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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Mein Angesicht ins Dunkel? Welche Wolke soll
Ich vor mich breiten und des Greises Aug entfliehn?

Was sodann das Verhältnis der Gatten betrifft, fo wird es überall als
ein beglückender, hochheiliger Bund inniger Liebe dargestellt, der beide Gatten
zur Treue verpflichte. "Dies ist des Erdenlebens höchstes Glück, wenn mit
dem Manne sich vertrüge des Weibes Sinn," spricht die Amme in der "Me-
deia," und Orest in dem gleichnamigen Stück des Euripides:


Ein selig Leben lebt der Murr, dem schön erblüht
Das Glück der Ehe; wem es da nicht lächelte.
Dem siel daheim und draußen ein unselig Los.

Hekabe hält es in den Troerinneu für undenkbar, daß Menelaos sein ehe¬
brecherisches Weib wieder zu sich nehmen könne; diese habe ihn nie geliebt,
denn "wahrhaft ja liebt nicht, wessen Herz nicht immer liebt!"

Ohne Zweifel, um den Abscheu vor dem Ehebruch des Weibes als einem
beinahe unmöglichen Verbrechen recht kräftig auszudrücken, hat Euripides der
Helena, dieser berühmtesten aller Ehebrecherinnen, eine Tragödie gewidmet, in
der er sie als unschuldig und ihre Missethat als gar nicht geschehen darstellt.
Ein von den Göttern gesandtes Trugbild hat mit Paris entfliehen und so
den trojanischen Krieg entflammen müssen, während die wirkliche Helena nach
Ägypten entrückt wurde. Dort gerät sie in große Not durch die Bewerbung
des Königs Theoklymenvs. Doch, meinem ersten Gatten tren, spricht sie,


Knie ich an Proteus Grabe hier und sich ihn an,
Dem Gatten mich zu wahren unbefleckt und rein,
Daß, wenn in Hellas schmachbedeckt mein Name sei,
Die Schmach doch hier nicht meinen Leib entheilige.

Gerade zu rechter Zeit erscheint als Retter ihr Gatte selbst, der ihrer Ver¬
sicherung: "Ich wahrte rein und lauter meine Liebe dir" anfänglich nicht
recht traut. In der Ansprache an TheonoL hebt sie den heißen Wunsch, ihre
Ehre wieder hergestellt zu sehen, als den hauptsächlichsten der Beweggründe
hervor, die sie bestimmen, auf Flucht bedacht zu sein.


O los aus meinen Leiden mich Unglückliche,
Und was das Schicksal uicht gewährt, vollende du!
Denn keiner lebt auf Erden, der nicht Helenen
Verfluchte, die dem Gatten -- so schilt Hellas mich --
Untreu, bewohnte Phrygiens goldreiche Burg.
Doch lehr ich heim nach Hellas, heim ins Svnrterland,
Dann hören sie, dann sehn sie, daß sie Göttertrug
Verdarb, und ich dem Gatten nicht die Treue brach;
Und wieder dree ich in die Reihn der edeln Fraun.

Außer Helena und Klytaimnestra kommt in den Dramen nur noch eine
Ehebrecherin vor, die Phädra im Hippolht des Euripides. Aber obwohl es
bei dieser, die vor Begier nach dem unnahbar keuschen Stiefsohn verschmachtet,



Mein Angesicht ins Dunkel? Welche Wolke soll
Ich vor mich breiten und des Greises Aug entfliehn?

Was sodann das Verhältnis der Gatten betrifft, fo wird es überall als
ein beglückender, hochheiliger Bund inniger Liebe dargestellt, der beide Gatten
zur Treue verpflichte. „Dies ist des Erdenlebens höchstes Glück, wenn mit
dem Manne sich vertrüge des Weibes Sinn," spricht die Amme in der „Me-
deia," und Orest in dem gleichnamigen Stück des Euripides:


Ein selig Leben lebt der Murr, dem schön erblüht
Das Glück der Ehe; wem es da nicht lächelte.
Dem siel daheim und draußen ein unselig Los.

Hekabe hält es in den Troerinneu für undenkbar, daß Menelaos sein ehe¬
brecherisches Weib wieder zu sich nehmen könne; diese habe ihn nie geliebt,
denn „wahrhaft ja liebt nicht, wessen Herz nicht immer liebt!"

Ohne Zweifel, um den Abscheu vor dem Ehebruch des Weibes als einem
beinahe unmöglichen Verbrechen recht kräftig auszudrücken, hat Euripides der
Helena, dieser berühmtesten aller Ehebrecherinnen, eine Tragödie gewidmet, in
der er sie als unschuldig und ihre Missethat als gar nicht geschehen darstellt.
Ein von den Göttern gesandtes Trugbild hat mit Paris entfliehen und so
den trojanischen Krieg entflammen müssen, während die wirkliche Helena nach
Ägypten entrückt wurde. Dort gerät sie in große Not durch die Bewerbung
des Königs Theoklymenvs. Doch, meinem ersten Gatten tren, spricht sie,


Knie ich an Proteus Grabe hier und sich ihn an,
Dem Gatten mich zu wahren unbefleckt und rein,
Daß, wenn in Hellas schmachbedeckt mein Name sei,
Die Schmach doch hier nicht meinen Leib entheilige.

