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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Westen

sie sich ausnutzen lassen, und dann waren sie wie die ausgepreßte Citrone bei
der Festbowle beiseite geworfen worden. Es war ihnen nicht besser gegangen
als einem großen Teil 'des Deutschtums im Westen: im Vaterlande sind sie
vergessen, vom Auslande zu allen Verrichtungen ausgenutzt und dann -- weg¬
geworfen worden. Das ist das Los der Deutschen im Westen der neuen Welt,
da, wo das Deutschtum noch nicht zur geistigen Herrschaft gelangt ist. Das
wollte der Komiker heute besingen.

Ach, lassen Sie das lieber heute Abend, mahnte die Schauspielerin, da sie
um die Wirkung ihrer Luise besorgt war.

Später haben wir aber doch keine Gelegenheit mehr dazu, dem Volke hier
einmal ordentlich die Wahrheit zu sagen. Schon wegen der abscheulichen
Kirchenhhpvthekgeschichte muß heute was kommen.

Die Geschichte bildete wirklich heute den Hauptgegeustano des Gesprächs,
überall wo man ein paar Deutsche beisammen sah.

Zu Mittag ging es zu dem Böhmen Woschlyck, der ein pompöses Restau¬
rant mit Negerbedienung hatte. Alles war nach dein neuesten und gro߬
artigsten Zuschnitt. Elektrische Beleuchtung, ja selbst elektrische Bedienung:
von Elektrizität getriebne Fächer verbreiteten Kühlung und verscheuchten die
Fliegen. Der Wirt zeigte uns stolz die neue" Kelleraulageu, wo er eine
Kemenate für deutsche Männer geschaffen hatte, wie ich sie noch nie gesehen:
die wie Felswände hergerichteten Mauern hatten einen metallglünzenden Überzug,
worin sich das Licht der elektrischen Glühlichtkelche wie in glasirtem Tropf¬
stein spiegelte und zugleich vervielfältigte. Große runde Steintische mit soliden
Eichenplatten luden in traulichen Plauderecken zum Schoppen ein. Ich zweifelte
nur, ob es in dieser unruhigen Geschäftsstadt Recken genug geben würde, die
Zeit dazu hätten, hier nach alter Zecher Weise den Humpen zu schwingen,
denn das Publikum, das hier verkehrte, sah mir nicht darnach aus. Alles
gemahnte doch eher an den ungemütlichen Zukunftsstaat, als an die alte, ur¬
gemütliche deutsche Zecherherrlichkeit.

Und doch ist dieser Ritterkeller heute schon durch eine Champagnerwette
eingeweiht worden, hier an diesem Tische, erzählte der Wirt, ich habe mich
sogar verleiten lassen, mit zu wetten.

Natürlich handelte sichs um die große Neuigkeit von der schlauen Ver¬
wendung der christlichen Opferwilligkeit zur Grundeigentumsspekulatiou. Der
Gedanke ist so neu und unsrer Dollarjagd so angemessen, sagte der Wirt,
daß er alles Lob verdiente, wenn die Sache nicht so gemein wäre, und es ist
darauf gewettet worden, daß Pastor Fischer damit durchkomme.

Ob er sich aber damit für seine spätere Laufbahn als Arzt viel Freunde
machen wird, das ist die Frage, warf ich ein.

Damit hat er ja gerade bei diesem Publikum den Vogel abgeschossen!
Wenn solch ein Streich gelingt, so bejubelt alles hinterher nur die Pfiffigkeit,


Bilder aus dem Westen

sie sich ausnutzen lassen, und dann waren sie wie die ausgepreßte Citrone bei
der Festbowle beiseite geworfen worden. Es war ihnen nicht besser gegangen
als einem großen Teil 'des Deutschtums im Westen: im Vaterlande sind sie
vergessen, vom Auslande zu allen Verrichtungen ausgenutzt und dann — weg¬
geworfen worden. Das ist das Los der Deutschen im Westen der neuen Welt,
da, wo das Deutschtum noch nicht zur geistigen Herrschaft gelangt ist. Das
wollte der Komiker heute besingen.

Ach, lassen Sie das lieber heute Abend, mahnte die Schauspielerin, da sie
um die Wirkung ihrer Luise besorgt war.

Später haben wir aber doch keine Gelegenheit mehr dazu, dem Volke hier
einmal ordentlich die Wahrheit zu sagen. Schon wegen der abscheulichen
Kirchenhhpvthekgeschichte muß heute was kommen.

Die Geschichte bildete wirklich heute den Hauptgegeustano des Gesprächs,
überall wo man ein paar Deutsche beisammen sah.

