Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Abkunft ergossen zu haben. Diesen folgten aus derselben Richtung Züge
kolarischer Rasse, und die neuen Ankömmlinge drängten die ältern Einwandrer
seitwärts in die Ausläufer des Himalayas, wo wir jene Stammverwandten
der Mongolen und Chinesen noch heute unvermischt finden. Aber die Sieger
ereilte dasselbe Schicksal. Der vom Nordosten kommende Strom kolarischer
Scharen scheint in Zentralindien mit einem vom Nordwesten her eingedrungnen
Strom drawidischer Stämme zusammengetroffen und nach Osten und Westen
auseinander gesprengt worden zu sein. Von diesen verschiednen Stämmen
uichtkankasischcr Abkunft und dunkler, fast schwarzer Hautfarbe war die indische
Halbinsel in ihrer ganzen Ausdehnung vom Indus bis zum Brahmaputra,
vom Himalaya bis zum Knp Komorin bewohnt, als von der Hochfläche Irans
dnrch°die Pässe des Suleiman ein Zweig der großen indogermanischen Völker-
fnmilie herabstieg in die Ebne des Fünfstromlandes. Vor den neuen An¬
kömmlingen wichen die ältern Bewohnern Schritt für Schritt zurück, oder sie
wurden unterworfen und zu Sklaven gemacht. Kleinere Bruchteile wurden
seitwärts in die .Himalajas abgedrängt, die Hauptmasse aber ward über die
waldigen Ketten der Vindhjas ans das Dekkan zurückgetrieben. Aber noch
war die Herrschaft der Arier nicht einmal in dem Mittellande der Dschumna
fest gegründet, noch waren ihre Ansiedlungen selbst hier mit den Staaten-
bildungen nicht unterworfner älterer Stämme vermischt, als dnrch das nord¬
westliche Thor Indiens wieder neue Völkermassen hereinsluteten. Im zweiten
Jahrhundert vor Christo dehnten die graecobaktrischen Könige ihre Heereszüge
und ihre Herrschaft bis über Delhi ans, und während des nächsten halben
Jahrtausends (126 vor Christo bis 544 uach Christo) überschwemmten skytische
Horden in rascher Reihenfolge die Ebnen von Hindustan. Dann folgte eine
Ruhepause von einigen Jahrhunderten, während deren nach Vertreibung des
Buddhismus die Brahmanen versuchten, den vorhandnen verschiedenartigen
Elementen unter der Form des Hinduismus eine soziale und religiöse Organi¬
sation zu geben. Aber bald traten von neuem fremde Eroberer ans. Seit
d"n Jahre 1000 rollte eine Welle muhammedanischer Scharen nach der andern
herein. Erst Türken unter dem Hause von Ghcizni (1000 bis 1152 nach
Ehristv); dann Afghanen unter Muhammed von Ghor und seinen Nachfolgern
(1190 bis 1290 nach Christo) und schließlich Sölduerbcmden meist mongolischer
Nationalität unter der Tughlakdynastie (1295 bis 1414), sowie später im
Gefolge Vabers und seiner Nachfolger (1526 bis etwa 1700). Während des
Zerfalls des mongolischen Kaiserreichs nach dem Tode Anrangzebs faßten
dann die Engländer in Indien Fuß (Schlacht bei Plassey 1757) und er¬
richteten ihre eigne Herrschaft auf den Trümmern der muhammedanischen.

Aus so unzähligen verschiedenartigen Bestandteilen setzt sich die Bevöl¬
kerung der indischen Halbinsel zusammen. Und alle diese Bestandteile stehen
ni der Hauptsache noch heute unvermittelt neben einander. Während in dem


Abkunft ergossen zu haben. Diesen folgten aus derselben Richtung Züge
kolarischer Rasse, und die neuen Ankömmlinge drängten die ältern Einwandrer
seitwärts in die Ausläufer des Himalayas, wo wir jene Stammverwandten
der Mongolen und Chinesen noch heute unvermischt finden. Aber die Sieger
ereilte dasselbe Schicksal. Der vom Nordosten kommende Strom kolarischer
Scharen scheint in Zentralindien mit einem vom Nordwesten her eingedrungnen
Strom drawidischer Stämme zusammengetroffen und nach Osten und Westen
auseinander gesprengt worden zu sein. Von diesen verschiednen Stämmen
uichtkankasischcr Abkunft und dunkler, fast schwarzer Hautfarbe war die indische
Halbinsel in ihrer ganzen Ausdehnung vom Indus bis zum Brahmaputra,
vom Himalaya bis zum Knp Komorin bewohnt, als von der Hochfläche Irans
dnrch°die Pässe des Suleiman ein Zweig der großen indogermanischen Völker-
fnmilie herabstieg in die Ebne des Fünfstromlandes. Vor den neuen An¬
kömmlingen wichen die ältern Bewohnern Schritt für Schritt zurück, oder sie
wurden unterworfen und zu Sklaven gemacht. Kleinere Bruchteile wurden
seitwärts in die .Himalajas abgedrängt, die Hauptmasse aber ward über die
