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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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glaubt in den brieflichen Zeugnissen des romantischen Verhältnisses den Beweis
zu finden, daß an dieser Freundschaft mit überquellender Leidenschaft "kein
sittlicher Makel haftet"; er wird leider erfahren, daß die gehässige Neigung
den Ehrenschild großer Naturen mit Schmutz zu beWerfen, die cynische Lust
an der Herabziehung alles Ungemeinen in die platte Gemeinheit und der
heuchlerische Tugenddünkel, in dem sich ein Teil der heutigen Welt gefällt,
die dunkeln und verfänglichen Stellen dieser Briefe ganz anders ausbeuten
werden, als er. Doch meinen wir nicht, daß die Briefe felbst darum Hütten
ungedruckt bleiben sollen; sie zeigen uns Arndt in hohen, verderbendrohenden
Wogen, aber sie zeigen ihn auch als deu mächtigen Schwimmer, der selbst
solche Wogen teilen und besiegen konnte. Die jugendlichen, "rauscherigen"
Abende im Hanse Wilhelm Motherbys, wie sie Arndt selbst nennt, die beiden
beseligenden Monate, in denen ihn neben dem Hoffnungsrausch für das Vater¬
land ein Freundschafts- und Liebesrausch überkam, klangen noch jahrzehntelang
in seinem Leben nach, und die Treue, mit der er die Erinnerung an die
innern Erlebnisse des Winters 1813 festhielt, mit der er Johanna Motherby
unter allen wechselnden Verhältnissen einen Platz in seinem Herzen und das
Recht auf seine Freundschaft wahrte, sind ein feiner und gewinnender Zug
mehr zu dem Bilde deS unvergeßlichen Mannes.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Stichwahlen.

Wenn ich im folgenden abermals einen Verbesserungsvorfchlag
für unser Reichstagswahlrecht mache, so bin ich diesmal wenigstens in der glücklichen
Lage, mich nicht erst in einer langen Einleitung über Grundsätzliches verbreiten
zu müssen. Man wird wohl eben so einig darüber sein, daß sich gegen die Stich¬
wahlen grundsätzlich nicht viel einwenden läßt, als darüber, daß sie in der Praxis
zu einem Übel geworden find.

Mein Vorschlag ist nun der, die Stichwahl dadurch überflüssig zu machen,
daß der Wähler gleich im ersten Wahlgänge darüber entscheiden darf, welchem der
aufgestellten Kandidaten er sein Vertrauen schenken will, wenn der zunächst von
ihm gewählte nicht durchdringen sollte. Das ist sehr einfach in folgender Weise
durchzuführen.

Jedem Wähler wird gestattet, zwei Namen auf seinen Zettel zu schreiben,
von denen bei der Feststellung des Ergebnisses zunächst der erste berücksichtigt wird.
Die Wahlzettel aber, die zwei Namen enthalten, werden gleich ausgesondert. Er¬
giebt sich nun aus den zuerst stehenden Namen für keinen Kandidaten die absolute
Mehrheit, so werden die um zweiter Stelle stehenden gleichfalls zusammengestellt,


glaubt in den brieflichen Zeugnissen des romantischen Verhältnisses den Beweis
zu finden, daß an dieser Freundschaft mit überquellender Leidenschaft „kein
sittlicher Makel haftet"; er wird leider erfahren, daß die gehässige Neigung
den Ehrenschild großer Naturen mit Schmutz zu beWerfen, die cynische Lust
an der Herabziehung alles Ungemeinen in die platte Gemeinheit und der
heuchlerische Tugenddünkel, in dem sich ein Teil der heutigen Welt gefällt,
die dunkeln und verfänglichen Stellen dieser Briefe ganz anders ausbeuten
werden, als er. Doch meinen wir nicht, daß die Briefe felbst darum Hütten
ungedruckt bleiben sollen; sie zeigen uns Arndt in hohen, verderbendrohenden
Wogen, aber sie zeigen ihn auch als deu mächtigen Schwimmer, der selbst
solche Wogen teilen und besiegen konnte. Die jugendlichen, „rauscherigen"
Abende im Hanse Wilhelm Motherbys, wie sie Arndt selbst nennt, die beiden
beseligenden Monate, in denen ihn neben dem Hoffnungsrausch für das Vater¬
land ein Freundschafts- und Liebesrausch überkam, klangen noch jahrzehntelang
in seinem Leben nach, und die Treue, mit der er die Erinnerung an die
innern Erlebnisse des Winters 1813 festhielt, mit der er Johanna Motherby
unter allen wechselnden Verhältnissen einen Platz in seinem Herzen und das
Recht auf seine Freundschaft wahrte, sind ein feiner und gewinnender Zug
mehr zu dem Bilde deS unvergeßlichen Mannes.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Stichwahlen.

Wenn ich im folgenden abermals einen Verbesserungsvorfchlag
für unser Reichstagswahlrecht mache, so bin ich diesmal wenigstens in der glücklichen
Lage, mich nicht erst in einer langen Einleitung über Grundsätzliches verbreiten
zu müssen. Man wird wohl eben so einig darüber sein, daß sich gegen die Stich¬
wahlen grundsätzlich nicht viel einwenden läßt, als darüber, daß sie in der Praxis
zu einem Übel geworden find.

Mein Vorschlag ist nun der, die Stichwahl dadurch überflüssig zu machen,
daß der Wähler gleich im ersten Wahlgänge darüber entscheiden darf, welchem der
aufgestellten Kandidaten er sein Vertrauen schenken will, wenn der zunächst von
ihm gewählte nicht durchdringen sollte. Das ist sehr einfach in folgender Weise
durchzuführen.

Jedem Wähler wird gestattet, zwei Namen auf seinen Zettel zu schreiben,
von denen bei der Feststellung des Ergebnisses zunächst der erste berücksichtigt wird.
Die Wahlzettel aber, die zwei Namen enthalten, werden gleich ausgesondert. Er¬
giebt sich nun aus den zuerst stehenden Namen für keinen Kandidaten die absolute
Mehrheit, so werden die um zweiter Stelle stehenden gleichfalls zusammengestellt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/148>, abgerufen am 27.11.2024.