Zu Mittag ging es zu dem Böhmen Woschlyck, der ein pompöses Restau¬
rant mit Negerbedienung hatte. Alles war nach dein neuesten und gro߬
artigsten Zuschnitt. Elektrische Beleuchtung, ja selbst elektrische Bedienung:
von Elektrizität getriebne Fächer verbreiteten Kühlung und verscheuchten die
Fliegen. Der Wirt zeigte uns stolz die neue» Kelleraulageu, wo er eine
Kemenate für deutsche Männer geschaffen hatte, wie ich sie noch nie gesehen:
die wie Felswände hergerichteten Mauern hatten einen metallglünzenden Überzug,
worin sich das Licht der elektrischen Glühlichtkelche wie in glasirtem Tropf¬
stein spiegelte und zugleich vervielfältigte. Große runde Steintische mit soliden
Eichenplatten luden in traulichen Plauderecken zum Schoppen ein. Ich zweifelte
nur, ob es in dieser unruhigen Geschäftsstadt Recken genug geben würde, die
Zeit dazu hätten, hier nach alter Zecher Weise den Humpen zu schwingen,
denn das Publikum, das hier verkehrte, sah mir nicht darnach aus. Alles
gemahnte doch eher an den ungemütlichen Zukunftsstaat, als an die alte, ur¬
gemütliche deutsche Zecherherrlichkeit.

Und doch ist dieser Ritterkeller heute schon durch eine Champagnerwette
eingeweiht worden, hier an diesem Tische, erzählte der Wirt, ich habe mich
sogar verleiten lassen, mit zu wetten.

Natürlich handelte sichs um die große Neuigkeit von der schlauen Ver¬
wendung der christlichen Opferwilligkeit zur Grundeigentumsspekulatiou. Der
Gedanke ist so neu und unsrer Dollarjagd so angemessen, sagte der Wirt,
daß er alles Lob verdiente, wenn die Sache nicht so gemein wäre, und es ist
darauf gewettet worden, daß Pastor Fischer damit durchkomme.

Ob er sich aber damit für seine spätere Laufbahn als Arzt viel Freunde
machen wird, das ist die Frage, warf ich ein.

Damit hat er ja gerade bei diesem Publikum den Vogel abgeschossen!
Wenn solch ein Streich gelingt, so bejubelt alles hinterher nur die Pfiffigkeit,


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[0238] Bilder aus dem Westen sie sich ausnutzen lassen, und dann waren sie wie die ausgepreßte Citrone bei der Festbowle beiseite geworfen worden. Es war ihnen nicht besser gegangen als einem großen Teil 'des Deutschtums im Westen: im Vaterlande sind sie vergessen, vom Auslande zu allen Verrichtungen ausgenutzt und dann — weg¬ geworfen worden. Das ist das Los der Deutschen im Westen der neuen Welt, da, wo das Deutschtum noch nicht zur geistigen Herrschaft gelangt ist. Das wollte der Komiker heute besingen. Ach, lassen Sie das lieber heute Abend, mahnte die Schauspielerin, da sie um die Wirkung ihrer Luise besorgt war. Später haben wir aber doch keine Gelegenheit mehr dazu, dem Volke hier einmal ordentlich die Wahrheit zu sagen. Schon wegen der abscheulichen Kirchenhhpvthekgeschichte muß heute was kommen. Die Geschichte bildete wirklich heute den Hauptgegeustano des Gesprächs, überall wo man ein paar Deutsche beisammen sah. Zu Mittag ging es zu dem Böhmen Woschlyck, der ein pompöses Restau¬ rant mit Negerbedienung hatte. Alles war nach dein neuesten und gro߬ artigsten Zuschnitt. Elektrische Beleuchtung, ja selbst elektrische Bedienung: von Elektrizität getriebne Fächer verbreiteten Kühlung und verscheuchten die Fliegen. Der Wirt zeigte uns stolz die neue» Kelleraulageu, wo er eine Kemenate für deutsche Männer geschaffen hatte, wie ich sie noch nie gesehen: die wie Felswände hergerichteten Mauern hatten einen metallglünzenden Überzug, worin sich das Licht der elektrischen Glühlichtkelche wie in glasirtem Tropf¬ stein spiegelte und zugleich vervielfältigte. Große runde Steintische mit soliden Eichenplatten luden in traulichen Plauderecken zum Schoppen ein. Ich zweifelte nur, ob es in dieser unruhigen Geschäftsstadt Recken genug geben würde, die Zeit dazu hätten, hier nach alter Zecher Weise den Humpen zu schwingen, denn das Publikum, das hier verkehrte, sah mir nicht darnach aus. Alles gemahnte doch eher an den ungemütlichen Zukunftsstaat, als an die alte, ur¬ gemütliche deutsche Zecherherrlichkeit. Und doch ist dieser Ritterkeller heute schon durch eine Champagnerwette eingeweiht worden, hier an diesem Tische, erzählte der Wirt, ich habe mich sogar verleiten lassen, mit zu wetten. Natürlich handelte sichs um die große Neuigkeit von der schlauen Ver¬ wendung der christlichen Opferwilligkeit zur Grundeigentumsspekulatiou. Der Gedanke ist so neu und unsrer Dollarjagd so angemessen, sagte der Wirt, daß er alles Lob verdiente, wenn die Sache nicht so gemein wäre, und es ist darauf gewettet worden, daß Pastor Fischer damit durchkomme. Ob er sich aber damit für seine spätere Laufbahn als Arzt viel Freunde machen wird, das ist die Frage, warf ich ein. Damit hat er ja gerade bei diesem Publikum den Vogel abgeschossen! Wenn solch ein Streich gelingt, so bejubelt alles hinterher nur die Pfiffigkeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/238>, abgerufen am 24.11.2024.