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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die ätherische Volksmoral im Drama

Döllinger spricht dann weiter den Griechen die echte Humanität ab wegen
ihrer Geringschätzung der Barbaren und führt unter andern Beweisstellen den
bekannten Ausspruch des Sokrates an, er danke den Göttern täglich dafür,
daß er Mensch und nicht Tier, Mann und nicht Weib, Grieche und nicht
Barbar sei. Giebt es irgend einen verständigen und tüchtigen Mann unter
uns, der nicht genau ebenso dächte? Als Weib wiedergeboren zu werden,
würde wohl niemand weniger gewünscht haben als Döllinger. Und wer von
uns möchte Neger oder Mongole oder auch nur Pole, Russe oder -- pfui
Teufel! -- Tscheche sein? Eben dieses gehört zur echten Humanität, daß
man zu unterscheiden wisse zwischen solchen Völkern und Personen, in denen
das Menschentum völlig ausgeprägt ist, und solchen, die als halbe oder ganze
Mißgeburten erscheinen. Menschlich behandeln sollen wir den Neger so gut
wie unser Vieh, nicht aber ihn als gleichberechtigt anerkennen. Menschlich
behandeln sollen wir auch den Rüpel, uicht aber ihn neben Apollo und Sieg¬
fried aufs Postament stellen.

Von Völkerrecht, meint Döllinger, sei bei den Griechen keine Rede ge¬
wesen. Nun, ein deutscher Professor pflegte noch vor dreißig Jahren seine
Vorlesungen über Völkerrecht mit dem Satze zu beginnen: "Meine Herren,
ich bin in der merkwürdigen Lage, Ihnen über einen Gegenstand lesen zu
müssen, der nicht vorhanden ist." Ob es seitdem anders geworden sei, das
zu entscheiden überlasse ich den Politikern. "Aber auch selbst zwischen den
einzelnen Staaten -- sagt Döllinger weiter -- und in ihren Händeln unter¬
einander wurde kein rechtliches Verhältnis anerkannt." Bei uns in Deutsch¬
land haben Anno 1866 die Kanonen das letztemal gesprochen, und wenn sie
nicht alljährlich sprechen, sondern der Schwächere sich dem Vertrage sügt, deu
ihm der Stärkere auferlegt, so geschieht es nicht aus Ehrfurcht vor irgend
welchem Recht, sondern weil der Krieg mit Kanonen und Magazingewehren
bedeutend gefährlicher und kostspieliger ist, als der mit Lanze, Schwert und
Wurfspieß. "Nur das Recht des Stärkern galt eigentlich, und man sprach es
unumwunden aus, daß dies das echt Menschliche sei, andre zu unterdrücken,
damit man selbst uicht unterdrückt werde, oder, wie Perikles vor den Athenern,
daß man getrost den Haß der andern verachten solle, wenn man nur von ihnen
gefürchtet werde. Die Götter selbst, sagten die Athener den Meliern, gaben
den Menschen das Beispiel, daß der Stärkere sich auch seiner Macht zur Unter¬
jochung des Schwächern bediene." Alles genau so wie heute. "Die Griechen
machten aber dieses Recht des Stärkern, das einzige, das sie in internationaler
Beziehung erkannten und anerkannten, mit einer Härte und Schonungslosig-
keit geltend, die dem Kenner ihrer Geschichte ost die Frage nahe legt, ob nicht
Hinterlist und Grausamkeit tiefe Züge des griechischen Nationalcharakters seien.
Das Hinschlachten ganzer Massen, die Ausrottung von Städtebevöllernngen,
das Verkaufen der Weiber und Kinder in die Sklaverei, alles das wurde von


Die ätherische Volksmoral im Drama

Döllinger spricht dann weiter den Griechen die echte Humanität ab wegen
ihrer Geringschätzung der Barbaren und führt unter andern Beweisstellen den
bekannten Ausspruch des Sokrates an, er danke den Göttern täglich dafür,
daß er Mensch und nicht Tier, Mann und nicht Weib, Grieche und nicht
Barbar sei. Giebt es irgend einen verständigen und tüchtigen Mann unter
uns, der nicht genau ebenso dächte? Als Weib wiedergeboren zu werden,
würde wohl niemand weniger gewünscht haben als Döllinger. Und wer von
uns möchte Neger oder Mongole oder auch nur Pole, Russe oder — pfui
Teufel! — Tscheche sein? Eben dieses gehört zur echten Humanität, daß
man zu unterscheiden wisse zwischen solchen Völkern und Personen, in denen
das Menschentum völlig ausgeprägt ist, und solchen, die als halbe oder ganze
Mißgeburten erscheinen. Menschlich behandeln sollen wir den Neger so gut
wie unser Vieh, nicht aber ihn als gleichberechtigt anerkennen. Menschlich
behandeln sollen wir auch den Rüpel, uicht aber ihn neben Apollo und Sieg¬
fried aufs Postament stellen.

Von Völkerrecht, meint Döllinger, sei bei den Griechen keine Rede ge¬
wesen. Nun, ein deutscher Professor pflegte noch vor dreißig Jahren seine
Vorlesungen über Völkerrecht mit dem Satze zu beginnen: „Meine Herren,
ich bin in der merkwürdigen Lage, Ihnen über einen Gegenstand lesen zu
müssen, der nicht vorhanden ist." Ob es seitdem anders geworden sei, das
zu entscheiden überlasse ich den Politikern. „Aber auch selbst zwischen den
einzelnen Staaten — sagt Döllinger weiter — und in ihren Händeln unter¬
einander wurde kein rechtliches Verhältnis anerkannt." Bei uns in Deutsch¬
land haben Anno 1866 die Kanonen das letztemal gesprochen, und wenn sie
nicht alljährlich sprechen, sondern der Schwächere sich dem Vertrage sügt, deu
ihm der Stärkere auferlegt, so geschieht es nicht aus Ehrfurcht vor irgend
welchem Recht, sondern weil der Krieg mit Kanonen und Magazingewehren
bedeutend gefährlicher und kostspieliger ist, als der mit Lanze, Schwert und
Wurfspieß. „Nur das Recht des Stärkern galt eigentlich, und man sprach es
unumwunden aus, daß dies das echt Menschliche sei, andre zu unterdrücken,
damit man selbst uicht unterdrückt werde, oder, wie Perikles vor den Athenern,
daß man getrost den Haß der andern verachten solle, wenn man nur von ihnen
gefürchtet werde. Die Götter selbst, sagten die Athener den Meliern, gaben
den Menschen das Beispiel, daß der Stärkere sich auch seiner Macht zur Unter¬
jochung des Schwächern bediene." Alles genau so wie heute. „Die Griechen
machten aber dieses Recht des Stärkern, das einzige, das sie in internationaler
Beziehung erkannten und anerkannten, mit einer Härte und Schonungslosig-
keit geltend, die dem Kenner ihrer Geschichte ost die Frage nahe legt, ob nicht
Hinterlist und Grausamkeit tiefe Züge des griechischen Nationalcharakters seien.
Das Hinschlachten ganzer Massen, die Ausrottung von Städtebevöllernngen,
das Verkaufen der Weiber und Kinder in die Sklaverei, alles das wurde von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/173>, abgerufen am 28.07.2024.