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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Jolas neuester Roman

zeitgenössischen Gesellschaft verbreitet; in alle Lebensstellungen sind sie ge¬
drungen, angestachelt von der maßloßen Gier, dem Stoßen und Treiben, den
Peitschenhieben, die die untern Klassen mitten durch alle Gesellschaftsschichten
zum Lebensgenuß forttreibt."

Zola ist sich wohl bewußt, welche litterarische That er mit seinem Roman-
cyklus ausgeführt hat. In allen seinen kritischen Schriften wird er nicht
müde, die hohe Bedeutung seiner Werke zu rühmen und sie als die Träger
einer neuen mächtigen Litteratur zu preisen. "Welche ungeheure lebendige
Masse, ruft er in dem Schlnßroman aus, wieviel liebliche und furchtbare
Abenteuer, wieviel Freuden, wieviel Leiden, wie mit der Schaufel zusammen¬
geworfen, in dieser kolossalen Anhäufung von Thatsachen! Da findet ihr wirk¬
liche Geschichte: das Kaiserreich in Blut gegründet, im Genuß einer starken
Macht, als Sieger über aufrührerische Städte, dann aber in seiner langsamen
Zersetzung und endlich aufgelöst in Blut, in einem solchen Meer von Blut,
daß die ganze Nation beinahe darin ertrunken wäre. Da findet ihr soziale
Studien: den kleinen und den großen Handel, die Prostitution, das Verbrechen,
den Erdboden, das Geld, die Bourgeoisie und das niedere^ Volk, das in den
Kloaken der Vororte verfault oder sich in den großen Industrieorten empört,
den ganzen, beständig wachsenden Lebenstrieb des allgewaltigen Sozialismus, aus
dem das neue Jahrhundert geboren werden soll. Da findet ihr einfache, rein
menschliche Studien, Skizzen aus dem Seelenleben, Liebesgeschichten, den Kampf
der Geister und der Herzen gegen die ungerechte Natur, die Vernichtung derer,
die unter ihrer zu schweren Aufgabe seufzen, den Ausruf der duldenden Güte,
die sich opfert als Siegerin über den Schmerz. Da findet ihr Traumgebilde
und eine über die Wirklichkeit hinansschweifende Phantasie, unermeßliche,
zu allen Jahreszeiten blühende Prunkgärten, Kathedralen mit kunstvoll ge¬
arbeiteten Zacken und Spitzen, Märchen so wunderbar, als wären sie aus dem
Paradiese gefallen, ideale Schwärmereien, die in einem Kusse wieder zum
Himmel fliegen. II s, as tout, Ah l'öxczöllönt 6t ein pirs, du vulMtrö se
ein sudliiQS, los üours, 1a bono, les siMAlots, los rirss, le tvrrsut raöinö ac
ig, vis olmrrig,ut siens um l'iiuiimnitö!"

Selten hat ein Schriftsteller mit so behaglicher Selbstzufriedenheit und
solchem litterarischen Stolz eine allgemeine Kritik seiner Werke vorgetragen,
wie es hier Zola in seinem Roman I^s vootsur?a,s<ZAl thut. Darnach ist
sein Nomanehklus der Inbegriff alles dessen, was in der Dichtungsgattung
des Romans überhaupt geleistet werden kann; hier wird die Nachwelt die
Muster für die überhaupt noch möglichen Arten des Romans finden, für den
historischen, den sozialen, den psychologischen und den phantastischen. Hier
wird aber anch der Wissenschaft eine Fundgrube geboten, aus der sie neue
Aufklärungen über die Geheimnisse des menschlichen Lebens entlehnen kann und
wirkungsvolle Beweise für ihre Hypothese" und Vermutungen.


Jolas neuester Roman

zeitgenössischen Gesellschaft verbreitet; in alle Lebensstellungen sind sie ge¬
drungen, angestachelt von der maßloßen Gier, dem Stoßen und Treiben, den
Peitschenhieben, die die untern Klassen mitten durch alle Gesellschaftsschichten
zum Lebensgenuß forttreibt."

Zola ist sich wohl bewußt, welche litterarische That er mit seinem Roman-
cyklus ausgeführt hat. In allen seinen kritischen Schriften wird er nicht
müde, die hohe Bedeutung seiner Werke zu rühmen und sie als die Träger
einer neuen mächtigen Litteratur zu preisen. „Welche ungeheure lebendige
Masse, ruft er in dem Schlnßroman aus, wieviel liebliche und furchtbare
Abenteuer, wieviel Freuden, wieviel Leiden, wie mit der Schaufel zusammen¬
geworfen, in dieser kolossalen Anhäufung von Thatsachen! Da findet ihr wirk¬
liche Geschichte: das Kaiserreich in Blut gegründet, im Genuß einer starken
Macht, als Sieger über aufrührerische Städte, dann aber in seiner langsamen
Zersetzung und endlich aufgelöst in Blut, in einem solchen Meer von Blut,
daß die ganze Nation beinahe darin ertrunken wäre. Da findet ihr soziale
Studien: den kleinen und den großen Handel, die Prostitution, das Verbrechen,
den Erdboden, das Geld, die Bourgeoisie und das niedere^ Volk, das in den
Kloaken der Vororte verfault oder sich in den großen Industrieorten empört,
den ganzen, beständig wachsenden Lebenstrieb des allgewaltigen Sozialismus, aus
dem das neue Jahrhundert geboren werden soll. Da findet ihr einfache, rein
menschliche Studien, Skizzen aus dem Seelenleben, Liebesgeschichten, den Kampf
der Geister und der Herzen gegen die ungerechte Natur, die Vernichtung derer,
die unter ihrer zu schweren Aufgabe seufzen, den Ausruf der duldenden Güte,
die sich opfert als Siegerin über den Schmerz. Da findet ihr Traumgebilde
und eine über die Wirklichkeit hinansschweifende Phantasie, unermeßliche,
zu allen Jahreszeiten blühende Prunkgärten, Kathedralen mit kunstvoll ge¬
arbeiteten Zacken und Spitzen, Märchen so wunderbar, als wären sie aus dem
Paradiese gefallen, ideale Schwärmereien, die in einem Kusse wieder zum
Himmel fliegen. II s, as tout, Ah l'öxczöllönt 6t ein pirs, du vulMtrö se
ein sudliiQS, los üours, 1a bono, les siMAlots, los rirss, le tvrrsut raöinö ac
ig, vis olmrrig,ut siens um l'iiuiimnitö!"

