen Lage, besonders die Mehrung der Arbeitsgelegenheit,
noch schnell genug Hilfe brächte.

Die H. Georgesche Wegsteuerung der Grundrente erscheint der deutschen
Bodenbesitzreform wie eine schwere Operation, bei der der Körper der Gesell¬
schaft viel Blut verlieren würde. Sie erkennt vielmehr das auf Grund der
bisher bestehenden Gesetze erworbne Eigentum, innerhalb dessen das durch
eigne oder Familienarbeit gewonnene und das durch die Gesellschaft erzeugte
unentwirrbar durcheinandergehen, völlig an und proklamirt nur den Grundsatz,
daß von jetzt ab gesellschaftlich erzeugter Wert nicht mehr in die Hände eines
Privaten gehen darf. Wer ans Grund der alten Gesetze gehandelt hat, kann
dafür nicht gestraft werden. Die neue Wirtschaftsordnung darf keine rück¬
wirkende Kraft haben.

Die Aufgabe, in dieser Beschränkung, gleichsam gefesselt durch die Rück¬
sicht auf die peinliche Gerechtigkeit, doch das gleiche Ziel zu erreichen, das sich
H. George vorgesetzt hat: Erlösung der darbenden Menschheit durch Überfüh¬
rung des Gesellschaftseigentums in die Hände der Gesellschaft und Befreiung
des Privateigentums vou allem Steuerdruck und Eröffnung des Zutritts jedes
Arbeitswilligen zum Arbeitsmaterial — diese Ausgabe scheint allerdings bei
solcher Fesselung unlösbar zu sein. H. George erscheint als der konsequente
Denker, der für die lange benachteiligte Gesellschaft zurücknehmen will, was
ihr gehört, der, wenn er den Zweck will, anch vor den Mitteln uicht zurück¬
schreckt.

Und doch kaun man gerade ihn der Inkonsequenz beschuldigen. Will er
folgerichtig verfahren, dann muß er uicht bloß den Boden, sondern auch das
auf Grund des Privateigentums um Boden erworbne Kapital kvnfisziren, z. B.
den betreffenden Teil der enormen Reichtümer, die jenen englischen Lords durch
Zinsesaufhäufung ohne irgend eine Arbeitsleistung zugewachsen und nicht in
Bodenbesitz angelegt sind; und da dies Vermögen unentwirrbar in das durch
Arbeit erworbne Kapital verflochten ist, so nehme man lieber gleich das ganze
Kapital, wie die Sozialdemokratie.

Die Konsequenz des Grundgedankens der Bodenbesitzrefvrm liegt vielmehr
auf deutscher Seite. Die Bvdenbesitzreform erkennt nämlich in der Arbeit einen


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[0300] Die Bodeubesttzreform deutscher Richtung fertigen. Sie wäre allerdings gering im Vergleich zu der sozialdemokratischen Vergesellschaftung nicht bloß des Grund und Bodens, sondern auch aller Pro¬ duktionsmittel. Dennoch hätte diese immerhin noch einen bedeutenden Vorzug: diese allgemeine Konfiskation träfe alle Besitzenden, und zugleich würden sie alle — nach der Theorie — innerhalb der neuen Gesellschaft versorgt sein mit Arbeit und Lebensunterhalt; bei jener H. Georgeschen Konfiskation da¬ gegen würde mancher arme Teufel von Grundeigentümer, der sich schon schwer genug über Wasser hält, vollends untersinken, und es wäre sehr fraglich, ob ihm die infolge der Bodenbesitzreform in Aussicht stehende Besserung der ge¬ samten wirtschaftlichen Lage, besonders die Mehrung der Arbeitsgelegenheit, noch schnell genug Hilfe brächte. Die H. Georgesche Wegsteuerung der Grundrente erscheint der deutschen Bodenbesitzreform wie eine schwere Operation, bei der der Körper der Gesell¬ schaft viel Blut verlieren würde. Sie erkennt vielmehr das auf Grund der bisher bestehenden Gesetze erworbne Eigentum, innerhalb dessen das durch eigne oder Familienarbeit gewonnene und das durch die Gesellschaft erzeugte unentwirrbar durcheinandergehen, völlig an und proklamirt nur den Grundsatz, daß von jetzt ab gesellschaftlich erzeugter Wert nicht mehr in die Hände eines Privaten gehen darf. Wer ans Grund der alten Gesetze gehandelt hat, kann dafür nicht gestraft werden. Die neue Wirtschaftsordnung darf keine rück¬ wirkende Kraft haben. Die Aufgabe, in dieser Beschränkung, gleichsam gefesselt durch die Rück¬ sicht auf die peinliche Gerechtigkeit, doch das gleiche Ziel zu erreichen, das sich H. George vorgesetzt hat: Erlösung der darbenden Menschheit durch Überfüh¬ rung des Gesellschaftseigentums in die Hände der Gesellschaft und Befreiung des Privateigentums vou allem Steuerdruck und Eröffnung des Zutritts jedes Arbeitswilligen zum Arbeitsmaterial — diese Ausgabe scheint allerdings bei solcher Fesselung unlösbar zu sein. H. George erscheint als der konsequente Denker, der für die lange benachteiligte Gesellschaft zurücknehmen will, was ihr gehört, der, wenn er den Zweck will, anch vor den Mitteln uicht zurück¬ schreckt. Und doch kaun man gerade ihn der Inkonsequenz beschuldigen. Will er folgerichtig verfahren, dann muß er uicht bloß den Boden, sondern auch das auf Grund des Privateigentums um Boden erworbne Kapital kvnfisziren, z. B. den betreffenden Teil der enormen Reichtümer, die jenen englischen Lords durch Zinsesaufhäufung ohne irgend eine Arbeitsleistung zugewachsen und nicht in Bodenbesitz angelegt sind; und da dies Vermögen unentwirrbar in das durch Arbeit erworbne Kapital verflochten ist, so nehme man lieber gleich das ganze Kapital, wie die Sozialdemokratie. Die Konsequenz des Grundgedankens der Bodenbesitzrefvrm liegt vielmehr auf deutscher Seite. Die Bvdenbesitzreform erkennt nämlich in der Arbeit einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/300>, abgerufen am 24.11.2024.