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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Freigedmik, hinter welchem Zinnien sich damals Richard Wagner versteckte, leistete
mit seinem Artikel: "Das Judentum in der Musik" schon im Jahre 1850 die
höchste Anschwärzung Mendelssohns, die natürlich von den Verehrern des "Dichter¬
komponisten" nach allen Richtungen hin und bei jeder passenden und unpassenden
Gelegenheit gehörig ausgebeutet wurde; Joseph Rubinstein, el" eifriger Wagne¬
rianer, hat sich durch seine Auslassungen über Schumann in den "Bayreuther
Blättern" vom Juni 1879 eine traurige Berühmtheit erworben, das einzige Über¬
bleibsel seines Namens."-)

Vierzig und einige Jahre sind es jetzt auch, daß der Begriff "Zukunftsmusik"
auftauchte und solche, die Jünglinge noch an Jahren waren, unter dem Banner
dieses Schlagwortes zu einem absonderlichen Thun und Treiben vereinigte. Ein
besondrer Lärmmacher war damals ein gewisser Hoplit, der sich nachmals zu einem
der talentvollsten Tamtnmisten emporschwang und sich durch sein Ausschlagen nach
rechts und links, ausgenommen gegen Liszt und Wagner und alles, was drum und
dran hing, gewaltig hervorthat. Der Ausdruck "Zukunftsmusik" wurde später auf
Wunsch und Geheiß des Meisters Wagner fallen gelassen und in "neue Richtung"
umgesetzt. Wie steht es mit dieser neuen Richtung in der Gegenwart? Der Lärm
dauert noch fort, niemand aber giebt sich mehr die Mühe, ihn ernstlich zu be¬
kämpfen.

Die Verehrung, die Schumann gegen Mendelssohn hegte, ist durch die Ver¬
öffentlichung seiner Aufsätze und Briefe bekannt geworden. Nicht minder schätzte
Spohr, der fünfundzwanzig Jahre ältere und bereits ruhmvoll' bewährte Künstler,
den Meister Mendelssohn/ Als ihn die Kunde von dessen Ableben traf, schrieb
er: "Was hätte Mendelssohn, ans der Höhe seiner Kunstblüte, noch Herrliches
schreiben können, hätte ihm das Geschick ein längeres Leben gegönnt! Für seinen
zarten Körperbau war die geistige Anstrengung zu groß und daher vernichtend.
Sein Verlust für die Kunst ist sehr zu beklagen, da er der begabteste der jetzt
lebenden Komponisten und sein Knnststreben ein sehr edles war." Im Laufe der
letzten Jahre sind auch einige briefliche Äußerungen Mendelssohns über Schumannsche
Werke bekannt geworden, die in liebenswürdiger Weise die Anerkennung aussprechen,
die er ihnen zollte.

Hier nun schließlich ein Schriftstück, jetzt auch vierzig Jahre alt, das in Kürze
die Gegenströmung jener Zeit zum Ausdruck bringt. Es kaun, da die erwähnten
Persönlichkeiten längst in Frieden ruhen, niemand mehr wehe thun. Auch Hoplit
ist verschollen; ob er gestorben ist, weiß ich nicht, tot ist er jedenfalls.


Sr. Wohlgeb.
Herrn Musikdirektor M. Hauptmann in Leipzig.

Cassel, den i.6ten November 1853.

Kennen Sie den Herrn Hoplit in Dresden, der über das Musikfest in Karls¬
ruhe so anmaßend und albern berichtet? Er übertrifft in seiner Vergötterung von
Liszt, Wagner, Schumann pp. selbst noch Herrn Brendel. und zieht auf die un¬
verschämteste Weise über Meudelssohus Finale zu Loreley los, das doch unbezweifelt
das Beste war, was dort zur Aufführung gekommen ist. Die Unverschämtheit dieser
Schmierer und Mitarbeiter der Leipziger Musikzeitung kennt doch wahrlich keine
Grenzen! -- Gestern erzählte mir Herr von Schnerfeld, der mich in Karlsruhe
beym Musikfest zugegen war, Andre in Frankfurt, der viele Manuscripte vou Mozart



