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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Loluccio Salutati

Verlängern schien, schaute der Florentiner Löwe stolz herab ans ein Gewirr
von Straßen nud Plätzen, Kirchen und Palästen, Türmen und Kuppeln, und
dazwischen wogte ein Volk von 100 000 Köpfen unruhig und neuerungssüchtig
wie einst die Athener, aber auch voll von opferbereiter Vaterlandsliebe, vor¬
nehm und gering einander nahegebracht durch das hohe Maß gemeinsamer
Schulbildung, der Geringste selbst durch deu Reichtum des Ganzen vor ge¬
meiner Not geschützt. Die Verfassung der Stadt, kühn behauptet durch alle
Stürme des Mittelalters hindurch, hatte den republikanischen Geist bewahrt.
An der Spitze des Volkes stand ein uralter Geburtsndel, dem Volke nicht
fremd in Sitte und Beschäftigung, sondern mitten uuter ihm als Arbeitgeber
und Unternehmer. Denn der Florentiner Adliche war Kaufherr oder Fabrikant,
seine Geschäftsverbindungen umspannten ganz Europa, bei Florentiner Genossen¬
schaften, denen die Bardi und Medici vorstanden, machten Könige ihre An¬
leihen. Wer aber viel erworben hatte, saß nicht auf seinen Geldsäcken, sondern
spendete zum Wohl des Ganzen mit vollen Händen, Gemeinsinn und Staats¬
bewußtsein zugleich bethätigend und vermehrend. Besonders die großen und
berühmten Feste der Arnostadt wurden fast ganz dnrch Beisteuern der Vor¬
nehmen ausgestattet, und doch verschmähten es diese nicht, dabei mit Seiden-
Webern und Wvllkrämplern wie mit ihresgleichen zu Verkehren. Trotzdem
fehlte es natürlich nicht an Reibungen zwischen hoch und niedrig, zwischen
Signori, Zunfthandwerkern und unzünftigen Arbeitern; aber immer wieder
sand man eine Verständigung, da das Staatsbewußtsein bis in die untersten
Kreise vorhanden war, und von jener andauernden Verbissenheit, die das
Moderne soziale Leben vermöge der fühlbarer gewordnen Gegensätze zwischen
arm und reich so schwer zerrüttet, war nicht die Rede. Vielmehr schuf die
fortwährende Teilnahme am öffentlichen Leben sogar bei den Armem reges
Interesse für Geschichte und Statistik, für Dichtkunst und lateinische Wohl-
redenheit, für Malerei und bildende Kunst jeder Art, durch die diese Stadt
bis auf den heutigen Tag wie ein riesiges Museum des Schönen erscheint,
^'s ist keine Übertreibung, wenn Niccolo Tommaseo sein Urteil über Florenz
in den Satz zusammenfaßt: "Die europäische Bildung ist zu einem großen
Teile italienischen Ursprungs, und die italienische ist zu einem großen Teile
tvskanisch, und die toskanische ist großenteils florentinisch."

In dieses Gemeinwesen trat Colueeio Anfang 1874 zunächst als "Notar
für die Wahlen," seit dem 1!). April 1375 als Staatskanzler ein. Er war
damals vierundvierzig Jahre alt, in der Blüte seiner Kraft und umfaßte als¬
bald sein Amt mit dem ihm eignen heiligen Enthusiasmus. Die Flut von
Geschäften, die auf ihn einstürmte, ermattete ihn nicht, sondern schien seine
Fähigkeiten nur noch zu steigern. Er sah seinen Staat sofort nach dem An¬
tritte des wichtigen Amtes in die schwersten Gefahren verwickelt. Es ging
damals durch das geknechtete und geschändete Italien etwas wie ein Früh-


Loluccio Salutati

Verlängern schien, schaute der Florentiner Löwe stolz herab ans ein Gewirr
von Straßen nud Plätzen, Kirchen und Palästen, Türmen und Kuppeln, und
dazwischen wogte ein Volk von 100 000 Köpfen unruhig und neuerungssüchtig
wie einst die Athener, aber auch voll von opferbereiter Vaterlandsliebe, vor¬
nehm und gering einander nahegebracht durch das hohe Maß gemeinsamer
Schulbildung, der Geringste selbst durch deu Reichtum des Ganzen vor ge¬
meiner Not geschützt. Die Verfassung der Stadt, kühn behauptet durch alle
Stürme des Mittelalters hindurch, hatte den republikanischen Geist bewahrt.
An der Spitze des Volkes stand ein uralter Geburtsndel, dem Volke nicht
fremd in Sitte und Beschäftigung, sondern mitten uuter ihm als Arbeitgeber
und Unternehmer. Denn der Florentiner Adliche war Kaufherr oder Fabrikant,
seine Geschäftsverbindungen umspannten ganz Europa, bei Florentiner Genossen¬
schaften, denen die Bardi und Medici vorstanden, machten Könige ihre An¬
leihen. Wer aber viel erworben hatte, saß nicht auf seinen Geldsäcken, sondern
spendete zum Wohl des Ganzen mit vollen Händen, Gemeinsinn und Staats¬
bewußtsein zugleich bethätigend und vermehrend. Besonders die großen und
berühmten Feste der Arnostadt wurden fast ganz dnrch Beisteuern der Vor¬
nehmen ausgestattet, und doch verschmähten es diese nicht, dabei mit Seiden-
Webern und Wvllkrämplern wie mit ihresgleichen zu Verkehren. Trotzdem
fehlte es natürlich nicht an Reibungen zwischen hoch und niedrig, zwischen
Signori, Zunfthandwerkern und unzünftigen Arbeitern; aber immer wieder
sand man eine Verständigung, da das Staatsbewußtsein bis in die untersten
Kreise vorhanden war, und von jener andauernden Verbissenheit, die das
Moderne soziale Leben vermöge der fühlbarer gewordnen Gegensätze zwischen
arm und reich so schwer zerrüttet, war nicht die Rede. Vielmehr schuf die
fortwährende Teilnahme am öffentlichen Leben sogar bei den Armem reges
Interesse für Geschichte und Statistik, für Dichtkunst und lateinische Wohl-
redenheit, für Malerei und bildende Kunst jeder Art, durch die diese Stadt
bis auf den heutigen Tag wie ein riesiges Museum des Schönen erscheint,
^'s ist keine Übertreibung, wenn Niccolo Tommaseo sein Urteil über Florenz
in den Satz zusammenfaßt: „Die europäische Bildung ist zu einem großen
Teile italienischen Ursprungs, und die italienische ist zu einem großen Teile
tvskanisch, und die toskanische ist großenteils florentinisch."

