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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Gruft Moritz Arndt und Johanna Motherby

das! Doch ihr wisset das beste, und wir müssen euren ewigen Willen erfüllen
und trauern." Als dann Arndt am zweiten Pfingsttag "des heiligen Festes
und des himmlischen Wetters sich freuend," unter den Berliner Linden ging
und ihn ein Freund -- es war Reil -- von hinten zupfte und rief: Es ist
Waffenstillstand! empfand er die Nachricht wie einen Donnerschlag. Dann
schrieb er an Johanna: "Welch einen Tag, welche Tage habe ich verlebt,
wie blutet mir das Herz! und doch ist vielleicht uoch nichts verloren; aber der
Gedanke, es könne Frieden werden, ist eine Hölle für jede deutsche Brust----
Als ich heimkam, klopfte es an meiner Thür, und ein Mann brachte mir ein
Brieflein; ich erkannte es an den netten Zügen, es war von der süßen Furina.
Ich hielt es lange unerbrochen, ich hätte weinen mögen, daß so alles irdische
Glück ist, und daß nur auf den Sternen die heitere und sichere Frende wohnt;
ich las endlich die lieben, freundlichen, kindlichen Worte, aber sie hatten wenig
Gewalt; o Liebe, in welche Zeiten fällst dn? Wie werden wir Männer auf¬
gefordert, Eisen zu sein und Eisen zu werden, und dann fallen alle duftige und
schimmernde Blüten der Schönheit, dann sällt auch die Liebe ab. Holdselige
Furina, bete, daß solches uicht geschehe." Und in demselben Briefe mahnt er die
Königsberger Freundin, die nur in Sehnsucht und Liebe getaucht ist, die nur
Eines und Einen denkt, daß einen jeden das unvermeidliche Verhängnis seiner
Brust treibe; "was kann ich dafür, daß ich von Jugend auf mein Vaterland
über alles geliebt habe, mehr als mich, als dich, als was sonst Liebes in
meinem Herzen lebt? Ich rede aus meinem menschlichen Gefühl zu meiner
Liebe; Gott Lob, noch bin ich nicht mürb; aber alles Irdische hat sein Maß.
Böse Zeiten hab ich ruhig ertragen, eine wiederkommende Schande -- was
Gott verhüte! -- ertrug ich nicht!"

Mitten in den Träumen von Furina überkommt ihn am 22. Mai der
schmerzliche und vielleicht sündliche Gedanke, "daß alles Wohl besser ist, wie
es ist, und wie es werden würde, wenn Fnrina nun mein wäre, und sie liebte
mich vielleicht dann nur ein paar Jahre recht warm." Er konnte die ver¬
fluchten Gedanken nicht abschütteln und die Betrachtung des Verhängnisses der
meisten Menschen, die auch warm und blühend anfangen "und doch -- v Furina!
warum ist der Traum so süß an eine unsterbliche Liebe, und haben doch die
wenigsten Sterblichen den Atem dazu!" Als er aber dann die September- und
Oktoberwocheu des großen Kricgsjahres hindurch bei und mit dem Grafen
Geßler, Körner-Schillerischen Angedenkens, in Reichenbach in Schlesien saß
und des Rufes von Stein harrte, der ihn wieder zu deu Geschäften der Zentral¬
verwaltung und in die Nähe der kämpfenden Heere sühren sollte, da regt sich
Sehnsucht wie Zuversicht allmächtig in ihm, und er ruft (Reichenbach, den
5. Oktober) Johanna zu: "Was erzähle ich meiner Furina solche Kleinigkeiten?
Lieber ein Wort von dem Licht des Lebens und von der Kraft und Heiter¬
keit, die fast wie prophetischer und poetischer Born in meiner Brust brennt


Gruft Moritz Arndt und Johanna Motherby

das! Doch ihr wisset das beste, und wir müssen euren ewigen Willen erfüllen
und trauern." Als dann Arndt am zweiten Pfingsttag „des heiligen Festes
und des himmlischen Wetters sich freuend," unter den Berliner Linden ging
und ihn ein Freund — es war Reil — von hinten zupfte und rief: Es ist
Waffenstillstand! empfand er die Nachricht wie einen Donnerschlag. Dann
schrieb er an Johanna: „Welch einen Tag, welche Tage habe ich verlebt,
wie blutet mir das Herz! und doch ist vielleicht uoch nichts verloren; aber der
Gedanke, es könne Frieden werden, ist eine Hölle für jede deutsche Brust----
Als ich heimkam, klopfte es an meiner Thür, und ein Mann brachte mir ein
Brieflein; ich erkannte es an den netten Zügen, es war von der süßen Furina.
Ich hielt es lange unerbrochen, ich hätte weinen mögen, daß so alles irdische
Glück ist, und daß nur auf den Sternen die heitere und sichere Frende wohnt;
ich las endlich die lieben, freundlichen, kindlichen Worte, aber sie hatten wenig
Gewalt; o Liebe, in welche Zeiten fällst dn? Wie werden wir Männer auf¬
gefordert, Eisen zu sein und Eisen zu werden, und dann fallen alle duftige und
schimmernde Blüten der Schönheit, dann sällt auch die Liebe ab. Holdselige
Furina, bete, daß solches uicht geschehe." Und in demselben Briefe mahnt er die
Königsberger Freundin, die nur in Sehnsucht und Liebe getaucht ist, die nur
Eines und Einen denkt, daß einen jeden das unvermeidliche Verhängnis seiner
Brust treibe; „was kann ich dafür, daß ich von Jugend auf mein Vaterland
über alles geliebt habe, mehr als mich, als dich, als was sonst Liebes in
meinem Herzen lebt? Ich rede aus meinem menschlichen Gefühl zu meiner
Liebe; Gott Lob, noch bin ich nicht mürb; aber alles Irdische hat sein Maß.
Böse Zeiten hab ich ruhig ertragen, eine wiederkommende Schande — was
Gott verhüte! — ertrug ich nicht!"

Mitten in den Träumen von Furina überkommt ihn am 22. Mai der
schmerzliche und vielleicht sündliche Gedanke, „daß alles Wohl besser ist, wie
es ist, und wie es werden würde, wenn Fnrina nun mein wäre, und sie liebte
mich vielleicht dann nur ein paar Jahre recht warm." Er konnte die ver¬
fluchten Gedanken nicht abschütteln und die Betrachtung des Verhängnisses der
meisten Menschen, die auch warm und blühend anfangen „und doch — v Furina!
warum ist der Traum so süß an eine unsterbliche Liebe, und haben doch die
wenigsten Sterblichen den Atem dazu!" Als er aber dann die September- und
Oktoberwocheu des großen Kricgsjahres hindurch bei und mit dem Grafen
Geßler, Körner-Schillerischen Angedenkens, in Reichenbach in Schlesien saß
und des Rufes von Stein harrte, der ihn wieder zu deu Geschäften der Zentral¬
verwaltung und in die Nähe der kämpfenden Heere sühren sollte, da regt sich
Sehnsucht wie Zuversicht allmächtig in ihm, und er ruft (Reichenbach, den
5. Oktober) Johanna zu: „Was erzähle ich meiner Furina solche Kleinigkeiten?
Lieber ein Wort von dem Licht des Lebens und von der Kraft und Heiter¬
keit, die fast wie prophetischer und poetischer Born in meiner Brust brennt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/179>, abgerufen am 28.07.2024.