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K moi'o tuwons psu ((rrnvv, Diotion^r^),
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Freigedmik, hinter welchem Zinnien sich damals Richard Wagner versteckte, leistete
mit seinem Artikel: „Das Judentum in der Musik" schon im Jahre 1850 die
höchste Anschwärzung Mendelssohns, die natürlich von den Verehrern des „Dichter¬
komponisten" nach allen Richtungen hin und bei jeder passenden und unpassenden
Gelegenheit gehörig ausgebeutet wurde; Joseph Rubinstein, el« eifriger Wagne¬
rianer, hat sich durch seine Auslassungen über Schumann in den „Bayreuther
Blättern" vom Juni 1879 eine traurige Berühmtheit erworben, das einzige Über¬
bleibsel seines Namens."-)

Vierzig und einige Jahre sind es jetzt auch, daß der Begriff „Zukunftsmusik"
auftauchte und solche, die Jünglinge noch an Jahren waren, unter dem Banner
dieses Schlagwortes zu einem absonderlichen Thun und Treiben vereinigte. Ein
besondrer Lärmmacher war damals ein gewisser Hoplit, der sich nachmals zu einem
der talentvollsten Tamtnmisten emporschwang und sich durch sein Ausschlagen nach
rechts und links, ausgenommen gegen Liszt und Wagner und alles, was drum und
dran hing, gewaltig hervorthat. Der Ausdruck „Zukunftsmusik" wurde später auf
Wunsch und Geheiß des Meisters Wagner fallen gelassen und in „neue Richtung"
umgesetzt. Wie steht es mit dieser neuen Richtung in der Gegenwart? Der Lärm
dauert noch fort, niemand aber giebt sich mehr die Mühe, ihn ernstlich zu be¬
kämpfen.

Die Verehrung, die Schumann gegen Mendelssohn hegte, ist durch die Ver¬
öffentlichung seiner Aufsätze und Briefe bekannt geworden. Nicht minder schätzte
Spohr, der fünfundzwanzig Jahre ältere und bereits ruhmvoll' bewährte Künstler,
den Meister Mendelssohn/ Als ihn die Kunde von dessen Ableben traf, schrieb
er: „Was hätte Mendelssohn, ans der Höhe seiner Kunstblüte, noch Herrliches
schreiben können, hätte ihm das Geschick ein längeres Leben gegönnt! Für seinen
zarten Körperbau war die geistige Anstrengung zu groß und daher vernichtend.
Sein Verlust für die Kunst ist sehr zu beklagen, da er der begabteste der jetzt
lebenden Komponisten und sein Knnststreben ein sehr edles war." Im Laufe der
letzten Jahre sind auch einige briefliche Äußerungen Mendelssohns über Schumannsche
Werke bekannt geworden, die in liebenswürdiger Weise die Anerkennung aussprechen,
die er ihnen zollte.

Hier nun schließlich ein Schriftstück, jetzt auch vierzig Jahre alt, das in Kürze
die Gegenströmung jener Zeit zum Ausdruck bringt. Es kaun, da die erwähnten
Persönlichkeiten längst in Frieden ruhen, niemand mehr wehe thun. Auch Hoplit
ist verschollen; ob er gestorben ist, weiß ich nicht, tot ist er jedenfalls.


Sr. Wohlgeb.
Herrn Musikdirektor M. Hauptmann in Leipzig.

Cassel, den i.6ten November 1853.

Kennen Sie den Herrn Hoplit in Dresden, der über das Musikfest in Karls¬
ruhe so anmaßend und albern berichtet? Er übertrifft in seiner Vergötterung von
Liszt, Wagner, Schumann pp. selbst noch Herrn Brendel. und zieht auf die un¬
verschämteste Weise über Meudelssohus Finale zu Loreley los, das doch unbezweifelt
das Beste war, was dort zur Aufführung gekommen ist. Die Unverschämtheit dieser
Schmierer und Mitarbeiter der Leipziger Musikzeitung kennt doch wahrlich keine
Grenzen! — Gestern erzählte mir Herr von Schnerfeld, der mich in Karlsruhe
beym Musikfest zugegen war, Andre in Frankfurt, der viele Manuscripte vou Mozart



