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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Der Fahneneid

litem den Schluß sprechen zu lassen. Aber much das ist nicht ohne störendes
Dazwischenreden ausführbar. Ans Befangenheit oder Angst spricht der Re¬
krut entweder gar nicht oder vielleicht an falscher Stelle mit; kurz, auch bei
diesem Verfahren leidet die Feierlichkeit, wenn auch die Zeit hier nicht so über¬
mäßig in Anspruch genommen wird wie dann, wenn die Angehörigen der ein¬
zelnen Staaten besonders vereidigt werden.

Vielleicht hat die Erwägung, daß unter den geschilderten Verhältnissen
die Feierlichkeit leiden muß, den Anlaß gegeben, die Vereidigung selbst von
dein vorbereitenden Gottesdienst zu trennen und auf den Kasernenhof zu ver¬
legen. Die Rüge des ungeschickten Benehmens eines Rekruten oder die Rüge
eines Irrtums berührt hier weniger unangenehm, als wenn sie in der Kirche,
vielleicht in etwas barschem, dienstlichen Ton ausgeführt wird. Es ist vor¬
gekommen, daß ein Rekrut in seiner Befangenheit und ans Angst, etwas zu
versäumen, jedesmal die Hand erhob, Vor- und Zunamen nannte und allen
deutschen Fürsten den Eid der Treue leistete, vielleicht auch uoch den Senaten
der drei freien Städte. Hat doch sicherlich der größte Teil der Rekruten keine
Ahnung davon, was ein Senat ist, auch deu Namen seines Landesherrn weiß
keineswegs jeder Rekrut, und auch über seine Zugehörigkeit zu diesem oder
jenem Staat wird mancher keine Auskunft geben können. Fragt der Offizier
uach Abschluß der Vereidigung der Sicherheit wegen, ob etwa einer da sei, der
noch nicht geschworen habe, so meldet sich ganz gewiß einer und erwidert auf
die Frage nach dem Staate, dem er angehöre, er sei Lancnbnrger, ein andrer
behauptet, ohne deshalb pnrtikularistische Hintergedanken zu hegen, er sei Hanno-
veraner. So muß denn die Eidesformel für Preußen noch einmal angewendet
werden. Entschlüpft dabei dem Offizier, der im Schweiße seines Angesichts
schon länger als einer Stunde der Arbeit des Vcreidigens obgelegen hat, ein
scharfes Wort, das nicht geeignet ist, die Feierlichkeit zu erhöhen, so können
wir ihm das wahrhaftig nicht übel nehmen.

Die Irrtümer werden aber nicht immer durch die zu vereidigenden Mann¬
schaften verschuldet; selbst einem sonst gewandten Offizier kann ein Irrtum
unterlaufen. Ist es doch kürzlich vorgekommen, daß ein vereinzelt zu ver¬
eidigender Hesse einem längst verstorbnen Großherzog den Eid leistete, weil
der vereidigende Offizier nach einer altern Auflage des Fircksschen Taschen¬
kalenders für das Heer den Namen des hessischen Herrschers bestimmte. Selbst
einem gar nicht souveränen Fürsten, dem Fürsten von Hohenzollern, wurde
auf Veranlassung desselben Offiziers von einem biedern preußischen Unterthan
aus dem Fürstentum Hohenzollern der Eid der Treue geleistet. Jedenfalls
haben deshalb die beide" Soldaten nicht minder treu und redlich gedient.
Aber auf die Anwesenden, die für die Sache ein Verständnis hatten, wirkte
diese Vereidigung doch nicht gerade besonders feierlich.

Noch ein andrer Vorgang mag hier erwähnt sein. Es war im Herbst


Der Fahneneid

litem den Schluß sprechen zu lassen. Aber much das ist nicht ohne störendes
Dazwischenreden ausführbar. Ans Befangenheit oder Angst spricht der Re¬
krut entweder gar nicht oder vielleicht an falscher Stelle mit; kurz, auch bei
diesem Verfahren leidet die Feierlichkeit, wenn auch die Zeit hier nicht so über¬
mäßig in Anspruch genommen wird wie dann, wenn die Angehörigen der ein¬
zelnen Staaten besonders vereidigt werden.

Vielleicht hat die Erwägung, daß unter den geschilderten Verhältnissen
die Feierlichkeit leiden muß, den Anlaß gegeben, die Vereidigung selbst von
dein vorbereitenden Gottesdienst zu trennen und auf den Kasernenhof zu ver¬
legen. Die Rüge des ungeschickten Benehmens eines Rekruten oder die Rüge
eines Irrtums berührt hier weniger unangenehm, als wenn sie in der Kirche,
vielleicht in etwas barschem, dienstlichen Ton ausgeführt wird. Es ist vor¬
gekommen, daß ein Rekrut in seiner Befangenheit und ans Angst, etwas zu
versäumen, jedesmal die Hand erhob, Vor- und Zunamen nannte und allen
deutschen Fürsten den Eid der Treue leistete, vielleicht auch uoch den Senaten
der drei freien Städte. Hat doch sicherlich der größte Teil der Rekruten keine
Ahnung davon, was ein Senat ist, auch deu Namen seines Landesherrn weiß
keineswegs jeder Rekrut, und auch über seine Zugehörigkeit zu diesem oder
jenem Staat wird mancher keine Auskunft geben können. Fragt der Offizier
uach Abschluß der Vereidigung der Sicherheit wegen, ob etwa einer da sei, der
noch nicht geschworen habe, so meldet sich ganz gewiß einer und erwidert auf
die Frage nach dem Staate, dem er angehöre, er sei Lancnbnrger, ein andrer
behauptet, ohne deshalb pnrtikularistische Hintergedanken zu hegen, er sei Hanno-
veraner. So muß denn die Eidesformel für Preußen noch einmal angewendet
werden. Entschlüpft dabei dem Offizier, der im Schweiße seines Angesichts
schon länger als einer Stunde der Arbeit des Vcreidigens obgelegen hat, ein
scharfes Wort, das nicht geeignet ist, die Feierlichkeit zu erhöhen, so können
wir ihm das wahrhaftig nicht übel nehmen.

