Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zolas neuester Roman

Wissenschaft hier bloße Bemäntelungen, ein bloßer idealer Aufputz für sehr
materielle Gelüste sind. Die ganze Wissenschaft des alten Arztes, über die sich
Zola Seiten lang in hochtrabenden Redensarten ergeht, ist einfach Humbug,
die Verrücktheit eines an fixen Ideen leidenden Gelehrten. Neben seiner Ver-
erbuugspathologic hat er eine neue Theorie vom Gleichgewicht der Kräfte auf¬
gestellt, die darin besteht ü, vt-idlir eins tout, "zö Huc- rs^on su son-
"iition, it etoit 16 rsn<tre> su mouvement. "Welch ein normales, volles und
glückliches Leben, ruft er aus, wenn man es hätte ganz leben können, so ge¬
ordnet wie das Triebwerk einer Maschine, die in Kraft umsetzt, was sie an Brenn¬
stoff verbraucht!" Er glaubt auch ein neues Mittel, ninz parmess rin?<zr3fils,
entdeckt zu haben, wodurch die ganze Menschheit wieder gesund gemacht werden
könnte. Es ist eine Auflösung von Hammelbrägeu in destillirtem Wasser.
Dieses Mittel spritzt er den Kranken unter die Haut, und er hat damit die
überraschendsten Erfolge: die Schwindsüchtigen werden wieder gesund, und die
Irrsinnigen werden wieder vernünftig. Das wäre ja eine ganz hübsche Satire
auf die letzten Enttäuschungen, wie sie die Heilkunde erlebt hat: aber Zola
denkt gar uicht daran, eine Satire zu schreiben. Er giebt die Wahrheit; er
behauptet, hier den Typus eines Gelehrten, und dazu eines sehr edeln, hoch¬
herzigen Gelehrten unsrer Zeit geliefert zu haben. Das ist sehr komisch, wir
können Faguet uur Recht geben, wenn er Pascal den Don Quichotte der
Rougon-Macquart nennt.

Der Roman ist auch sonst reich an unfreiwilliger Komik; solche wunder¬
liche Szenen sind z. B. die Liebestollheit des Alten, der Besuch der Familie
bei der Stammmutter, der Tante Dite, im Irrenhause, das Ende des
fünfzehnjährigen Charles, eines Neffen der Klvtilde, der an Nasenbluten
stirbt, und der auf seinem Blatte am Stammbaum charakterisirt wird mit
den Worten: clgrniLrs sxxrössicm as 1'0vui8(!Mknt et'une ZÄv"z. Aber alle
diese wunderlichen Schilderungen werden noch übertroffen durch die Art,
wie Zola, nach berühmten Mustern, den alten Onkel Macquart, einen un¬
verbesserlichen Säufer, in seinein eignen Fett und Alkohol verbrennen läßt.
Schon Dickens beschreibt in seinem Roman LIs-i-K Lvuss einen ähnlichen Fall
der oonibustion "xonwnöö. Zola ist mit seiner Schilderung also uicht einmal
originell; und obgleich jene Stelle bei Dickens von den Ärzte" als unmöglich
bezeichnet worden ist, tischt er in seiner Kritiklosigkeit denselben Verbrennuugs-
prozeß als neue Wahrheit den Lesern nochmals auf. Der alte Macquart sitzt
rauchend in seinem Zimmer. Er schläft ein. Ein Funke fällt aus seiner
Pfeife auf sein Knie, es brennt durch die Hose, und bald züngelt aus dem
Fleische des alten Säufers ein blaues Flämmchen auf, das in kurzer Zeit den
ganzen Körper in Rauch und Asche verwandelt. Nur seine Pfeife bleibt übrig
und die leere Schnapsflasche, in die sechsunddreißig Schnäpse hineingehen.