Selten hat ein Schriftsteller mit so behaglicher Selbstzufriedenheit und
solchem litterarischen Stolz eine allgemeine Kritik seiner Werke vorgetragen,
wie es hier Zola in seinem Roman I^s vootsur?a,s<ZAl thut. Darnach ist
sein Nomanehklus der Inbegriff alles dessen, was in der Dichtungsgattung
des Romans überhaupt geleistet werden kann; hier wird die Nachwelt die
Muster für die überhaupt noch möglichen Arten des Romans finden, für den
historischen, den sozialen, den psychologischen und den phantastischen. Hier
wird aber anch der Wissenschaft eine Fundgrube geboten, aus der sie neue
Aufklärungen über die Geheimnisse des menschlichen Lebens entlehnen kann und
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[0186] Jolas neuester Roman zeitgenössischen Gesellschaft verbreitet; in alle Lebensstellungen sind sie ge¬ drungen, angestachelt von der maßloßen Gier, dem Stoßen und Treiben, den Peitschenhieben, die die untern Klassen mitten durch alle Gesellschaftsschichten zum Lebensgenuß forttreibt." Zola ist sich wohl bewußt, welche litterarische That er mit seinem Roman- cyklus ausgeführt hat. In allen seinen kritischen Schriften wird er nicht müde, die hohe Bedeutung seiner Werke zu rühmen und sie als die Träger einer neuen mächtigen Litteratur zu preisen. „Welche ungeheure lebendige Masse, ruft er in dem Schlnßroman aus, wieviel liebliche und furchtbare Abenteuer, wieviel Freuden, wieviel Leiden, wie mit der Schaufel zusammen¬ geworfen, in dieser kolossalen Anhäufung von Thatsachen! Da findet ihr wirk¬ liche Geschichte: das Kaiserreich in Blut gegründet, im Genuß einer starken Macht, als Sieger über aufrührerische Städte, dann aber in seiner langsamen Zersetzung und endlich aufgelöst in Blut, in einem solchen Meer von Blut, daß die ganze Nation beinahe darin ertrunken wäre. Da findet ihr soziale Studien: den kleinen und den großen Handel, die Prostitution, das Verbrechen, den Erdboden, das Geld, die Bourgeoisie und das niedere^ Volk, das in den Kloaken der Vororte verfault oder sich in den großen Industrieorten empört, den ganzen, beständig wachsenden Lebenstrieb des allgewaltigen Sozialismus, aus dem das neue Jahrhundert geboren werden soll. Da findet ihr einfache, rein menschliche Studien, Skizzen aus dem Seelenleben, Liebesgeschichten, den Kampf der Geister und der Herzen gegen die ungerechte Natur, die Vernichtung derer, die unter ihrer zu schweren Aufgabe seufzen, den Ausruf der duldenden Güte, die sich opfert als Siegerin über den Schmerz. Da findet ihr Traumgebilde und eine über die Wirklichkeit hinansschweifende Phantasie, unermeßliche, zu allen Jahreszeiten blühende Prunkgärten, Kathedralen mit kunstvoll ge¬ arbeiteten Zacken und Spitzen, Märchen so wunderbar, als wären sie aus dem Paradiese gefallen, ideale Schwärmereien, die in einem Kusse wieder zum Himmel fliegen. II s, as tout, Ah l'öxczöllönt 6t ein pirs, du vulMtrö se ein sudliiQS, los üours, 1a bono, les siMAlots, los rirss, le tvrrsut raöinö ac ig, vis olmrrig,ut siens um l'iiuiimnitö!" Selten hat ein Schriftsteller mit so behaglicher Selbstzufriedenheit und solchem litterarischen Stolz eine allgemeine Kritik seiner Werke vorgetragen, wie es hier Zola in seinem Roman I^s vootsur?a,s<ZAl thut. Darnach ist sein Nomanehklus der Inbegriff alles dessen, was in der Dichtungsgattung des Romans überhaupt geleistet werden kann; hier wird die Nachwelt die Muster für die überhaupt noch möglichen Arten des Romans finden, für den historischen, den sozialen, den psychologischen und den phantastischen. Hier wird aber anch der Wissenschaft eine Fundgrube geboten, aus der sie neue Aufklärungen über die Geheimnisse des menschlichen Lebens entlehnen kann und wirkungsvolle Beweise für ihre Hypothese« und Vermutungen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/186>, abgerufen am 28.07.2024.