In dieses Gemeinwesen trat Colueeio Anfang 1874 zunächst als „Notar
für die Wahlen," seit dem 1!). April 1375 als Staatskanzler ein. Er war
damals vierundvierzig Jahre alt, in der Blüte seiner Kraft und umfaßte als¬
bald sein Amt mit dem ihm eignen heiligen Enthusiasmus. Die Flut von
Geschäften, die auf ihn einstürmte, ermattete ihn nicht, sondern schien seine
Fähigkeiten nur noch zu steigern. Er sah seinen Staat sofort nach dem An¬
tritte des wichtigen Amtes in die schwersten Gefahren verwickelt. Es ging
damals durch das geknechtete und geschändete Italien etwas wie ein Früh-


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[0271] Loluccio Salutati Verlängern schien, schaute der Florentiner Löwe stolz herab ans ein Gewirr von Straßen nud Plätzen, Kirchen und Palästen, Türmen und Kuppeln, und dazwischen wogte ein Volk von 100 000 Köpfen unruhig und neuerungssüchtig wie einst die Athener, aber auch voll von opferbereiter Vaterlandsliebe, vor¬ nehm und gering einander nahegebracht durch das hohe Maß gemeinsamer Schulbildung, der Geringste selbst durch deu Reichtum des Ganzen vor ge¬ meiner Not geschützt. Die Verfassung der Stadt, kühn behauptet durch alle Stürme des Mittelalters hindurch, hatte den republikanischen Geist bewahrt. An der Spitze des Volkes stand ein uralter Geburtsndel, dem Volke nicht fremd in Sitte und Beschäftigung, sondern mitten uuter ihm als Arbeitgeber und Unternehmer. Denn der Florentiner Adliche war Kaufherr oder Fabrikant, seine Geschäftsverbindungen umspannten ganz Europa, bei Florentiner Genossen¬ schaften, denen die Bardi und Medici vorstanden, machten Könige ihre An¬ leihen. Wer aber viel erworben hatte, saß nicht auf seinen Geldsäcken, sondern spendete zum Wohl des Ganzen mit vollen Händen, Gemeinsinn und Staats¬ bewußtsein zugleich bethätigend und vermehrend. Besonders die großen und berühmten Feste der Arnostadt wurden fast ganz dnrch Beisteuern der Vor¬ nehmen ausgestattet, und doch verschmähten es diese nicht, dabei mit Seiden- Webern und Wvllkrämplern wie mit ihresgleichen zu Verkehren. Trotzdem fehlte es natürlich nicht an Reibungen zwischen hoch und niedrig, zwischen Signori, Zunfthandwerkern und unzünftigen Arbeitern; aber immer wieder sand man eine Verständigung, da das Staatsbewußtsein bis in die untersten Kreise vorhanden war, und von jener andauernden Verbissenheit, die das Moderne soziale Leben vermöge der fühlbarer gewordnen Gegensätze zwischen arm und reich so schwer zerrüttet, war nicht die Rede. Vielmehr schuf die fortwährende Teilnahme am öffentlichen Leben sogar bei den Armem reges Interesse für Geschichte und Statistik, für Dichtkunst und lateinische Wohl- redenheit, für Malerei und bildende Kunst jeder Art, durch die diese Stadt bis auf den heutigen Tag wie ein riesiges Museum des Schönen erscheint, ^'s ist keine Übertreibung, wenn Niccolo Tommaseo sein Urteil über Florenz in den Satz zusammenfaßt: „Die europäische Bildung ist zu einem großen Teile italienischen Ursprungs, und die italienische ist zu einem großen Teile tvskanisch, und die toskanische ist großenteils florentinisch." In dieses Gemeinwesen trat Colueeio Anfang 1874 zunächst als „Notar für die Wahlen," seit dem 1!). April 1375 als Staatskanzler ein. Er war damals vierundvierzig Jahre alt, in der Blüte seiner Kraft und umfaßte als¬ bald sein Amt mit dem ihm eignen heiligen Enthusiasmus. Die Flut von Geschäften, die auf ihn einstürmte, ermattete ihn nicht, sondern schien seine Fähigkeiten nur noch zu steigern. Er sah seinen Staat sofort nach dem An¬ tritte des wichtigen Amtes in die schwersten Gefahren verwickelt. Es ging damals durch das geknechtete und geschändete Italien etwas wie ein Früh-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/271>, abgerufen am 24.11.2024.