1ii6N luz isstiüt als lui, Ms un os, xas uns elend", un ouA'Is, rion Hus


Zolas neuester Roman

Wissenschaft hier bloße Bemäntelungen, ein bloßer idealer Aufputz für sehr
materielle Gelüste sind. Die ganze Wissenschaft des alten Arztes, über die sich
Zola Seiten lang in hochtrabenden Redensarten ergeht, ist einfach Humbug,
die Verrücktheit eines an fixen Ideen leidenden Gelehrten. Neben seiner Ver-
erbuugspathologic hat er eine neue Theorie vom Gleichgewicht der Kräfte auf¬
gestellt, die darin besteht ü, vt-idlir eins tout, «zö Huc- rs^on su son-
»iition, it etoit 16 rsn<tre> su mouvement. „Welch ein normales, volles und
glückliches Leben, ruft er aus, wenn man es hätte ganz leben können, so ge¬
ordnet wie das Triebwerk einer Maschine, die in Kraft umsetzt, was sie an Brenn¬
stoff verbraucht!" Er glaubt auch ein neues Mittel, ninz parmess rin?<zr3fils,
entdeckt zu haben, wodurch die ganze Menschheit wieder gesund gemacht werden
könnte. Es ist eine Auflösung von Hammelbrägeu in destillirtem Wasser.
Dieses Mittel spritzt er den Kranken unter die Haut, und er hat damit die
überraschendsten Erfolge: die Schwindsüchtigen werden wieder gesund, und die
Irrsinnigen werden wieder vernünftig. Das wäre ja eine ganz hübsche Satire
auf die letzten Enttäuschungen, wie sie die Heilkunde erlebt hat: aber Zola
denkt gar uicht daran, eine Satire zu schreiben. Er giebt die Wahrheit; er
behauptet, hier den Typus eines Gelehrten, und dazu eines sehr edeln, hoch¬
herzigen Gelehrten unsrer Zeit geliefert zu haben. Das ist sehr komisch, wir
können Faguet uur Recht geben, wenn er Pascal den Don Quichotte der
Rougon-Macquart nennt.

Der Roman ist auch sonst reich an unfreiwilliger Komik; solche wunder¬
liche Szenen sind z. B. die Liebestollheit des Alten, der Besuch der Familie
bei der Stammmutter, der Tante Dite, im Irrenhause, das Ende des
fünfzehnjährigen Charles, eines Neffen der Klvtilde, der an Nasenbluten
stirbt, und der auf seinem Blatte am Stammbaum charakterisirt wird mit
den Worten: clgrniLrs sxxrössicm as 1'0vui8(!Mknt et'une ZÄv«z. Aber alle
diese wunderlichen Schilderungen werden noch übertroffen durch die Art,
wie Zola, nach berühmten Mustern, den alten Onkel Macquart, einen un¬
verbesserlichen Säufer, in seinein eignen Fett und Alkohol verbrennen läßt.
Schon Dickens beschreibt in seinem Roman LIs-i-K Lvuss einen ähnlichen Fall
der oonibustion »xonwnöö. Zola ist mit seiner Schilderung also uicht einmal
originell; und obgleich jene Stelle bei Dickens von den Ärzte» als unmöglich
bezeichnet worden ist, tischt er in seiner Kritiklosigkeit denselben Verbrennuugs-
prozeß als neue Wahrheit den Lesern nochmals auf. Der alte Macquart sitzt
rauchend in seinem Zimmer. Er schläft ein. Ein Funke fällt aus seiner
Pfeife auf sein Knie, es brennt durch die Hose, und bald züngelt aus dem
Fleische des alten Säufers ein blaues Flämmchen auf, das in kurzer Zeit den
ganzen Körper in Rauch und Asche verwandelt. Nur seine Pfeife bleibt übrig
und die leere Schnapsflasche, in die sechsunddreißig Schnäpse hineingehen.