waldigen Ketten der Vindhjas ans das Dekkan zurückgetrieben. Aber noch
war die Herrschaft der Arier nicht einmal in dem Mittellande der Dschumna
fest gegründet, noch waren ihre Ansiedlungen selbst hier mit den Staaten-
bildungen nicht unterworfner älterer Stämme vermischt, als dnrch das nord¬
westliche Thor Indiens wieder neue Völkermassen hereinsluteten. Im zweiten
Jahrhundert vor Christo dehnten die graecobaktrischen Könige ihre Heereszüge
und ihre Herrschaft bis über Delhi ans, und während des nächsten halben
Jahrtausends (126 vor Christo bis 544 uach Christo) überschwemmten skytische
Horden in rascher Reihenfolge die Ebnen von Hindustan. Dann folgte eine
Ruhepause von einigen Jahrhunderten, während deren nach Vertreibung des
Buddhismus die Brahmanen versuchten, den vorhandnen verschiedenartigen
Elementen unter der Form des Hinduismus eine soziale und religiöse Organi¬
sation zu geben. Aber bald traten von neuem fremde Eroberer ans. Seit
d«n Jahre 1000 rollte eine Welle muhammedanischer Scharen nach der andern
herein. Erst Türken unter dem Hause von Ghcizni (1000 bis 1152 nach
Ehristv); dann Afghanen unter Muhammed von Ghor und seinen Nachfolgern
(1190 bis 1290 nach Christo) und schließlich Sölduerbcmden meist mongolischer
Nationalität unter der Tughlakdynastie (1295 bis 1414), sowie später im
Gefolge Vabers und seiner Nachfolger (1526 bis etwa 1700). Während des
Zerfalls des mongolischen Kaiserreichs nach dem Tode Anrangzebs faßten
dann die Engländer in Indien Fuß (Schlacht bei Plassey 1757) und er¬
richteten ihre eigne Herrschaft auf den Trümmern der muhammedanischen.

Aus so unzähligen verschiedenartigen Bestandteilen setzt sich die Bevöl¬
kerung der indischen Halbinsel zusammen. Und alle diese Bestandteile stehen
ni der Hauptsache noch heute unvermittelt neben einander. Während in dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215369"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_968" prev="#ID_967"> Abkunft ergossen zu haben. Diesen folgten aus derselben Richtung Züge<lb/>
kolarischer Rasse, und die neuen Ankömmlinge drängten die ältern Einwandrer<lb/>
seitwärts in die Ausläufer des Himalayas, wo wir jene Stammverwandten<lb/>
der Mongolen und Chinesen noch heute unvermischt finden. Aber die Sieger<lb/>
ereilte dasselbe Schicksal. Der vom Nordosten kommende Strom kolarischer<lb/>
Scharen scheint in Zentralindien mit einem vom Nordwesten her eingedrungnen<lb/>
Strom drawidischer Stämme zusammengetroffen und nach Osten und Westen<lb/>
auseinander gesprengt worden zu sein. Von diesen verschiednen Stämmen<lb/>
uichtkankasischcr Abkunft und dunkler, fast schwarzer Hautfarbe war die indische<lb/>
Halbinsel in ihrer ganzen Ausdehnung vom Indus bis zum Brahmaputra,<lb/>
vom Himalaya bis zum Knp Komorin bewohnt, als von der Hochfläche Irans<lb/>
dnrch°die Pässe des Suleiman ein Zweig der großen indogermanischen Völker-<lb/>
fnmilie herabstieg in die Ebne des Fünfstromlandes. Vor den neuen An¬<lb/>
kömmlingen wichen die ältern Bewohnern Schritt für Schritt zurück, oder sie<lb/>
wurden unterworfen und zu Sklaven gemacht. Kleinere Bruchteile wurden<lb/>
seitwärts in die .Himalajas abgedrängt, die Hauptmasse aber ward über die<lb/>
waldigen Ketten der Vindhjas ans das Dekkan zurückgetrieben. Aber noch<lb/>
war die Herrschaft der Arier nicht einmal in dem Mittellande der Dschumna<lb/>
fest gegründet, noch waren ihre Ansiedlungen selbst hier mit den Staaten-<lb/>
bildungen nicht unterworfner älterer Stämme vermischt, als dnrch das nord¬<lb/>
westliche Thor Indiens wieder neue Völkermassen hereinsluteten. Im zweiten<lb/>
Jahrhundert vor Christo dehnten die graecobaktrischen Könige ihre Heereszüge<lb/>
und ihre Herrschaft bis über Delhi ans, und während des nächsten halben<lb/>
Jahrtausends (126 vor Christo bis 544 uach Christo) überschwemmten skytische<lb/>
Horden in rascher Reihenfolge die Ebnen von Hindustan. Dann folgte eine<lb/>
Ruhepause von einigen Jahrhunderten, während deren nach Vertreibung des<lb/>
Buddhismus die Brahmanen versuchten, den vorhandnen verschiedenartigen<lb/>
Elementen unter der Form des Hinduismus eine soziale und religiöse Organi¬<lb/>
sation zu geben. Aber bald traten von neuem fremde Eroberer ans. Seit<lb/>
