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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Der Fahneneid

rigkeiten liegen auch hier nicht vor. Keine der beiden Schlußformeln hat etwa
durch biblische Anordnung oder besonders hohes Alter Anspruch darauf, bei¬
behalten zu werden. Auch tritt in keiner von beiden ein bestimmter katholisch-
oder protestantisch-dogmatischer Standpunkt hervor, sodaß der Protestant nicht
ebensogut die katholische Schlußformel und der Katholik nicht die Protestantische
gebrauchen könnte. Ja die Worte: "und sein heiliges Evangelium," die der
Katholik als seine besondre Formel in Anspruch nimmt, klingen sogar ent¬
schieden evangelisch, denn es erinnert an das formale Prinzip des Pro¬
testantismus, demzufolge das geoffenbarte Evangelium -- die Schrift -- Er¬
kenntnis" nelle des Heils ist. Und die Worte des Protestanten: "durch Jesum
Christum zur Seligkeit" wird kein Katholik als irgendwie der Lehre der
Kirche widersprechend bezeichnen können. Würde also durch eine Anordnung
des Kaisers oder des Kriegsministers fortan eine der beiden Formeln für alle
christlichen Soldaten angeordnet, so würde vielleicht über Gewissenszwang von
einer von beiden Seiten geklagt werden, aber wenn es geschähe, so könnte
mau wirklich gespannt darauf sein, in welcher Weise hier Protestant oder
Katholik den Gewissenszwang begründen würde.

Ein für beide Konfessionen gleichlautender Eid wäre übrigens nicht ohne
Vorgang in der Geschichte. Obgleich das kanonische Recht vorschrieb, den
Eid mit den Worten zu schließen: "so wahr mir Gott helfe und dieses sein
heiliges Evangelium" -- wobei der Schwörende seine Hand ans das Evan-
gelienbuch zu legen hatte --, so schloß doch bis zur Reformation der bürger¬
liche Eid meistens: "so wahr mir Gott helfe und seine Heiligen." Dieser
Wortlaut hatte die katholische Lehre zur Voraussetzung; der Protestant konnte
so nicht schwören. Als daher 1555 die Stellung der Augsburgischen Kon¬
fessionsverwandten zu den Katholiken geregelt werden mußte, konnte auch die
Eidesformel nicht unberücksichtigt bleiben. Und im Reichs tagsabschiede von
1555 ist die Eidesunion in die Formel gefaßt: "'s? wahr nur Gott helfe und
sein heiliges Wort." Diese Schlußformel ist thatsächlich vielfach, wenn auch
nicht allgemein, in Gebrauch genommen worden. Die braunschweigischen Re¬
kruten sind bis in die neueste Zeit damit vereidigt worden. Und sie könnte
ohne Bedenken allgemein angewendet werden. Auf diese Weise wären alle
Schwierigkeiten gehoben; sogar eine bisher noch gar nicht erwähnte. Die
beiden genannten Schlußformeln würden nämlich von jüdischen Rekruten natür¬
lich nicht anzuwenden sein, während die zuletzt genannte Formel sogar für den
Juden nichts anstößiges böte.

Wie anders würde sich die Feier einer Eidesleistung gestalten, wenn ein
einziger Fahneneid ohne besondern konfessionellen Schluß möglich wäre! Die
Vorbereitung in den christlichen Gotteshäusern und in der Synagoge fände
möglichst zu gleicher Stunde statt. Die Rekruten aller Waffen versammeln
sich dann im Kasernenhofe, alle im Paradeanzug. Fahnen und Musik, falls


Der Fahneneid

rigkeiten liegen auch hier nicht vor. Keine der beiden Schlußformeln hat etwa
durch biblische Anordnung oder besonders hohes Alter Anspruch darauf, bei¬
behalten zu werden. Auch tritt in keiner von beiden ein bestimmter katholisch-
oder protestantisch-dogmatischer Standpunkt hervor, sodaß der Protestant nicht
ebensogut die katholische Schlußformel und der Katholik nicht die Protestantische
gebrauchen könnte. Ja die Worte: „und sein heiliges Evangelium," die der
Katholik als seine besondre Formel in Anspruch nimmt, klingen sogar ent¬
schieden evangelisch, denn es erinnert an das formale Prinzip des Pro¬
testantismus, demzufolge das geoffenbarte Evangelium — die Schrift — Er¬
kenntnis« nelle des Heils ist. Und die Worte des Protestanten: „durch Jesum
Christum zur Seligkeit" wird kein Katholik als irgendwie der Lehre der
Kirche widersprechend bezeichnen können. Würde also durch eine Anordnung
des Kaisers oder des Kriegsministers fortan eine der beiden Formeln für alle
christlichen Soldaten angeordnet, so würde vielleicht über Gewissenszwang von
einer von beiden Seiten geklagt werden, aber wenn es geschähe, so könnte
mau wirklich gespannt darauf sein, in welcher Weise hier Protestant oder
Katholik den Gewissenszwang begründen würde.

