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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Auch ein Lehrplan

Dieses Schema ist mit dem Mangel jeder menschlichen Einteilung be¬
haftet: es zieht feste Grenzen, die die Natur nicht kennt. Aber das schadet
nichts. Hat es doch andrerseits den Vorzug, eine feste Grundlage darzubieten,
von der ans man den Bildungswert der einzelnen Unterrichtsfächer beurteile"
kann. Und das ist immerhin etwas wert in einer Zeit, die den Bildungs-
stoff nach dem Grundsatz auswählt: Wer vieles bringt, wird manchem etwas
bringen. Ich wenigstens wüßte nicht, welcher andre Grundsatz dazu geführt
haben könnte, beispielsweise die Zinseszins- und Rentenrechnuug in den Lehr¬
plan der höhern Schulen aufzunehmen. Ist es wirklich ein notwendiges Ele¬
ment der Bildung, daß der Schüler imstande sei, auszurechnen, zu welchem
Kapital ein Pfennig, bei Christi Geburt auf Zinseszins gelegt, heute ange¬
wachsen wäre? Ich dächte, solche Spielereien aus der Unterhaltungsecke der
Familienjournale Hütten im ernsten Unterricht nichts zu suchen. Die Renten¬
rechnung ist eine Anwendung der allgemeinen Zinsrechnung, um die jeder Be¬
scheid wissen muß, auf besondre Fülle, eine Anwendung, die die Fassungskraft
des Schülers allerdings nicht übersteigt. Aber solcher Anwendungen allge¬
meiner Lehren auf besondre Fülle giebt es recht viele; hat man sich auf diese
beschränkt, weil vielleicht uuter den Schülern einer sitzt, der später Beamter
einer Lebensversicherung werden möchte? Das wäre dann freilich ein zu¬
reichender Grund, und in dieser weisen Beschränkung hätte sich wieder einmal
der "Meister" gezeigt. Übrigens ist die weise Beschränkung nicht immer so
harmlos, daß sie zu bloßer Zeitvergeudung führt. Da spielt auf allen höhern
Schulen in der Mathematik die Rechnung mit Logarithmen eine hervorragende
Rolle. Der Schüler lernt ja auch ganz erfolgreich damit rechnen, aber er
lernt es mechanisch. Nun wird freilich auch das Multipliziren schließlich rein
mechanisch betrieben. Doch das unterliegt wohl keinem Zweifel: ein vernünf¬
tiger Unterricht kann auch den mittelmüßig begabten Schüler soweit bringen,
daß er über die einzelnen Operationen des Multiplizirens jederzeit Rechenschaft
geben kann. Ist das gleiche Ziel in der Rechnung mit Logarithmen zu er¬
reichen? Nein, antwortet der gesunde Menschenverstand. Also hat diese Rech¬
nungsart auf der Schule nichts zu suchen, ist die weitere Folgerung. In der
That, sie hätte ganz gut dort wegbleiben können, denn im spätern Leben braucht
sie nur der Mathematiker von Beruf. Aber nein, unsre Büreaukraten wollten
mit aller Gewalt die Logarithmen im Schulunterricht haben, und sie verfielen
auf eine Auskunft von wahrhaft verblüffenden Tiefsinn. Von Anfang bis zu
Ende konnte die Lehre von den Logarithmen auf der Mittelstufe nicht vor¬
getragen werden, das sahen sie ein. Die ganze Sache der Oberstufe zuschieben,
das ging auch nicht, da diese dann zu schwer belastet wurde. Also -- lehrt


ausgezeichneten Darstellung, deren überlegne Ruhe und strenge Sachlichkeit ich nur mit
Moltkes Geschichte des Krieges von 1370/71 zu vergleichen wüßte, nicht versuchen sollten, die
Schüler in die Philosophie einzuführen, das wäre noch zu erwägen.
Auch ein Lehrplan

Dieses Schema ist mit dem Mangel jeder menschlichen Einteilung be¬
haftet: es zieht feste Grenzen, die die Natur nicht kennt. Aber das schadet
nichts. Hat es doch andrerseits den Vorzug, eine feste Grundlage darzubieten,
von der ans man den Bildungswert der einzelnen Unterrichtsfächer beurteile«
kann. Und das ist immerhin etwas wert in einer Zeit, die den Bildungs-
stoff nach dem Grundsatz auswählt: Wer vieles bringt, wird manchem etwas
bringen. Ich wenigstens wüßte nicht, welcher andre Grundsatz dazu geführt
haben könnte, beispielsweise die Zinseszins- und Rentenrechnuug in den Lehr¬
plan der höhern Schulen aufzunehmen. Ist es wirklich ein notwendiges Ele¬
ment der Bildung, daß der Schüler imstande sei, auszurechnen, zu welchem
Kapital ein Pfennig, bei Christi Geburt auf Zinseszins gelegt, heute ange¬
wachsen wäre? Ich dächte, solche Spielereien aus der Unterhaltungsecke der
Familienjournale Hütten im ernsten Unterricht nichts zu suchen. Die Renten¬
rechnung ist eine Anwendung der allgemeinen Zinsrechnung, um die jeder Be¬
scheid wissen muß, auf besondre Fülle, eine Anwendung, die die Fassungskraft
des Schülers allerdings nicht übersteigt. Aber solcher Anwendungen allge¬
meiner Lehren auf besondre Fülle giebt es recht viele; hat man sich auf diese
beschränkt, weil vielleicht uuter den Schülern einer sitzt, der später Beamter
einer Lebensversicherung werden möchte? Das wäre dann freilich ein zu¬
reichender Grund, und in dieser weisen Beschränkung hätte sich wieder einmal
der „Meister" gezeigt. Übrigens ist die weise Beschränkung nicht immer so
harmlos, daß sie zu bloßer Zeitvergeudung führt. Da spielt auf allen höhern
Schulen in der Mathematik die Rechnung mit Logarithmen eine hervorragende
Rolle. Der Schüler lernt ja auch ganz erfolgreich damit rechnen, aber er
lernt es mechanisch. Nun wird freilich auch das Multipliziren schließlich rein
mechanisch betrieben. Doch das unterliegt wohl keinem Zweifel: ein vernünf¬
tiger Unterricht kann auch den mittelmüßig begabten Schüler soweit bringen,
daß er über die einzelnen Operationen des Multiplizirens jederzeit Rechenschaft
geben kann. Ist das gleiche Ziel in der Rechnung mit Logarithmen zu er¬
reichen? Nein, antwortet der gesunde Menschenverstand. Also hat diese Rech¬
nungsart auf der Schule nichts zu suchen, ist die weitere Folgerung. In der
That, sie hätte ganz gut dort wegbleiben können, denn im spätern Leben braucht
sie nur der Mathematiker von Beruf. Aber nein, unsre Büreaukraten wollten
mit aller Gewalt die Logarithmen im Schulunterricht haben, und sie verfielen
auf eine Auskunft von wahrhaft verblüffenden Tiefsinn. Von Anfang bis zu
Ende konnte die Lehre von den Logarithmen auf der Mittelstufe nicht vor¬
getragen werden, das sahen sie ein. Die ganze Sache der Oberstufe zuschieben,
das ging auch nicht, da diese dann zu schwer belastet wurde. Also — lehrt


ausgezeichneten Darstellung, deren überlegne Ruhe und strenge Sachlichkeit ich nur mit
Moltkes Geschichte des Krieges von 1370/71 zu vergleichen wüßte, nicht versuchen sollten, die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/118>, abgerufen am 27.11.2024.