d«n Jahre 1000 rollte eine Welle muhammedanischer Scharen nach der andern<lb/>
herein. Erst Türken unter dem Hause von Ghcizni (1000 bis 1152 nach<lb/>
Ehristv); dann Afghanen unter Muhammed von Ghor und seinen Nachfolgern<lb/>
(1190 bis 1290 nach Christo) und schließlich Sölduerbcmden meist mongolischer<lb/>
Nationalität unter der Tughlakdynastie (1295 bis 1414), sowie später im<lb/>
Gefolge Vabers und seiner Nachfolger (1526 bis etwa 1700). Während des<lb/>
Zerfalls des mongolischen Kaiserreichs nach dem Tode Anrangzebs faßten<lb/>
dann die Engländer in Indien Fuß (Schlacht bei Plassey 1757) und er¬<lb/>
richteten ihre eigne Herrschaft auf den Trümmern der muhammedanischen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_969" next="#ID_970"> Aus so unzähligen verschiedenartigen Bestandteilen setzt sich die Bevöl¬<lb/>
kerung der indischen Halbinsel zusammen. Und alle diese Bestandteile stehen<lb/>
ni der Hauptsache noch heute unvermittelt neben einander. Während in dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0279] Abkunft ergossen zu haben. Diesen folgten aus derselben Richtung Züge kolarischer Rasse, und die neuen Ankömmlinge drängten die ältern Einwandrer seitwärts in die Ausläufer des Himalayas, wo wir jene Stammverwandten der Mongolen und Chinesen noch heute unvermischt finden. Aber die Sieger ereilte dasselbe Schicksal. Der vom Nordosten kommende Strom kolarischer Scharen scheint in Zentralindien mit einem vom Nordwesten her eingedrungnen Strom drawidischer Stämme zusammengetroffen und nach Osten und Westen auseinander gesprengt worden zu sein. Von diesen verschiednen Stämmen uichtkankasischcr Abkunft und dunkler, fast schwarzer Hautfarbe war die indische Halbinsel in ihrer ganzen Ausdehnung vom Indus bis zum Brahmaputra, vom Himalaya bis zum Knp Komorin bewohnt, als von der Hochfläche Irans dnrch°die Pässe des Suleiman ein Zweig der großen indogermanischen Völker- fnmilie herabstieg in die Ebne des Fünfstromlandes. Vor den neuen An¬ kömmlingen wichen die ältern Bewohnern Schritt für Schritt zurück, oder sie wurden unterworfen und zu Sklaven gemacht. Kleinere Bruchteile wurden seitwärts in die .Himalajas abgedrängt, die Hauptmasse aber ward über die waldigen Ketten der Vindhjas ans das Dekkan zurückgetrieben. Aber noch war die Herrschaft der Arier nicht einmal in dem Mittellande der Dschumna fest gegründet, noch waren ihre Ansiedlungen selbst hier mit den Staaten- bildungen nicht unterworfner älterer Stämme vermischt, als dnrch das nord¬ westliche Thor Indiens wieder neue Völkermassen hereinsluteten. Im zweiten Jahrhundert vor Christo dehnten die graecobaktrischen Könige ihre Heereszüge und ihre Herrschaft bis über Delhi ans, und während des nächsten halben Jahrtausends (126 vor Christo bis 544 uach Christo) überschwemmten skytische Horden in rascher Reihenfolge die Ebnen von Hindustan. Dann folgte eine Ruhepause von einigen Jahrhunderten, während deren nach Vertreibung des Buddhismus die Brahmanen versuchten, den vorhandnen verschiedenartigen Elementen unter der Form des Hinduismus eine soziale und religiöse Organi¬ sation zu geben. Aber bald traten von neuem fremde Eroberer ans. Seit d«n Jahre 1000 rollte eine Welle muhammedanischer Scharen nach der andern herein. Erst Türken unter dem Hause von Ghcizni (1000 bis 1152 nach Ehristv); dann Afghanen unter Muhammed von Ghor und seinen Nachfolgern (1190 bis 1290 nach Christo) und schließlich Sölduerbcmden meist mongolischer Nationalität unter der Tughlakdynastie (1295 bis 1414), sowie später im Gefolge Vabers und seiner Nachfolger (1526 bis etwa 1700). Während des Zerfalls des mongolischen Kaiserreichs nach dem Tode Anrangzebs faßten dann die Engländer in Indien Fuß (Schlacht bei Plassey 1757) und er¬ richteten ihre eigne Herrschaft auf den Trümmern der muhammedanischen. Aus so unzähligen verschiedenartigen Bestandteilen setzt sich die Bevöl¬ kerung der indischen Halbinsel zusammen. Und alle diese Bestandteile stehen ni der Hauptsache noch heute unvermittelt neben einander. Während in dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/279
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/279>, abgerufen am 01.09.2024.