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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die Bodeiibesitz-eforin deutscher Richtung

Während Hertzka die kommunistischen Eierschalen noch nicht ganz abge¬
streift hat.)

In den Grenzboten ist neulich H. George zu Worte gekommen, der Mann
mit dem feinfühlenden Herzen, dem umfassenden volkswirtschaftlichen Wissen,
dem scharfen Verstände und der packenden Darstellung, der die Einwände des
Gegners bis in ihre Schlupfwinkel verfolgt, dessen Werke in den verschiedensten
Sprachen weit verbreitet sind, und dessen Studium auch uns Deutschen nicht
dringend genug empfohlen werden kann.

Ein Satz wird aber doch die denkenden Leser der Grenzboten von vorn¬
herein stutzig und ihnen die dann folgende einschmeichelnde Darstellung der
Bodcnbesitzreform ungenießbar gemacht haben -- der Satz: "Zur Durch¬
führung der Reform Hütte man daher nur nötig, die alte Grundsteuer langsam
von Jahr zu Jahr (etwa um fünf Prozent der heute erzielbaren Grundrente)
zu erhöhen, bis die volle ökonomische Grundrente eiugesteuert wäre."

Wir mögen noch so sehr vou der Gerechtigkeit der Forderung überzeugt
sein, daß der durch die Ansammlung und die Arbeit der Gesellschaft erzeugte
Wert des Grund und Bodens, wie ihn die anschwellenden Großstädte in
enormem Maße erzeugen, nicht in die Tasche des Privaten, des zufälligen
Eigentümers, sondern in die Tasche der Gesellschaft fließe, so sträubt sich doch
auf der andern Seite dasselbe Gerechtigkeitsgefühl dagegen, daß den gegen¬
wärtigen Besitzern die gegenwärtige Höhe ihrer Grundrente und damit die
gegenwärtige Höhe ihres Besitztums um jährlich fünf Prozent gekürzt werden
soll, bis sie nach zwanzig Jahren nichts mehr von dieser Grundrente haben.
Und dabei sind Massen von ihnen tief verschuldet, die Hyvothekenglüubiger
sind die eigentlichen Eigentümer. Oder suchte man die Hypothekengläubiger
mit zu treffen, so wäre es wieder eine Ungerechtigkeit gegen diese Leute, die
ihr Geld in Grundstücken sicher gelegt haben, während andre, die es in Staats¬
papieren und dergleichen angelegt haben, frei ausgehen würden. Und wenn
uns gar die Wahrheit aufgeht, daß jene Aufhäufung kolossaler Reichtümer in
einzelnen Händen, die weniger in unmittelbarem Bodenbesitz bestehen als in
Hypotheken und öffentlichen Schuldpapieren und Aktien, nicht den kolossalen
"Verdiensten" der Besitzer und ihrer Vorfahren gegen die Gesellschaft ent¬
stammt, sondern eben nur durch den Übergang des Grund- und Bodenwertes
in die Hände von Privaten möglich geworden ist, dann empört sich geradezu
unser Gerechtigkeitsgefühl gegen eine Maßnahme, die allein den heutigen, viel¬
leicht selbst ungünstig gestellten Bodenbesitzer träfe.

Daß ein derartiger Vorschlag von gerechtigkeitsliebenden Menschen aus¬
geht, wird uns nur erklärlich bei englischen Zuständen, denen die nordameri-
tnnischen in diesem Punkte ähnlich sind. In England wurde bei der Eroberung
der Normanne" den alten Angelsachsen nur ein Teil des Landes als freies
Eigentum gelassen, das übrige unter die Sieger verteilt, und zwar wurde es


Die Bodeiibesitz-eforin deutscher Richtung

Während Hertzka die kommunistischen Eierschalen noch nicht ganz abge¬
streift hat.)

In den Grenzboten ist neulich H. George zu Worte gekommen, der Mann
mit dem feinfühlenden Herzen, dem umfassenden volkswirtschaftlichen Wissen,
dem scharfen Verstände und der packenden Darstellung, der die Einwände des
Gegners bis in ihre Schlupfwinkel verfolgt, dessen Werke in den verschiedensten
Sprachen weit verbreitet sind, und dessen Studium auch uns Deutschen nicht
dringend genug empfohlen werden kann.

Ein Satz wird aber doch die denkenden Leser der Grenzboten von vorn¬
herein stutzig und ihnen die dann folgende einschmeichelnde Darstellung der
Bodcnbesitzreform ungenießbar gemacht haben — der Satz: »Zur Durch¬
führung der Reform Hütte man daher nur nötig, die alte Grundsteuer langsam
von Jahr zu Jahr (etwa um fünf Prozent der heute erzielbaren Grundrente)
zu erhöhen, bis die volle ökonomische Grundrente eiugesteuert wäre."

