Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Lrnst Moritz Arndt und Johanna Motherby gefragt, ob n"an auf die Vernichtung des napoleonischen Heeres in Rußland Man las wohl gerade um Neujahr mit glühenden Augen und pochenden Lrnst Moritz Arndt und Johanna Motherby gefragt, ob n«an auf die Vernichtung des napoleonischen Heeres in Rußland Man las wohl gerade um Neujahr mit glühenden Augen und pochenden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215233"/> <fw type="header" place="top"> Lrnst Moritz Arndt und Johanna Motherby</fw><lb/> <p xml:id="ID_472" prev="#ID_471"> gefragt, ob n«an auf die Vernichtung des napoleonischen Heeres in Rußland<lb/> irgend eine unmittelbare Hoffnung bauen dürfe. Mußte man doch für mög¬<lb/> lich halten, daß der Befehlshaber des preußischen Hilfskorps der großen Armee,<lb/> der eiserne Aork, seine letzten Kräfte einsetzte, das Vordrängen der Russen nach<lb/> Preußen zu hindern, daß inzwischen die Besatzungen von Danzig und Thorn,<lb/> die Heerhaufen, die die Marken besetzt hielten, am Pregel oder an der Weichsel<lb/> gesammelt wurden und den Sieg alsbald zu den französische!? Fahnen zurück¬<lb/> führten.</p><lb/> <p xml:id="ID_473" next="#ID_474"> Man las wohl gerade um Neujahr mit glühenden Augen und pochenden<lb/> Herzen das neunundzwanzigste Bulletin des Franzosenkaisers, das nur bestätigte,<lb/> was man seit Wochen wußte: den jammervollen Untergang der großen Armee.<lb/> Da mit einemmale durchbrach wie der Blitz das dichteste Gewölk das Gerücht<lb/> von dem Vertrage, den Generalleutnant Uork, der Generalgouvemeur von<lb/> Preußen, in der Mühle von Poscherun bei Tauroggen mit den russischen<lb/> Generalen abgeschlossen hatte, alle Beklemmungen und Besorgnisse. Wie die<lb/> Bürgschaft des Sieges, der Befreiung, der Wiederherstellung, erschien der<lb/> kühne Entschluß des preußischen Befehlshabers, seine unmittelbare Folge war<lb/> der beschleunigte und nunmehr fast fluchtühuliche Rückzug der französischen<lb/> und rheinbündischen Heeresreste, die vollständige Räumung Ostpreußens, der<lb/> Übergang des verfolgenden russischen Heeres über den Riemen. Am 5. Januar,<lb/> wenige Stunden nach dem Abmarsch der letzten Franzosen, war Graf Wittgen-<lb/> steins Vorhut in die ostpreußische Hauptstadt eingerückt, hatte Königsberg die<lb/> ersten Kosaken gesehen, die damals noch mit Hellem Enthusiasmus begrüßt<lb/> wurden. Am 7. Januar war Wittgenstein selbst eingetroffen und konnte das¬<lb/> selbe Quartier im königlichen Schlosse beziehen, das eben Napoleons tapfrer<lb/> und komödiantischer Schwager innegehabt hatte, am 8. abends langte Jork<lb/> an, der inzwischen seine Truppe» in den für neutral erklärten Landstrich<lb/> zwischen Memel und Tilsit verlegte hatte, und uun kam, um, eigenmächtig<lb/> wie er die Konvention von Tauroggen abgeschlossen hatte, wahrscheinlich aber<lb/> doch durch geheime Nachrichten aus Berlin gestärkt, das Generalgouvernement<lb/> der Provinz wieder in seine Hand zu nehmen. Bei der Kunde vou seiner Ankunft<lb/> atmeten tausende und abertauseude denn doch froher auf, als bei der Meldung<lb/> neuer russischer Generale. Mitten in dem Ernst des Augenblicks, mitten in dem<lb/> Elend einer Lage, in der nach Arndts Wort „Jammer und Tod als finstre<lb/> Gesellen umherschlichen," mochte man sich die festliche Begrüßung der Befreier<lb/> nicht versagen, veranstaltete am Abend des 8. Januar im Königsberger Theater<lb/> eine Festvorstellung, bei der Himmels beliebtes Liederspiel „Fanchon das<lb/> Leiermädchen" aufgeführt wurde, in das Herr Mosevius mit großem Erfolg<lb/> ein Lied „Die Welt ist eine Bierbouteille" einlegte, das wohl in kecker An¬<lb/> spielung auf die Zeitverhültnisfe und in der Wirkung ein Vorläufer unsrer<lb/> heutigen Kuplets gewesen sein mag. Die Zuversicht, die man mit einem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0143]
Lrnst Moritz Arndt und Johanna Motherby
gefragt, ob n«an auf die Vernichtung des napoleonischen Heeres in Rußland
irgend eine unmittelbare Hoffnung bauen dürfe. Mußte man doch für mög¬
lich halten, daß der Befehlshaber des preußischen Hilfskorps der großen Armee,
der eiserne Aork, seine letzten Kräfte einsetzte, das Vordrängen der Russen nach
Preußen zu hindern, daß inzwischen die Besatzungen von Danzig und Thorn,
die Heerhaufen, die die Marken besetzt hielten, am Pregel oder an der Weichsel
gesammelt wurden und den Sieg alsbald zu den französische!? Fahnen zurück¬
führten.