1ii6N luz isstiüt als lui, Ms un os, xas uns elend«, un ouA'Is, rion Hus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215280"/>
          <fw type="header" place="top"> Zolas neuester Roman</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_604" prev="#ID_603"> Wissenschaft hier bloße Bemäntelungen, ein bloßer idealer Aufputz für sehr<lb/>
materielle Gelüste sind. Die ganze Wissenschaft des alten Arztes, über die sich<lb/>
Zola Seiten lang in hochtrabenden Redensarten ergeht, ist einfach Humbug,<lb/>
die Verrücktheit eines an fixen Ideen leidenden Gelehrten. Neben seiner Ver-<lb/>
erbuugspathologic hat er eine neue Theorie vom Gleichgewicht der Kräfte auf¬<lb/>
gestellt, die darin besteht ü, vt-idlir eins tout, «zö Huc- rs^on su son-<lb/>
»iition, it etoit 16 rsn&lt;tre&gt; su mouvement. &#x201E;Welch ein normales, volles und<lb/>
glückliches Leben, ruft er aus, wenn man es hätte ganz leben können, so ge¬<lb/>
ordnet wie das Triebwerk einer Maschine, die in Kraft umsetzt, was sie an Brenn¬<lb/>
stoff verbraucht!" Er glaubt auch ein neues Mittel, ninz parmess rin?&lt;zr3fils,<lb/>
entdeckt zu haben, wodurch die ganze Menschheit wieder gesund gemacht werden<lb/>
könnte. Es ist eine Auflösung von Hammelbrägeu in destillirtem Wasser.<lb/>
Dieses Mittel spritzt er den Kranken unter die Haut, und er hat damit die<lb/>
überraschendsten Erfolge: die Schwindsüchtigen werden wieder gesund, und die<lb/>
Irrsinnigen werden wieder vernünftig. Das wäre ja eine ganz hübsche Satire<lb/>
auf die letzten Enttäuschungen, wie sie die Heilkunde erlebt hat: aber Zola<lb/>
denkt gar uicht daran, eine Satire zu schreiben. Er giebt die Wahrheit; er<lb/>
behauptet, hier den Typus eines Gelehrten, und dazu eines sehr edeln, hoch¬<lb/>
herzigen Gelehrten unsrer Zeit geliefert zu haben. Das ist sehr komisch, wir<lb/>
können Faguet uur Recht geben, wenn er Pascal den Don Quichotte der<lb/>
Rougon-Macquart nennt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_605" next="#ID_606"> Der Roman ist auch sonst reich an unfreiwilliger Komik; solche wunder¬<lb/>
liche Szenen sind z. B. die Liebestollheit des Alten, der Besuch der Familie<lb/>
bei der Stammmutter, der Tante Dite, im Irrenhause, das Ende des<lb/>
fünfzehnjährigen Charles, eines Neffen der Klvtilde, der an Nasenbluten<lb/>
stirbt, und der auf seinem Blatte am Stammbaum charakterisirt wird mit<lb/>
den Worten: clgrniLrs sxxrössicm as 1'0vui8(!Mknt et'une ZÄv«z. Aber alle<lb/>
diese wunderlichen Schilderungen werden noch übertroffen durch die Art,<lb/>
wie Zola, nach berühmten Mustern, den alten Onkel Macquart, einen un¬<lb/>
verbesserlichen Säufer, in seinein eignen Fett und Alkohol verbrennen läßt.<lb/>
Schon Dickens beschreibt in seinem Roman LIs-i-K Lvuss einen ähnlichen Fall<lb/>
der oonibustion »xonwnöö. Zola ist mit seiner Schilderung also uicht einmal<lb/>
originell; und obgleich jene Stelle bei Dickens von den Ärzte» als unmöglich<lb/>
bezeichnet worden ist, tischt er in seiner Kritiklosigkeit denselben Verbrennuugs-<lb/>
prozeß als neue Wahrheit den Lesern nochmals auf. Der alte Macquart sitzt<lb/>
rauchend in seinem Zimmer. Er schläft ein. Ein Funke fällt aus seiner<lb/>
Pfeife auf sein Knie, es brennt durch die Hose, und bald züngelt aus dem<lb/>
Fleische des alten Säufers ein blaues Flämmchen auf, das in kurzer Zeit den<lb/>
