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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Ein neues Prozeßgesetz für Österreich

wissen Sinne nur eine Art der Rechtsausübung, nur eines der Mittel zur Er-
langung des Rechtsgeuusses ist und daher so einzurichten sein wird, daß sie den
zu erzielenden Genuß thunlichst wenig schmälert und immer im richtigen Verhält¬
nisse zum konkreten Werte des Rechtsgenusses bleibt/")

Diese Darlegung bildet den entschiedensten Gegensatz zu der Prinzipien¬
reiterei, die beim Aufbau der deutschen Prozeßordnung und insbesondre für
die Behandlung der Mündlichkeit darin die entscheidende Rolle gespielt hat.
Im österreichischen EntWurfe ist die Mündlichkeit ein den verständigen Zwecken
des Prozesses dienendes wertvolles Element. Im deutschen Gesetze ist sie be¬
handelt, als ob sie Selbstzweck wäre, und damit wird sie zum Unsinn.

Den gedachten Worten der Begründung entspricht auch die ganze Ge¬
staltung des Prozesses. Der Richter ist hier nicht ein bloßer Pagode, der
vor sich mündlich verhandeln läßt und dann sein Urteil von sich giebt, im
übrigen aber sich um nichts kümmert. Vielmehr baut sich der Prozeß von
vornherein unter lebendiger Mitwirkung des Richters auf; und überall, wo es
zur Abkürzung oder Vereinfachung der Sache dient, ist der Richter berufen,
einzugreifen und die Sache in die Hand zu nehmen. Die Mündlichkeit wird,
im Hinblick daraus, daß sie einen mühevollen und für die Parteien kostspieligen
Bestandteil des Prozesses bildet, nur da verwendet, wo sie wirklich für die
Sache von Wert ist. Wir legen der nachfolgenden Darstellung das Verfahren
vor den Kollegialgerichten zu Grunde, dein übrigens auch das Verfahren vor
den Bezirksgerichten, nur unter größerer Vereinfachung, entspricht.

Die Klage wird bei dem Gericht eingereicht. Wegen objektiver Unzu¬
ständigkeit des Gerichts oder wegen mangelnder Prozeßfühigkeit der Partei
kann sie das Gericht sofort zurückweisen. Tritt das nicht ein, so wird vom
Vorsitzenden des Gerichts eine Tagsatzung anberaumt. Diese "erste Tagscitzuug"
wird vor einem einzelnen beauftragten Richter gehalten; der Verklagte braucht
dabei noch keinen Anwalt anzunehmen (wodurch die gütliche Erledigung der
Sache sehr erleichtert wird). Die erste Tagsatzung ist dazu bestimmt, vor allem die
Güte zu versuchen, auch zu scheu, ob sich nicht die Sache durch Verzicht, Ge¬
ständnis oder auch durch Ausbleiben des Verklagten (in welchem Falle sofort
Versäumnisurteil beantragt werden kann) erledigt. Außerdem ist diese Tag¬
satzung dazu bestimmt, daß gewisse Einreden, die sonst die Sache aufhalte" können,
(die Einreden der Unzuständigkeit des Gerichts, der Nechtsanhängigkeit, der
entschiednen Sache, der mangelnden Sicherheit für die Prozeßkosten) schon jetzt
vom Verklagten angemeldet und womöglich vorweg erledigt werden. Eignet
sich die Sache zur weiter" Verhandlung, so wird dem Verklagten die Er¬
stattung einer schriftlichen Klagbeantwortung binnen bestimmter Frist aufgegeben.



Dieselben Anschauungen hat der Verfasser dieses Aufsatzes von jeher vertreten und
auch in der Reichsjustizkommission bei Beratung der Zivilprozeßordnung nach Kräften geltend
zu machen versucht; leider ohne Erfolg.
Ein neues Prozeßgesetz für Österreich

wissen Sinne nur eine Art der Rechtsausübung, nur eines der Mittel zur Er-
langung des Rechtsgeuusses ist und daher so einzurichten sein wird, daß sie den
zu erzielenden Genuß thunlichst wenig schmälert und immer im richtigen Verhält¬
nisse zum konkreten Werte des Rechtsgenusses bleibt/")

Diese Darlegung bildet den entschiedensten Gegensatz zu der Prinzipien¬
reiterei, die beim Aufbau der deutschen Prozeßordnung und insbesondre für
die Behandlung der Mündlichkeit darin die entscheidende Rolle gespielt hat.
Im österreichischen EntWurfe ist die Mündlichkeit ein den verständigen Zwecken
des Prozesses dienendes wertvolles Element. Im deutschen Gesetze ist sie be¬
handelt, als ob sie Selbstzweck wäre, und damit wird sie zum Unsinn.

Den gedachten Worten der Begründung entspricht auch die ganze Ge¬
staltung des Prozesses. Der Richter ist hier nicht ein bloßer Pagode, der
vor sich mündlich verhandeln läßt und dann sein Urteil von sich giebt, im
übrigen aber sich um nichts kümmert. Vielmehr baut sich der Prozeß von
vornherein unter lebendiger Mitwirkung des Richters auf; und überall, wo es
zur Abkürzung oder Vereinfachung der Sache dient, ist der Richter berufen,
einzugreifen und die Sache in die Hand zu nehmen. Die Mündlichkeit wird,
im Hinblick daraus, daß sie einen mühevollen und für die Parteien kostspieligen
Bestandteil des Prozesses bildet, nur da verwendet, wo sie wirklich für die
Sache von Wert ist. Wir legen der nachfolgenden Darstellung das Verfahren
vor den Kollegialgerichten zu Grunde, dein übrigens auch das Verfahren vor
den Bezirksgerichten, nur unter größerer Vereinfachung, entspricht.

Die Klage wird bei dem Gericht eingereicht. Wegen objektiver Unzu¬
ständigkeit des Gerichts oder wegen mangelnder Prozeßfühigkeit der Partei
kann sie das Gericht sofort zurückweisen. Tritt das nicht ein, so wird vom
Vorsitzenden des Gerichts eine Tagsatzung anberaumt. Diese „erste Tagscitzuug"
wird vor einem einzelnen beauftragten Richter gehalten; der Verklagte braucht
dabei noch keinen Anwalt anzunehmen (wodurch die gütliche Erledigung der
Sache sehr erleichtert wird). Die erste Tagsatzung ist dazu bestimmt, vor allem die
Güte zu versuchen, auch zu scheu, ob sich nicht die Sache durch Verzicht, Ge¬
ständnis oder auch durch Ausbleiben des Verklagten (in welchem Falle sofort
Versäumnisurteil beantragt werden kann) erledigt. Außerdem ist diese Tag¬
satzung dazu bestimmt, daß gewisse Einreden, die sonst die Sache aufhalte» können,
(die Einreden der Unzuständigkeit des Gerichts, der Nechtsanhängigkeit, der
entschiednen Sache, der mangelnden Sicherheit für die Prozeßkosten) schon jetzt
vom Verklagten angemeldet und womöglich vorweg erledigt werden. Eignet
sich die Sache zur weiter» Verhandlung, so wird dem Verklagten die Er¬
stattung einer schriftlichen Klagbeantwortung binnen bestimmter Frist aufgegeben.



Dieselben Anschauungen hat der Verfasser dieses Aufsatzes von jeher vertreten und
auch in der Reichsjustizkommission bei Beratung der Zivilprozeßordnung nach Kräften geltend
zu machen versucht; leider ohne Erfolg.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/111>, abgerufen am 28.07.2024.