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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Zolas neuester Roman

hat, sagt er hier: si l'erkenn n'sLt, an dont, l'amour n'sse c^u'ans sg-ists
inutils. Er preist die Mütter, die heiter und einfach sind, aux lar^hö lllmos,
o^pablss as porwr um aeneis und bedauert, daß man unter den Frauen Frank¬
reichs immer weniger die Fälle jener Iveouclits pullulants findet, die den Müttern
kaum Zeit läßt, ihre Kleinen zu stillen. "Aber, sagt er, Frankreich hat ein
kräftiges Leben, und ich finde, daß es auf dem besten Wege ist, die Welt über
seine schnelle Genesung in Erstaunen zu setzen. Gewiß, es giebt hier viele
faule Dinge. Ich habe sie nicht verborgen, ich habe sie vielleicht zu sehr zur
Schau gestellt. Aber ihr versteht mich schwerlich, wenn ihr meint, ich glaubte
an Frankreichs schließlichen Untergang, weil ich die Wunden und die Risse
zeige. Ich glaube an das Leben, das unaufhörlich die schädlichen Stoffe aus¬
wirft, das neue Fleischfasern schafft, um die Wunden zu schließen, das auf die
Gesundheit geradeswegs hinstrebt, auf eine beständige Erneuerung inmitten der
Fäulnis und des Todes."

Französische Kritiker, wie Emile Faguet in der Rsvns Llsus, haben Zolas
Roman I^s vootönr ?g.seul als völlig mißlungen bezeichnet. Sie halten ihn
für die schlechteste Leistung des fruchtbaren Schriftstellers und sprechen ihre
volle Enttäuschung über dieses klägliche Schlußstück aus. Vor allem nehmen
sie Anstoß an Zolas Versuch, eine wahre Liebe zwischen einem sechzigjührigen
Manne und einem jungen Mädchen mit allen sinnlichen Äußerungen darzu¬
stellen. Und es ist wahr, man glaubt bei solchen Altersunterschieden nicht
mehr recht an eine gesunde, natürliche Liebe; der ganze Fall gewinnt leicht
etwas krankhaftes, pathologisches. Aber man muß doch zugestehen, daß es
Zoln nicht unterlassen hat, das allmähliche Entstehen dieser Liebe Klvtildens
zu dem Greise -- denn sie giebt sich ihm freiwillig hin -- mit allen mög¬
lichen Zügen zu begründen. Selbst Szenen ans der biblischen Geschichte, die
Liebe des alten David zu der jungen Sunamitin Abisaig, die Liebe Abrahams
zu Hagar und die Idylle zwischen Boas und Ruth werden zur Erklärung
herbeigezogen. Zola betont ausdrücklich, daß sich Pascal die Kraft unent-
weihter Jugend bewahrt habe. Dazu kommen das Einsiedlerleben, das er mit
Klotilde führt, ihre gemeinsamen Studien über Vererbung, ihre gemeinsamen
Spaziergänge, ihr vertrauliches Leben; Zola hat das seltsame Verhältnis auch
psychologisch zu begründen versucht. Trotzdem erscheint dieses Liebesverhältnis
zwischen dem alten Mann lind der jungen Nichte, die den lebensfrischen Arzt
Ramond abweist und sich dem Greise in die Arme wirft, krankhaft und
widerwärtig, umsomehr als beide gar kein Verlangen haben, ihren Verkehr
dnrch einen Ehebund zu weihen.

Klotilde wird uns im Anfang des Romans als eine tief religiöse Natur
geschildert, und jeder Leser erwartet, daß sich hier ein Kampf abspielen werde
zwischen der in Pascal erscheinenden modernen Wissenschaft und dem in Klvtiloe
lebenden religiösen Bewußtsein. Aber man merkt bald, daß Religion und


Zolas neuester Roman

hat, sagt er hier: si l'erkenn n'sLt, an dont, l'amour n'sse c^u'ans sg-ists
inutils. Er preist die Mütter, die heiter und einfach sind, aux lar^hö lllmos,
o^pablss as porwr um aeneis und bedauert, daß man unter den Frauen Frank¬
reichs immer weniger die Fälle jener Iveouclits pullulants findet, die den Müttern
kaum Zeit läßt, ihre Kleinen zu stillen. „Aber, sagt er, Frankreich hat ein
kräftiges Leben, und ich finde, daß es auf dem besten Wege ist, die Welt über
seine schnelle Genesung in Erstaunen zu setzen. Gewiß, es giebt hier viele
faule Dinge. Ich habe sie nicht verborgen, ich habe sie vielleicht zu sehr zur
Schau gestellt. Aber ihr versteht mich schwerlich, wenn ihr meint, ich glaubte
an Frankreichs schließlichen Untergang, weil ich die Wunden und die Risse
zeige. Ich glaube an das Leben, das unaufhörlich die schädlichen Stoffe aus¬
wirft, das neue Fleischfasern schafft, um die Wunden zu schließen, das auf die
Gesundheit geradeswegs hinstrebt, auf eine beständige Erneuerung inmitten der
Fäulnis und des Todes."

Französische Kritiker, wie Emile Faguet in der Rsvns Llsus, haben Zolas
Roman I^s vootönr ?g.seul als völlig mißlungen bezeichnet. Sie halten ihn
für die schlechteste Leistung des fruchtbaren Schriftstellers und sprechen ihre
volle Enttäuschung über dieses klägliche Schlußstück aus. Vor allem nehmen
sie Anstoß an Zolas Versuch, eine wahre Liebe zwischen einem sechzigjührigen
Manne und einem jungen Mädchen mit allen sinnlichen Äußerungen darzu¬
stellen. Und es ist wahr, man glaubt bei solchen Altersunterschieden nicht
mehr recht an eine gesunde, natürliche Liebe; der ganze Fall gewinnt leicht
etwas krankhaftes, pathologisches. Aber man muß doch zugestehen, daß es
Zoln nicht unterlassen hat, das allmähliche Entstehen dieser Liebe Klvtildens
zu dem Greise — denn sie giebt sich ihm freiwillig hin — mit allen mög¬
lichen Zügen zu begründen. Selbst Szenen ans der biblischen Geschichte, die
Liebe des alten David zu der jungen Sunamitin Abisaig, die Liebe Abrahams
zu Hagar und die Idylle zwischen Boas und Ruth werden zur Erklärung
herbeigezogen. Zola betont ausdrücklich, daß sich Pascal die Kraft unent-
weihter Jugend bewahrt habe. Dazu kommen das Einsiedlerleben, das er mit
Klotilde führt, ihre gemeinsamen Studien über Vererbung, ihre gemeinsamen
Spaziergänge, ihr vertrauliches Leben; Zola hat das seltsame Verhältnis auch
psychologisch zu begründen versucht. Trotzdem erscheint dieses Liebesverhältnis
zwischen dem alten Mann lind der jungen Nichte, die den lebensfrischen Arzt
Ramond abweist und sich dem Greise in die Arme wirft, krankhaft und
widerwärtig, umsomehr als beide gar kein Verlangen haben, ihren Verkehr
dnrch einen Ehebund zu weihen.

Klotilde wird uns im Anfang des Romans als eine tief religiöse Natur
geschildert, und jeder Leser erwartet, daß sich hier ein Kampf abspielen werde
zwischen der in Pascal erscheinenden modernen Wissenschaft und dem in Klvtiloe
lebenden religiösen Bewußtsein. Aber man merkt bald, daß Religion und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/189>, abgerufen am 24.11.2024.