Wir mögen noch so sehr vou der Gerechtigkeit der Forderung überzeugt
sein, daß der durch die Ansammlung und die Arbeit der Gesellschaft erzeugte
Wert des Grund und Bodens, wie ihn die anschwellenden Großstädte in
enormem Maße erzeugen, nicht in die Tasche des Privaten, des zufälligen
Eigentümers, sondern in die Tasche der Gesellschaft fließe, so sträubt sich doch
auf der andern Seite dasselbe Gerechtigkeitsgefühl dagegen, daß den gegen¬
wärtigen Besitzern die gegenwärtige Höhe ihrer Grundrente und damit die
gegenwärtige Höhe ihres Besitztums um jährlich fünf Prozent gekürzt werden
soll, bis sie nach zwanzig Jahren nichts mehr von dieser Grundrente haben.
Und dabei sind Massen von ihnen tief verschuldet, die Hyvothekenglüubiger
sind die eigentlichen Eigentümer. Oder suchte man die Hypothekengläubiger
mit zu treffen, so wäre es wieder eine Ungerechtigkeit gegen diese Leute, die
ihr Geld in Grundstücken sicher gelegt haben, während andre, die es in Staats¬
papieren und dergleichen angelegt haben, frei ausgehen würden. Und wenn
uns gar die Wahrheit aufgeht, daß jene Aufhäufung kolossaler Reichtümer in
einzelnen Händen, die weniger in unmittelbarem Bodenbesitz bestehen als in
Hypotheken und öffentlichen Schuldpapieren und Aktien, nicht den kolossalen
„Verdiensten" der Besitzer und ihrer Vorfahren gegen die Gesellschaft ent¬
stammt, sondern eben nur durch den Übergang des Grund- und Bodenwertes
in die Hände von Privaten möglich geworden ist, dann empört sich geradezu
unser Gerechtigkeitsgefühl gegen eine Maßnahme, die allein den heutigen, viel¬
leicht selbst ungünstig gestellten Bodenbesitzer träfe.

Daß ein derartiger Vorschlag von gerechtigkeitsliebenden Menschen aus¬
geht, wird uns nur erklärlich bei englischen Zuständen, denen die nordameri-
tnnischen in diesem Punkte ähnlich sind. In England wurde bei der Eroberung
der Normanne» den alten Angelsachsen nur ein Teil des Landes als freies
Eigentum gelassen, das übrige unter die Sieger verteilt, und zwar wurde es


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[0298] Die Bodeiibesitz-eforin deutscher Richtung Während Hertzka die kommunistischen Eierschalen noch nicht ganz abge¬ streift hat.) In den Grenzboten ist neulich H. George zu Worte gekommen, der Mann mit dem feinfühlenden Herzen, dem umfassenden volkswirtschaftlichen Wissen, dem scharfen Verstände und der packenden Darstellung, der die Einwände des Gegners bis in ihre Schlupfwinkel verfolgt, dessen Werke in den verschiedensten Sprachen weit verbreitet sind, und dessen Studium auch uns Deutschen nicht dringend genug empfohlen werden kann. Ein Satz wird aber doch die denkenden Leser der Grenzboten von vorn¬ herein stutzig und ihnen die dann folgende einschmeichelnde Darstellung der Bodcnbesitzreform ungenießbar gemacht haben — der Satz: »Zur Durch¬ führung der Reform Hütte man daher nur nötig, die alte Grundsteuer langsam von Jahr zu Jahr (etwa um fünf Prozent der heute erzielbaren Grundrente) zu erhöhen, bis die volle ökonomische Grundrente eiugesteuert wäre." Wir mögen noch so sehr vou der Gerechtigkeit der Forderung überzeugt sein, daß der durch die Ansammlung und die Arbeit der Gesellschaft erzeugte Wert des Grund und Bodens, wie ihn die anschwellenden Großstädte in enormem Maße erzeugen, nicht in die Tasche des Privaten, des zufälligen Eigentümers, sondern in die Tasche der Gesellschaft fließe, so sträubt sich doch auf der andern Seite dasselbe Gerechtigkeitsgefühl dagegen, daß den gegen¬ wärtigen Besitzern die gegenwärtige Höhe ihrer Grundrente und damit die gegenwärtige Höhe ihres Besitztums um jährlich fünf Prozent gekürzt werden soll, bis sie nach zwanzig Jahren nichts mehr von dieser Grundrente haben. Und dabei sind Massen von ihnen tief verschuldet, die Hyvothekenglüubiger sind die eigentlichen Eigentümer. Oder suchte man die Hypothekengläubiger mit zu treffen, so wäre es wieder eine Ungerechtigkeit gegen diese Leute, die ihr Geld in Grundstücken sicher gelegt haben, während andre, die es in Staats¬ papieren und dergleichen angelegt haben, frei ausgehen würden. Und wenn uns gar die Wahrheit aufgeht, daß jene Aufhäufung kolossaler Reichtümer in einzelnen Händen, die weniger in unmittelbarem Bodenbesitz bestehen als in Hypotheken und öffentlichen Schuldpapieren und Aktien, nicht den kolossalen „Verdiensten" der Besitzer und ihrer Vorfahren gegen die Gesellschaft ent¬ stammt, sondern eben nur durch den Übergang des Grund- und Bodenwertes in die Hände von Privaten möglich geworden ist, dann empört sich geradezu unser Gerechtigkeitsgefühl gegen eine Maßnahme, die allein den heutigen, viel¬ leicht selbst ungünstig gestellten Bodenbesitzer träfe. Daß ein derartiger Vorschlag von gerechtigkeitsliebenden Menschen aus¬ geht, wird uns nur erklärlich bei englischen Zuständen, denen die nordameri- tnnischen in diesem Punkte ähnlich sind. In England wurde bei der Eroberung der Normanne» den alten Angelsachsen nur ein Teil des Landes als freies Eigentum gelassen, das übrige unter die Sieger verteilt, und zwar wurde es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/298>, abgerufen am 01.09.2024.