Gerade zu rechter Zeit erscheint als Retter ihr Gatte selbst, der ihrer Ver¬
sicherung: „Ich wahrte rein und lauter meine Liebe dir" anfänglich nicht
recht traut. In der Ansprache an TheonoL hebt sie den heißen Wunsch, ihre
Ehre wieder hergestellt zu sehen, als den hauptsächlichsten der Beweggründe
hervor, die sie bestimmen, auf Flucht bedacht zu sein.


O los aus meinen Leiden mich Unglückliche,
Und was das Schicksal uicht gewährt, vollende du!
Denn keiner lebt auf Erden, der nicht Helenen
Verfluchte, die dem Gatten — so schilt Hellas mich —
Untreu, bewohnte Phrygiens goldreiche Burg.
Doch lehr ich heim nach Hellas, heim ins Svnrterland,
Dann hören sie, dann sehn sie, daß sie Göttertrug
Verdarb, und ich dem Gatten nicht die Treue brach;
Und wieder dree ich in die Reihn der edeln Fraun.

Außer Helena und Klytaimnestra kommt in den Dramen nur noch eine
Ehebrecherin vor, die Phädra im Hippolht des Euripides. Aber obwohl es
bei dieser, die vor Begier nach dem unnahbar keuschen Stiefsohn verschmachtet,


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[0215] Mein Angesicht ins Dunkel? Welche Wolke soll Ich vor mich breiten und des Greises Aug entfliehn? Was sodann das Verhältnis der Gatten betrifft, fo wird es überall als ein beglückender, hochheiliger Bund inniger Liebe dargestellt, der beide Gatten zur Treue verpflichte. „Dies ist des Erdenlebens höchstes Glück, wenn mit dem Manne sich vertrüge des Weibes Sinn," spricht die Amme in der „Me- deia," und Orest in dem gleichnamigen Stück des Euripides: Ein selig Leben lebt der Murr, dem schön erblüht Das Glück der Ehe; wem es da nicht lächelte. Dem siel daheim und draußen ein unselig Los. Hekabe hält es in den Troerinneu für undenkbar, daß Menelaos sein ehe¬ brecherisches Weib wieder zu sich nehmen könne; diese habe ihn nie geliebt, denn „wahrhaft ja liebt nicht, wessen Herz nicht immer liebt!" Ohne Zweifel, um den Abscheu vor dem Ehebruch des Weibes als einem beinahe unmöglichen Verbrechen recht kräftig auszudrücken, hat Euripides der Helena, dieser berühmtesten aller Ehebrecherinnen, eine Tragödie gewidmet, in der er sie als unschuldig und ihre Missethat als gar nicht geschehen darstellt. Ein von den Göttern gesandtes Trugbild hat mit Paris entfliehen und so den trojanischen Krieg entflammen müssen, während die wirkliche Helena nach Ägypten entrückt wurde. Dort gerät sie in große Not durch die Bewerbung des Königs Theoklymenvs. Doch, meinem ersten Gatten tren, spricht sie, Knie ich an Proteus Grabe hier und sich ihn an, Dem Gatten mich zu wahren unbefleckt und rein, Daß, wenn in Hellas schmachbedeckt mein Name sei, Die Schmach doch hier nicht meinen Leib entheilige. Gerade zu rechter Zeit erscheint als Retter ihr Gatte selbst, der ihrer Ver¬ sicherung: „Ich wahrte rein und lauter meine Liebe dir" anfänglich nicht recht traut. In der Ansprache an TheonoL hebt sie den heißen Wunsch, ihre Ehre wieder hergestellt zu sehen, als den hauptsächlichsten der Beweggründe hervor, die sie bestimmen, auf Flucht bedacht zu sein. O los aus meinen Leiden mich Unglückliche, Und was das Schicksal uicht gewährt, vollende du! Denn keiner lebt auf Erden, der nicht Helenen Verfluchte, die dem Gatten — so schilt Hellas mich — Untreu, bewohnte Phrygiens goldreiche Burg. Doch lehr ich heim nach Hellas, heim ins Svnrterland, Dann hören sie, dann sehn sie, daß sie Göttertrug Verdarb, und ich dem Gatten nicht die Treue brach; Und wieder dree ich in die Reihn der edeln Fraun. Außer Helena und Klytaimnestra kommt in den Dramen nur noch eine Ehebrecherin vor, die Phädra im Hippolht des Euripides. Aber obwohl es bei dieser, die vor Begier nach dem unnahbar keuschen Stiefsohn verschmachtet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/215>, abgerufen am 24.11.2024.