Man las wohl gerade um Neujahr mit glühenden Augen und pochenden
Herzen das neunundzwanzigste Bulletin des Franzosenkaisers, das nur bestätigte,
was man seit Wochen wußte: den jammervollen Untergang der großen Armee.
Da mit einemmale durchbrach wie der Blitz das dichteste Gewölk das Gerücht
von dem Vertrage, den Generalleutnant Uork, der Generalgouvemeur von
Preußen, in der Mühle von Poscherun bei Tauroggen mit den russischen
Generalen abgeschlossen hatte, alle Beklemmungen und Besorgnisse. Wie die
Bürgschaft des Sieges, der Befreiung, der Wiederherstellung, erschien der
kühne Entschluß des preußischen Befehlshabers, seine unmittelbare Folge war
der beschleunigte und nunmehr fast fluchtühuliche Rückzug der französischen
und rheinbündischen Heeresreste, die vollständige Räumung Ostpreußens, der
Übergang des verfolgenden russischen Heeres über den Riemen. Am 5. Januar,
wenige Stunden nach dem Abmarsch der letzten Franzosen, war Graf Wittgen-
steins Vorhut in die ostpreußische Hauptstadt eingerückt, hatte Königsberg die
ersten Kosaken gesehen, die damals noch mit Hellem Enthusiasmus begrüßt
wurden. Am 7. Januar war Wittgenstein selbst eingetroffen und konnte das¬
selbe Quartier im königlichen Schlosse beziehen, das eben Napoleons tapfrer
und komödiantischer Schwager innegehabt hatte, am 8. abends langte Jork
an, der inzwischen seine Truppe» in den für neutral erklärten Landstrich
zwischen Memel und Tilsit verlegte hatte, und uun kam, um, eigenmächtig
wie er die Konvention von Tauroggen abgeschlossen hatte, wahrscheinlich aber
doch durch geheime Nachrichten aus Berlin gestärkt, das Generalgouvernement
der Provinz wieder in seine Hand zu nehmen. Bei der Kunde vou seiner Ankunft
atmeten tausende und abertauseude denn doch froher auf, als bei der Meldung
neuer russischer Generale. Mitten in dem Ernst des Augenblicks, mitten in dem
Elend einer Lage, in der nach Arndts Wort „Jammer und Tod als finstre
Gesellen umherschlichen," mochte man sich die festliche Begrüßung der Befreier
nicht versagen, veranstaltete am Abend des 8. Januar im Königsberger Theater
eine Festvorstellung, bei der Himmels beliebtes Liederspiel „Fanchon das
Leiermädchen" aufgeführt wurde, in das Herr Mosevius mit großem Erfolg
ein Lied „Die Welt ist eine Bierbouteille" einlegte, das wohl in kecker An¬
spielung auf die Zeitverhültnisfe und in der Wirkung ein Vorläufer unsrer
heutigen Kuplets gewesen sein mag. Die Zuversicht, die man mit einem
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