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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die ätherische Volksmoral im Drama

Endlich erkennt er die wiederbelebte Gattin. Etwas Innigeres, Zarteres als
die Abschiedsgespräche und Klagen zwischen Admet, Alkestis und den Kindern
läßt sich nicht denken.

Daß die Ehe ein Bund gegenseitiger reiner Liebe sein soll, scheint dem
Aischylos bei Abfassung der Danaidentrilvgie als Tendenz vorgeschwebt zu
haben. In den Schutzflchenden singt der Chor der Mägde:


O so schau, Artemis, Jungfrau,
Du in Mitleid zu den Jungfrau",
Daß mit Zwang nicht Kythereia
Sie ins Brautbett der Negier führt;
Denn ein Greut ist Liebes-Lustkampf.

Die andern beiden Stücke sind verloren, aber die eben angeführte Stelle be¬
rechtigt zu der Vermutung, daß Aischylos den Sinn der Danaidensage so
aufgefaßt habe, wie es Droysen (S. 265 seiner Aischylosübersetzung) angiebt:
"Auf dem Geschlecht der Jo ruhte Heras Fluch; Hera, die strenge Hüterin
der Ehe, hat unablässig ihres olympischen Gemahls Liebe verfolgt und dann
ihren Haß, vor dem Jo geflohen, auf deren Geschlecht übertragen; sie hat ihn
lange verborgen, bis um das Geschlecht in herrlichster Blüte dem nacher
Untergang zureift. Der Jünglinge wilde Begier und der Mädchen Abscheu
gegen die Ehe ist Heras Werk; ihr Haß kaun nur durch treue redliche Liebe
versöhnt werden, und unberührt in jener Brantncicht hatte Hypermnestra ihren
Bräutigam gerettet; er ließ die wilde Begehrlichkeit seiner Brüder, sie die
nnweibliche Sprödigkeit ihrer Schwestern; es war ein Bund, wie ihn die
Hüterin der Ehe loben mußte. In ihnen also ist Heras Haß gegen Jos Ge¬
schlecht versöhnt."

Wohl auf orientalische Einflüsse ist es zurückzuführen, wenn in der grie¬
chische,? Mythologie nicht allein Jungfrauen als Feindinnen der Ehe erscheinen,
wie die Danaiden, Kassandra, Theonoö, sondern auch ein Jüngling, der von
den Werken der Kypris nichts wissen mag. Hippolytos ist bei Euripides so
keusch, daß er nicht einmal verlockende Gemälde anschaun mag und die Bitte
eines alten Dieners, doch anch zu Aphrodite zu beten, ablehnt: "Ein keuscher
Jüngling, grüß ich nur vou ferne sie." Darauf fällt der Diener vor dem
Bilde der Göttin nieder und fleht, sie möge dem Jünglinge uicht zürnen:
"Stelle dich wie taub dazu! Die Götter müssen Weiser sein als Sterbliche."
Aber das Gebet des treuen Dieners nützt nichts; Aphrodite bereitet ihrem
Verächter den Untergang dnrch die Rache der verschmähten Ehebrecherin
Phädrn. Nachdem diese den Hippolytos verleumdet hat, erscheint seinem Vater
Theseus das ganze frühere Leben seines frommen Sohnes als Heuchelei. Die
Lebensweise des Jünglings, wie sie der erzürnte Vater schildert, weist wieder
sehr deutlich uach dem Orient hin:


Die ätherische Volksmoral im Drama

Endlich erkennt er die wiederbelebte Gattin. Etwas Innigeres, Zarteres als
die Abschiedsgespräche und Klagen zwischen Admet, Alkestis und den Kindern
läßt sich nicht denken.

Daß die Ehe ein Bund gegenseitiger reiner Liebe sein soll, scheint dem
Aischylos bei Abfassung der Danaidentrilvgie als Tendenz vorgeschwebt zu
haben. In den Schutzflchenden singt der Chor der Mägde:


O so schau, Artemis, Jungfrau,
Du in Mitleid zu den Jungfrau»,
Daß mit Zwang nicht Kythereia
Sie ins Brautbett der Negier führt;
Denn ein Greut ist Liebes-Lustkampf.

Die andern beiden Stücke sind verloren, aber die eben angeführte Stelle be¬
rechtigt zu der Vermutung, daß Aischylos den Sinn der Danaidensage so
aufgefaßt habe, wie es Droysen (S. 265 seiner Aischylosübersetzung) angiebt:
„Auf dem Geschlecht der Jo ruhte Heras Fluch; Hera, die strenge Hüterin
der Ehe, hat unablässig ihres olympischen Gemahls Liebe verfolgt und dann
ihren Haß, vor dem Jo geflohen, auf deren Geschlecht übertragen; sie hat ihn
lange verborgen, bis um das Geschlecht in herrlichster Blüte dem nacher
Untergang zureift. Der Jünglinge wilde Begier und der Mädchen Abscheu
gegen die Ehe ist Heras Werk; ihr Haß kaun nur durch treue redliche Liebe
versöhnt werden, und unberührt in jener Brantncicht hatte Hypermnestra ihren
Bräutigam gerettet; er ließ die wilde Begehrlichkeit seiner Brüder, sie die
nnweibliche Sprödigkeit ihrer Schwestern; es war ein Bund, wie ihn die
Hüterin der Ehe loben mußte. In ihnen also ist Heras Haß gegen Jos Ge¬
schlecht versöhnt."

Wohl auf orientalische Einflüsse ist es zurückzuführen, wenn in der grie¬
chische,? Mythologie nicht allein Jungfrauen als Feindinnen der Ehe erscheinen,
wie die Danaiden, Kassandra, Theonoö, sondern auch ein Jüngling, der von
den Werken der Kypris nichts wissen mag. Hippolytos ist bei Euripides so
keusch, daß er nicht einmal verlockende Gemälde anschaun mag und die Bitte
eines alten Dieners, doch anch zu Aphrodite zu beten, ablehnt: „Ein keuscher
Jüngling, grüß ich nur vou ferne sie." Darauf fällt der Diener vor dem
Bilde der Göttin nieder und fleht, sie möge dem Jünglinge uicht zürnen:
„Stelle dich wie taub dazu! Die Götter müssen Weiser sein als Sterbliche."
Aber das Gebet des treuen Dieners nützt nichts; Aphrodite bereitet ihrem
Verächter den Untergang dnrch die Rache der verschmähten Ehebrecherin
Phädrn. Nachdem diese den Hippolytos verleumdet hat, erscheint seinem Vater
Theseus das ganze frühere Leben seines frommen Sohnes als Heuchelei. Die
Lebensweise des Jünglings, wie sie der erzürnte Vater schildert, weist wieder
sehr deutlich uach dem Orient hin:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/220>, abgerufen am 28.07.2024.