Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Die ätherische Volksmoral im Vrama Mit Füßen tritt -- gottlos Wort! Und weiterhin: Doch Dites Huld strahlt in rauchschwarzer Lehmhütte auch, Ähnlich läßt Sophokles im König Odipus den Chor singen: O wäre mir das Los beschieden, daß ich fromm Daß es nun aber wiederum nicht die knechtische Furcht vor Strafe ist, was Am schlimmsten -- was du nicht erkannt -- berückte dich Worauf der Chor bemerkt: Er fehlte schwer und zahlte schwere Buße dir Als eine Verkörperung des Gewissens hat Euripides die Priesterin und Seherin Die ätherische Volksmoral im Vrama Mit Füßen tritt — gottlos Wort! Und weiterhin: Doch Dites Huld strahlt in rauchschwarzer Lehmhütte auch, Ähnlich läßt Sophokles im König Odipus den Chor singen: O wäre mir das Los beschieden, daß ich fromm Daß es nun aber wiederum nicht die knechtische Furcht vor Strafe ist, was Am schlimmsten — was du nicht erkannt — berückte dich Worauf der Chor bemerkt: Er fehlte schwer und zahlte schwere Buße dir Als eine Verkörperung des Gewissens hat Euripides die Priesterin und Seherin <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0168" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215258"/> <fw type="header" place="top"> Die ätherische Volksmoral im Vrama</fw><lb/> <quote> Mit Füßen tritt — gottlos Wort!<lb/> Ein Zeug' ist ihres Zorns<lb/> Der scheulos Lüsterne,<lb/> Voll Wagmnt wilder, als gerecht war,<lb/> Voll Hochmut überstolzen Glückes<lb/> Im Übermaß schuldig!<lb/> Sei mein Geschick niedrig, sei der Armut<lb/> Reines Gewisse» gnug mir!<lb/> Schutz nicht bietet ja Reichtum<lb/> Dem, der Glückes gesättigt<lb/> Frech zertrat der Gerechtigkeit Altar, gegen Vernichtung!</quote><lb/> <p xml:id="ID_546"> Und weiterhin:</p><lb/> <quote> Doch Dites Huld strahlt in rauchschwarzer Lehmhütte auch,<lb/> Denn sie ehret frommen Wandel hoch;<lb/> Bon goldgezierten Pforte», schmutzger Hand befleckt,<lb/> Gewandten Blicks flüchtet sie hinweg,<lb/> Besudlung zu meiden, des Reichseins Truggehalt<lb/> Bon selten Lob falschgemüuzt tierachtend;<lb/> Jegliches End — zu wägt sich.</quote><lb/> <p xml:id="ID_547"> Ähnlich läßt Sophokles im König Odipus den Chor singen:</p><lb/> <quote> O wäre mir das Los beschieden, daß ich fromm<lb/> In allem Wort und allem Werk<lb/> Die heilge Scheu bewahrte den Gesetzen, die<lb/> Hochwandelnd im himmlischen Äther<lb/> Geboren werden! Es hat sie gezeugt<lb/> Allein der Olymp, denn nimmer erfand<lb/> Sie der sterblichen Menschen Geschlecht;<lb/> Nimmer umhüllt sie Schlaf der Vergessenheit,<lb/> Mächtig schützt ein Gott sie, der<lb/> Nimmer altert.</quote><lb/> <p xml:id="ID_548"> Daß es nun aber wiederum nicht die knechtische Furcht vor Strafe ist, was<lb/> allein das Verlangen nach Gerechtigkeit erzeugt, beweisen Charaktere wie die<lb/> des Neoptvlemos zur Genüge; die Furcht dient, wie in den Eumeniden klar<lb/> gemacht wird, nur als heilsames Bewahrungsmittel. In der Elektra läßt<lb/> Euripides die Titelheldiu an der Leiche des Aigisthos eine Anklagerede halten,<lb/> worin es u. ni. heißt:</p><lb/> <quote> Am schlimmsten — was du nicht erkannt — berückte dich<lb/> Der Wahn der Größe, weil du reich an Schätzen warst.<lb/> Das ist ja nichtig, das verweilt nur kurz bei uns.<lb/> Nicht Reichtum, uur ein großer edler Sinn besteht.</quote><lb/> <p xml:id="ID_549"> Worauf der Chor bemerkt:</p><lb/> <quote> Er fehlte schwer und zahlte schwere Buße dir<lb/> Und deinem Bruder, denn des Rechtes Macht ist groß.</quote><lb/> <p xml:id="ID_550" next="#ID_551"> Als eine Verkörperung des Gewissens hat Euripides die Priesterin und Seherin<lb/> Theonoö gezeichnet, die Schwester des Ägypterköuigs Theoklymenos, der die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0168]
Die ätherische Volksmoral im Vrama
Mit Füßen tritt — gottlos Wort!
Ein Zeug' ist ihres Zorns
Der scheulos Lüsterne,
Voll Wagmnt wilder, als gerecht war,
Voll Hochmut überstolzen Glückes
Im Übermaß schuldig!
Sei mein Geschick niedrig, sei der Armut
Reines Gewisse» gnug mir!
Schutz nicht bietet ja Reichtum
Dem, der Glückes gesättigt
Frech zertrat der Gerechtigkeit Altar, gegen Vernichtung!
Und weiterhin:
Doch Dites Huld strahlt in rauchschwarzer Lehmhütte auch,
Denn sie ehret frommen Wandel hoch;
Bon goldgezierten Pforte», schmutzger Hand befleckt,
Gewandten Blicks flüchtet sie hinweg,
Besudlung zu meiden, des Reichseins Truggehalt
Bon selten Lob falschgemüuzt tierachtend;
Jegliches End — zu wägt sich.
Ähnlich läßt Sophokles im König Odipus den Chor singen:
O wäre mir das Los beschieden, daß ich fromm
In allem Wort und allem Werk
Die heilge Scheu bewahrte den Gesetzen, die
Hochwandelnd im himmlischen Äther
Geboren werden! Es hat sie gezeugt
Allein der Olymp, denn nimmer erfand
Sie der sterblichen Menschen Geschlecht;
Nimmer umhüllt sie Schlaf der Vergessenheit,
Mächtig schützt ein Gott sie, der
Nimmer altert.
Daß es nun aber wiederum nicht die knechtische Furcht vor Strafe ist, was
allein das Verlangen nach Gerechtigkeit erzeugt, beweisen Charaktere wie die
des Neoptvlemos zur Genüge; die Furcht dient, wie in den Eumeniden klar
gemacht wird, nur als heilsames Bewahrungsmittel. In der Elektra läßt
Euripides die Titelheldiu an der Leiche des Aigisthos eine Anklagerede halten,
worin es u. ni. heißt:
Am schlimmsten — was du nicht erkannt — berückte dich
Der Wahn der Größe, weil du reich an Schätzen warst.
Das ist ja nichtig, das verweilt nur kurz bei uns.
Nicht Reichtum, uur ein großer edler Sinn besteht.
Worauf der Chor bemerkt:
Er fehlte schwer und zahlte schwere Buße dir
Und deinem Bruder, denn des Rechtes Macht ist groß.
Als eine Verkörperung des Gewissens hat Euripides die Priesterin und Seherin
Theonoö gezeichnet, die Schwester des Ägypterköuigs Theoklymenos, der die
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