ganzen Körper in Rauch und Asche verwandelt. Nur seine Pfeife bleibt übrig<lb/>
und die leere Schnapsflasche, in die sechsunddreißig Schnäpse hineingehen.<lb/>
1ii6N luz isstiüt als lui, Ms un os, xas uns elend«,    un ouA'Is, rion Hus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] Zolas neuester Roman Wissenschaft hier bloße Bemäntelungen, ein bloßer idealer Aufputz für sehr materielle Gelüste sind. Die ganze Wissenschaft des alten Arztes, über die sich Zola Seiten lang in hochtrabenden Redensarten ergeht, ist einfach Humbug, die Verrücktheit eines an fixen Ideen leidenden Gelehrten. Neben seiner Ver- erbuugspathologic hat er eine neue Theorie vom Gleichgewicht der Kräfte auf¬ gestellt, die darin besteht ü, vt-idlir eins tout, «zö Huc- rs^on su son- »iition, it etoit 16 rsn<tre> su mouvement. „Welch ein normales, volles und glückliches Leben, ruft er aus, wenn man es hätte ganz leben können, so ge¬ ordnet wie das Triebwerk einer Maschine, die in Kraft umsetzt, was sie an Brenn¬ stoff verbraucht!" Er glaubt auch ein neues Mittel, ninz parmess rin?<zr3fils, entdeckt zu haben, wodurch die ganze Menschheit wieder gesund gemacht werden könnte. Es ist eine Auflösung von Hammelbrägeu in destillirtem Wasser. Dieses Mittel spritzt er den Kranken unter die Haut, und er hat damit die überraschendsten Erfolge: die Schwindsüchtigen werden wieder gesund, und die Irrsinnigen werden wieder vernünftig. Das wäre ja eine ganz hübsche Satire auf die letzten Enttäuschungen, wie sie die Heilkunde erlebt hat: aber Zola denkt gar uicht daran, eine Satire zu schreiben. Er giebt die Wahrheit; er behauptet, hier den Typus eines Gelehrten, und dazu eines sehr edeln, hoch¬ herzigen Gelehrten unsrer Zeit geliefert zu haben. Das ist sehr komisch, wir können Faguet uur Recht geben, wenn er Pascal den Don Quichotte der Rougon-Macquart nennt. Der Roman ist auch sonst reich an unfreiwilliger Komik; solche wunder¬ liche Szenen sind z. B. die Liebestollheit des Alten, der Besuch der Familie bei der Stammmutter, der Tante Dite, im Irrenhause, das Ende des fünfzehnjährigen Charles, eines Neffen der Klvtilde, der an Nasenbluten stirbt, und der auf seinem Blatte am Stammbaum charakterisirt wird mit den Worten: clgrniLrs sxxrössicm as 1'0vui8(!Mknt et'une ZÄv«z. Aber alle diese wunderlichen Schilderungen werden noch übertroffen durch die Art, wie Zola, nach berühmten Mustern, den alten Onkel Macquart, einen un¬ verbesserlichen Säufer, in seinein eignen Fett und Alkohol verbrennen läßt. Schon Dickens beschreibt in seinem Roman LIs-i-K Lvuss einen ähnlichen Fall der oonibustion »xonwnöö. Zola ist mit seiner Schilderung also uicht einmal originell; und obgleich jene Stelle bei Dickens von den Ärzte» als unmöglich bezeichnet worden ist, tischt er in seiner Kritiklosigkeit denselben Verbrennuugs- prozeß als neue Wahrheit den Lesern nochmals auf. Der alte Macquart sitzt rauchend in seinem Zimmer. Er schläft ein. Ein Funke fällt aus seiner Pfeife auf sein Knie, es brennt durch die Hose, und bald züngelt aus dem Fleische des alten Säufers ein blaues Flämmchen auf, das in kurzer Zeit den ganzen Körper in Rauch und Asche verwandelt. Nur seine Pfeife bleibt übrig und die leere Schnapsflasche, in die sechsunddreißig Schnäpse hineingehen. 1ii6N luz isstiüt als lui, Ms un os, xas uns elend«, un ouA'Is, rion Hus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/190>, abgerufen am 01.09.2024.