Ein für beide Konfessionen gleichlautender Eid wäre übrigens nicht ohne
Vorgang in der Geschichte. Obgleich das kanonische Recht vorschrieb, den
Eid mit den Worten zu schließen: „so wahr mir Gott helfe und dieses sein
heiliges Evangelium" — wobei der Schwörende seine Hand ans das Evan-
gelienbuch zu legen hatte —, so schloß doch bis zur Reformation der bürger¬
liche Eid meistens: „so wahr mir Gott helfe und seine Heiligen." Dieser
Wortlaut hatte die katholische Lehre zur Voraussetzung; der Protestant konnte
so nicht schwören. Als daher 1555 die Stellung der Augsburgischen Kon¬
fessionsverwandten zu den Katholiken geregelt werden mußte, konnte auch die
Eidesformel nicht unberücksichtigt bleiben. Und im Reichs tagsabschiede von
1555 ist die Eidesunion in die Formel gefaßt: „'s? wahr nur Gott helfe und
sein heiliges Wort." Diese Schlußformel ist thatsächlich vielfach, wenn auch
nicht allgemein, in Gebrauch genommen worden. Die braunschweigischen Re¬
kruten sind bis in die neueste Zeit damit vereidigt worden. Und sie könnte
ohne Bedenken allgemein angewendet werden. Auf diese Weise wären alle
Schwierigkeiten gehoben; sogar eine bisher noch gar nicht erwähnte. Die
beiden genannten Schlußformeln würden nämlich von jüdischen Rekruten natür¬
lich nicht anzuwenden sein, während die zuletzt genannte Formel sogar für den
Juden nichts anstößiges böte.

Wie anders würde sich die Feier einer Eidesleistung gestalten, wenn ein
einziger Fahneneid ohne besondern konfessionellen Schluß möglich wäre! Die
Vorbereitung in den christlichen Gotteshäusern und in der Synagoge fände
möglichst zu gleicher Stunde statt. Die Rekruten aller Waffen versammeln
sich dann im Kasernenhofe, alle im Paradeanzug. Fahnen und Musik, falls


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[0208] Der Fahneneid rigkeiten liegen auch hier nicht vor. Keine der beiden Schlußformeln hat etwa durch biblische Anordnung oder besonders hohes Alter Anspruch darauf, bei¬ behalten zu werden. Auch tritt in keiner von beiden ein bestimmter katholisch- oder protestantisch-dogmatischer Standpunkt hervor, sodaß der Protestant nicht ebensogut die katholische Schlußformel und der Katholik nicht die Protestantische gebrauchen könnte. Ja die Worte: „und sein heiliges Evangelium," die der Katholik als seine besondre Formel in Anspruch nimmt, klingen sogar ent¬ schieden evangelisch, denn es erinnert an das formale Prinzip des Pro¬ testantismus, demzufolge das geoffenbarte Evangelium — die Schrift — Er¬ kenntnis« nelle des Heils ist. Und die Worte des Protestanten: „durch Jesum Christum zur Seligkeit" wird kein Katholik als irgendwie der Lehre der Kirche widersprechend bezeichnen können. Würde also durch eine Anordnung des Kaisers oder des Kriegsministers fortan eine der beiden Formeln für alle christlichen Soldaten angeordnet, so würde vielleicht über Gewissenszwang von einer von beiden Seiten geklagt werden, aber wenn es geschähe, so könnte mau wirklich gespannt darauf sein, in welcher Weise hier Protestant oder Katholik den Gewissenszwang begründen würde. Ein für beide Konfessionen gleichlautender Eid wäre übrigens nicht ohne Vorgang in der Geschichte. Obgleich das kanonische Recht vorschrieb, den Eid mit den Worten zu schließen: „so wahr mir Gott helfe und dieses sein heiliges Evangelium" — wobei der Schwörende seine Hand ans das Evan- gelienbuch zu legen hatte —, so schloß doch bis zur Reformation der bürger¬ liche Eid meistens: „so wahr mir Gott helfe und seine Heiligen." Dieser Wortlaut hatte die katholische Lehre zur Voraussetzung; der Protestant konnte so nicht schwören. Als daher 1555 die Stellung der Augsburgischen Kon¬ fessionsverwandten zu den Katholiken geregelt werden mußte, konnte auch die Eidesformel nicht unberücksichtigt bleiben. Und im Reichs tagsabschiede von 1555 ist die Eidesunion in die Formel gefaßt: „'s? wahr nur Gott helfe und sein heiliges Wort." Diese Schlußformel ist thatsächlich vielfach, wenn auch nicht allgemein, in Gebrauch genommen worden. Die braunschweigischen Re¬ kruten sind bis in die neueste Zeit damit vereidigt worden. Und sie könnte ohne Bedenken allgemein angewendet werden. Auf diese Weise wären alle Schwierigkeiten gehoben; sogar eine bisher noch gar nicht erwähnte. Die beiden genannten Schlußformeln würden nämlich von jüdischen Rekruten natür¬ lich nicht anzuwenden sein, während die zuletzt genannte Formel sogar für den Juden nichts anstößiges böte. Wie anders würde sich die Feier einer Eidesleistung gestalten, wenn ein einziger Fahneneid ohne besondern konfessionellen Schluß möglich wäre! Die Vorbereitung in den christlichen Gotteshäusern und in der Synagoge fände möglichst zu gleicher Stunde statt. Die Rekruten aller Waffen versammeln sich dann im Kasernenhofe, alle im Paradeanzug. Fahnen und Musik, falls

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/208>, abgerufen am 23.11.2024.