Die Irrtümer werden aber nicht immer durch die zu vereidigenden Mann¬
schaften verschuldet; selbst einem sonst gewandten Offizier kann ein Irrtum
unterlaufen. Ist es doch kürzlich vorgekommen, daß ein vereinzelt zu ver¬
eidigender Hesse einem längst verstorbnen Großherzog den Eid leistete, weil
der vereidigende Offizier nach einer altern Auflage des Fircksschen Taschen¬
kalenders für das Heer den Namen des hessischen Herrschers bestimmte. Selbst
einem gar nicht souveränen Fürsten, dem Fürsten von Hohenzollern, wurde
auf Veranlassung desselben Offiziers von einem biedern preußischen Unterthan
aus dem Fürstentum Hohenzollern der Eid der Treue geleistet. Jedenfalls
haben deshalb die beide» Soldaten nicht minder treu und redlich gedient.
Aber auf die Anwesenden, die für die Sache ein Verständnis hatten, wirkte
diese Vereidigung doch nicht gerade besonders feierlich.

Noch ein andrer Vorgang mag hier erwähnt sein. Es war im Herbst


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[0204] Der Fahneneid litem den Schluß sprechen zu lassen. Aber much das ist nicht ohne störendes Dazwischenreden ausführbar. Ans Befangenheit oder Angst spricht der Re¬ krut entweder gar nicht oder vielleicht an falscher Stelle mit; kurz, auch bei diesem Verfahren leidet die Feierlichkeit, wenn auch die Zeit hier nicht so über¬ mäßig in Anspruch genommen wird wie dann, wenn die Angehörigen der ein¬ zelnen Staaten besonders vereidigt werden. Vielleicht hat die Erwägung, daß unter den geschilderten Verhältnissen die Feierlichkeit leiden muß, den Anlaß gegeben, die Vereidigung selbst von dein vorbereitenden Gottesdienst zu trennen und auf den Kasernenhof zu ver¬ legen. Die Rüge des ungeschickten Benehmens eines Rekruten oder die Rüge eines Irrtums berührt hier weniger unangenehm, als wenn sie in der Kirche, vielleicht in etwas barschem, dienstlichen Ton ausgeführt wird. Es ist vor¬ gekommen, daß ein Rekrut in seiner Befangenheit und ans Angst, etwas zu versäumen, jedesmal die Hand erhob, Vor- und Zunamen nannte und allen deutschen Fürsten den Eid der Treue leistete, vielleicht auch uoch den Senaten der drei freien Städte. Hat doch sicherlich der größte Teil der Rekruten keine Ahnung davon, was ein Senat ist, auch deu Namen seines Landesherrn weiß keineswegs jeder Rekrut, und auch über seine Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Staat wird mancher keine Auskunft geben können. Fragt der Offizier uach Abschluß der Vereidigung der Sicherheit wegen, ob etwa einer da sei, der noch nicht geschworen habe, so meldet sich ganz gewiß einer und erwidert auf die Frage nach dem Staate, dem er angehöre, er sei Lancnbnrger, ein andrer behauptet, ohne deshalb pnrtikularistische Hintergedanken zu hegen, er sei Hanno- veraner. So muß denn die Eidesformel für Preußen noch einmal angewendet werden. Entschlüpft dabei dem Offizier, der im Schweiße seines Angesichts schon länger als einer Stunde der Arbeit des Vcreidigens obgelegen hat, ein scharfes Wort, das nicht geeignet ist, die Feierlichkeit zu erhöhen, so können wir ihm das wahrhaftig nicht übel nehmen. Die Irrtümer werden aber nicht immer durch die zu vereidigenden Mann¬ schaften verschuldet; selbst einem sonst gewandten Offizier kann ein Irrtum unterlaufen. Ist es doch kürzlich vorgekommen, daß ein vereinzelt zu ver¬ eidigender Hesse einem längst verstorbnen Großherzog den Eid leistete, weil der vereidigende Offizier nach einer altern Auflage des Fircksschen Taschen¬ kalenders für das Heer den Namen des hessischen Herrschers bestimmte. Selbst einem gar nicht souveränen Fürsten, dem Fürsten von Hohenzollern, wurde auf Veranlassung desselben Offiziers von einem biedern preußischen Unterthan aus dem Fürstentum Hohenzollern der Eid der Treue geleistet. Jedenfalls haben deshalb die beide» Soldaten nicht minder treu und redlich gedient. Aber auf die Anwesenden, die für die Sache ein Verständnis hatten, wirkte diese Vereidigung doch nicht gerade besonders feierlich. Noch ein andrer Vorgang mag hier erwähnt sein. Es war im Herbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/204>, abgerufen am 24.11.2024.