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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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braucht die Kunde von täglichen Mordthaten, um durch deren Genuß die er¬
schlafften Schleimhäute seines schwer verdauenden Biermagens anzuregen. In
Berlin erscheint eine neue Zeitung, die nichts als Verbrechen und Unfälle zu
bringen verspricht, und London erfreut sich seit einigen Monaten einer vivoree.
HAMtw "Dieses Wochenblatt -- so lesen wir in der Monatsschrift "Deutsche
Worte" S. 315 -- ist eine geschickte Kombination von Gerichtssaalberichten,
Skaudalartikeln und Zoten mit Ankündigungen von Agenturen, die Privat¬
detektivs beiderlei Geschlechts empfehlen, um die nötigen Beweise zur Durchfüh¬
rung der Scheidungsklage herbeizuschaffen u. s. w. Der Zweck des Blattes soll
sein, das Hinfällige und Widersinnige unsrer Ehe zu erweisen. Wie weit es dem
Herausgeber damit Ernst ist, bleibe dahingestellt; das Blatt bezahlt sich bis
jetzt sehr gut, und das ist schließlich die Hauptsache." Es wäre nur ein un¬
passender Scherz, wenn wir sagen wollten, daß wir mit dieser um als 8iöols-
Erscheinung einen passenden Übergang zur Darstellung der griechischen Familien¬
sittlichkeit gewonnen hätten.




Ernst Moritz Arndt und Johanna Motherby
von Adolf Stern (Schluß)

oren wir Arndts eigne Schilderung des Motherbhschen Hauses
in Königsberg, in dem ihm die junge Frau begegnete, die er
seine Fnrina nannte, an die die glühenden, sehnsuchts- und
stimmungsvollen, zwischen Hoffnung und Entsagung, Weh
und Erhebung auf- und abzitternden Briefe gerichtet find,
von deren Existenz seither wohl nur wenige gewußt haben. "Dies war (er¬
zählt Arndt in seinen "Wanderungen und Wandlungen") ein edles, freies
Bürgerhaus, ein vom englischen und Kantischen Geiste durchwehtes Haus.
Motherbys Vater war ein geborner Engländer aus Hull gewesen, Kaufmann
in Königsberg, wie fein Freund, der Schotte Hay, Freund und Tischgenosse
Kants. Von dem Geiste jenes Lebens hatten die Söhne des Huller Motherbys
etwas abbekommen. Das Motherbysche Haus war gleichsam das Kasino, das
Versammlungshaus der feurigen, kriegslustiger Jugend, die sich mit Herz, Faust
und Degen rüstete und für den nahen großen Kampf einübte. O hier waren
Prächtige Jungen. Die Namen vieler wackern Jünglinge stehen noch mit hellsten,
goldensten Buchstaben auf der schon sehr gebleichten und bemoosten Tasel meines


braucht die Kunde von täglichen Mordthaten, um durch deren Genuß die er¬
schlafften Schleimhäute seines schwer verdauenden Biermagens anzuregen. In
Berlin erscheint eine neue Zeitung, die nichts als Verbrechen und Unfälle zu
bringen verspricht, und London erfreut sich seit einigen Monaten einer vivoree.
HAMtw „Dieses Wochenblatt — so lesen wir in der Monatsschrift »Deutsche
Worte« S. 315 — ist eine geschickte Kombination von Gerichtssaalberichten,
Skaudalartikeln und Zoten mit Ankündigungen von Agenturen, die Privat¬
detektivs beiderlei Geschlechts empfehlen, um die nötigen Beweise zur Durchfüh¬
rung der Scheidungsklage herbeizuschaffen u. s. w. Der Zweck des Blattes soll
sein, das Hinfällige und Widersinnige unsrer Ehe zu erweisen. Wie weit es dem
Herausgeber damit Ernst ist, bleibe dahingestellt; das Blatt bezahlt sich bis
jetzt sehr gut, und das ist schließlich die Hauptsache." Es wäre nur ein un¬
passender Scherz, wenn wir sagen wollten, daß wir mit dieser um als 8iöols-
Erscheinung einen passenden Übergang zur Darstellung der griechischen Familien¬
sittlichkeit gewonnen hätten.




Ernst Moritz Arndt und Johanna Motherby
von Adolf Stern (Schluß)

oren wir Arndts eigne Schilderung des Motherbhschen Hauses
in Königsberg, in dem ihm die junge Frau begegnete, die er
seine Fnrina nannte, an die die glühenden, sehnsuchts- und
stimmungsvollen, zwischen Hoffnung und Entsagung, Weh
und Erhebung auf- und abzitternden Briefe gerichtet find,
von deren Existenz seither wohl nur wenige gewußt haben. „Dies war (er¬
zählt Arndt in seinen »Wanderungen und Wandlungen«) ein edles, freies
Bürgerhaus, ein vom englischen und Kantischen Geiste durchwehtes Haus.
Motherbys Vater war ein geborner Engländer aus Hull gewesen, Kaufmann
in Königsberg, wie fein Freund, der Schotte Hay, Freund und Tischgenosse
Kants. Von dem Geiste jenes Lebens hatten die Söhne des Huller Motherbys
etwas abbekommen. Das Motherbysche Haus war gleichsam das Kasino, das
Versammlungshaus der feurigen, kriegslustiger Jugend, die sich mit Herz, Faust
und Degen rüstete und für den nahen großen Kampf einübte. O hier waren
Prächtige Jungen. Die Namen vieler wackern Jünglinge stehen noch mit hellsten,
goldensten Buchstaben auf der schon sehr gebleichten und bemoosten Tasel meines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/175>, abgerufen am 23.11.2024.