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[0197] Maßgebliches und Unmaßgebliches Freigedmik, hinter welchem Zinnien sich damals Richard Wagner versteckte, leistete mit seinem Artikel: „Das Judentum in der Musik" schon im Jahre 1850 die höchste Anschwärzung Mendelssohns, die natürlich von den Verehrern des „Dichter¬ komponisten" nach allen Richtungen hin und bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit gehörig ausgebeutet wurde; Joseph Rubinstein, el« eifriger Wagne¬ rianer, hat sich durch seine Auslassungen über Schumann in den „Bayreuther Blättern" vom Juni 1879 eine traurige Berühmtheit erworben, das einzige Über¬ bleibsel seines Namens."-) Vierzig und einige Jahre sind es jetzt auch, daß der Begriff „Zukunftsmusik" auftauchte und solche, die Jünglinge noch an Jahren waren, unter dem Banner dieses Schlagwortes zu einem absonderlichen Thun und Treiben vereinigte. Ein besondrer Lärmmacher war damals ein gewisser Hoplit, der sich nachmals zu einem der talentvollsten Tamtnmisten emporschwang und sich durch sein Ausschlagen nach rechts und links, ausgenommen gegen Liszt und Wagner und alles, was drum und dran hing, gewaltig hervorthat. Der Ausdruck „Zukunftsmusik" wurde später auf Wunsch und Geheiß des Meisters Wagner fallen gelassen und in „neue Richtung" umgesetzt. Wie steht es mit dieser neuen Richtung in der Gegenwart? Der Lärm dauert noch fort, niemand aber giebt sich mehr die Mühe, ihn ernstlich zu be¬ kämpfen. Die Verehrung, die Schumann gegen Mendelssohn hegte, ist durch die Ver¬ öffentlichung seiner Aufsätze und Briefe bekannt geworden. Nicht minder schätzte Spohr, der fünfundzwanzig Jahre ältere und bereits ruhmvoll' bewährte Künstler, den Meister Mendelssohn/ Als ihn die Kunde von dessen Ableben traf, schrieb er: „Was hätte Mendelssohn, ans der Höhe seiner Kunstblüte, noch Herrliches schreiben können, hätte ihm das Geschick ein längeres Leben gegönnt! Für seinen zarten Körperbau war die geistige Anstrengung zu groß und daher vernichtend. Sein Verlust für die Kunst ist sehr zu beklagen, da er der begabteste der jetzt lebenden Komponisten und sein Knnststreben ein sehr edles war." Im Laufe der letzten Jahre sind auch einige briefliche Äußerungen Mendelssohns über Schumannsche Werke bekannt geworden, die in liebenswürdiger Weise die Anerkennung aussprechen, die er ihnen zollte. Hier nun schließlich ein Schriftstück, jetzt auch vierzig Jahre alt, das in Kürze die Gegenströmung jener Zeit zum Ausdruck bringt. Es kaun, da die erwähnten Persönlichkeiten längst in Frieden ruhen, niemand mehr wehe thun. Auch Hoplit ist verschollen; ob er gestorben ist, weiß ich nicht, tot ist er jedenfalls. Sr. Wohlgeb. Herrn Musikdirektor M. Hauptmann in Leipzig. Cassel, den i.6ten November 1853. Kennen Sie den Herrn Hoplit in Dresden, der über das Musikfest in Karls¬ ruhe so anmaßend und albern berichtet? Er übertrifft in seiner Vergötterung von Liszt, Wagner, Schumann pp. selbst noch Herrn Brendel. und zieht auf die un¬ verschämteste Weise über Meudelssohus Finale zu Loreley los, das doch unbezweifelt das Beste war, was dort zur Aufführung gekommen ist. Die Unverschämtheit dieser Schmierer und Mitarbeiter der Leipziger Musikzeitung kennt doch wahrlich keine Grenzen! — Gestern erzählte mir Herr von Schnerfeld, der mich in Karlsruhe beym Musikfest zugegen war, Andre in Frankfurt, der viele Manuscripte vou Mozart ^rlivlos siMvä >vnd uis n^mo, tliouxti dolisvsä b^ sows to nave smaiuitsä Iron K moi'o tuwons psu ((rrnvv, Diotion^r^),

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/197>, abgerufen am 23.11.2024.