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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Der alte Harkort

Als die Junker im Interesse der Fasanenjagd einen Paragraph 9 durch¬
drücken wollten, der lautete: "Perlhühner sind zu den Haustieren zu rechnen,"
da erklärte er, ihn nur dann annehmen zu wollen, wenn noch beigefügt würde:
"Hühner, Enten und Gänse werden ebenfalls zu den Haustieren gezählt."
Als die Regierung 1854 für "Unterstützung" der Lehrer ganze 40000 Thaler
auswarf, da sagte er: "Für die Erziehung der Kinder haben Sie kein Geld;
Sie ziehen es vor, Häscher zu besolden, um die ins Zuchthaus zu bringen,
die in der Schule nichts gelernt haben." Als über die Bittschrift eines
Invaliden zur Tagesordnung übergegangen werden sollte, weil der Instanzenzug
noch nicht erschöpft sei, da rief Harkvrt: "Ich mochte nur wissen, wie ein
armer Invalide, der kein Geld zu Porto hat, es machen soll, alle Instanzen
zu erschöpfen, bei denen in der Regel doch nichts herauskommt!" Daß fürs
Ballet stets, für seine alten Kriegskameraden niemals Geld vorhanden war,
und daß die Futterknechte der Zuchthengste doppelt so gut besoldet wurden
wie die besten und ältesten Lehrer, war ihm ein ewiges Ärgernis. In einen
besonders erbitterten Kampf mit den Junkern wurde er noch einmal ver¬
wickelt, als diese, im eignen Interesse den unbeschränkten Freihandel ebenso
rücksichtslos erstrebend wie heute einen übertriebnen Schutzzoll, die Eiseuzölle
abschaffen wollten, die Harkort für unbedingt notwendig hielt. Was die
mancherlei wirtschaftlichen Nöte der östlichen Provinzen des preußischen Staates
anlangt, so wies er ans den bedeutungsvollen Umstand hin, daß ihnen das
Hinterland fehle. Daß Pommern durch deu Großgrundbesitz entvölkert werde,
beklagte er als ein ernstliches Unglück.

Die Kriegserklärung des Jahres 1870 überraschte den Alten auf seinem
Hombruch, wie er gerade mit seinen Freunden Becker und Vergcr ein Wahl¬
programm beriet: "Jetzt -- rief er -- haben wir einfache Arbeit; ein Programm
in drei Worten: Haut die Franzosen!" Charakteristisch ist der letzte seiner
Anträge im preußischen Abgeordnetenhause: Heizung der Kupees dritter und
vierter Klasse im Winter und Einrichtung besondrer Frauenkupees in diesen
beiden Klassen. Dem deutschen Reichstage gehörte er bis zum 24. Juni 1873
an. Von da ab blieb er, immer noch rastlos thätig, aber seine Thätigkeit
ans einen engern Kreis beschränkend, in seinem Arbeiterhäuscheu auf dem
Hombruch.

Wie dem alten Vincke und dem großen Advptivsohne Westfalens, dem
Freiherr" vom Stein, so haben die Westfalen auch diesem dritten Volks¬
manne als Denkmal eine" Turin gesetzt, und zwar auf dem alten Stamm,
einer steile" Felswand im Ardehgcbirge. Möge es dein Baterlande an leben¬
digen Türmen, wie diese drei waren, niemals fehlen!




Der alte Harkort

Als die Junker im Interesse der Fasanenjagd einen Paragraph 9 durch¬
drücken wollten, der lautete: „Perlhühner sind zu den Haustieren zu rechnen,"
da erklärte er, ihn nur dann annehmen zu wollen, wenn noch beigefügt würde:
„Hühner, Enten und Gänse werden ebenfalls zu den Haustieren gezählt."
Als die Regierung 1854 für „Unterstützung" der Lehrer ganze 40000 Thaler
auswarf, da sagte er: „Für die Erziehung der Kinder haben Sie kein Geld;
Sie ziehen es vor, Häscher zu besolden, um die ins Zuchthaus zu bringen,
die in der Schule nichts gelernt haben." Als über die Bittschrift eines
Invaliden zur Tagesordnung übergegangen werden sollte, weil der Instanzenzug
noch nicht erschöpft sei, da rief Harkvrt: „Ich mochte nur wissen, wie ein
armer Invalide, der kein Geld zu Porto hat, es machen soll, alle Instanzen
zu erschöpfen, bei denen in der Regel doch nichts herauskommt!" Daß fürs
Ballet stets, für seine alten Kriegskameraden niemals Geld vorhanden war,
und daß die Futterknechte der Zuchthengste doppelt so gut besoldet wurden
wie die besten und ältesten Lehrer, war ihm ein ewiges Ärgernis. In einen
besonders erbitterten Kampf mit den Junkern wurde er noch einmal ver¬
wickelt, als diese, im eignen Interesse den unbeschränkten Freihandel ebenso
rücksichtslos erstrebend wie heute einen übertriebnen Schutzzoll, die Eiseuzölle
abschaffen wollten, die Harkort für unbedingt notwendig hielt. Was die
mancherlei wirtschaftlichen Nöte der östlichen Provinzen des preußischen Staates
anlangt, so wies er ans den bedeutungsvollen Umstand hin, daß ihnen das
Hinterland fehle. Daß Pommern durch deu Großgrundbesitz entvölkert werde,
beklagte er als ein ernstliches Unglück.

Die Kriegserklärung des Jahres 1870 überraschte den Alten auf seinem
Hombruch, wie er gerade mit seinen Freunden Becker und Vergcr ein Wahl¬
programm beriet: „Jetzt — rief er — haben wir einfache Arbeit; ein Programm
in drei Worten: Haut die Franzosen!" Charakteristisch ist der letzte seiner
Anträge im preußischen Abgeordnetenhause: Heizung der Kupees dritter und
vierter Klasse im Winter und Einrichtung besondrer Frauenkupees in diesen
beiden Klassen. Dem deutschen Reichstage gehörte er bis zum 24. Juni 1873
an. Von da ab blieb er, immer noch rastlos thätig, aber seine Thätigkeit
ans einen engern Kreis beschränkend, in seinem Arbeiterhäuscheu auf dem
Hombruch.

Wie dem alten Vincke und dem großen Advptivsohne Westfalens, dem
Freiherr» vom Stein, so haben die Westfalen auch diesem dritten Volks¬
manne als Denkmal eine» Turin gesetzt, und zwar auf dem alten Stamm,
einer steile» Felswand im Ardehgcbirge. Möge es dein Baterlande an leben¬
digen Türmen, wie diese drei waren, niemals fehlen!




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[0072] Der alte Harkort Als die Junker im Interesse der Fasanenjagd einen Paragraph 9 durch¬ drücken wollten, der lautete: „Perlhühner sind zu den Haustieren zu rechnen," da erklärte er, ihn nur dann annehmen zu wollen, wenn noch beigefügt würde: „Hühner, Enten und Gänse werden ebenfalls zu den Haustieren gezählt." Als die Regierung 1854 für „Unterstützung" der Lehrer ganze 40000 Thaler auswarf, da sagte er: „Für die Erziehung der Kinder haben Sie kein Geld; Sie ziehen es vor, Häscher zu besolden, um die ins Zuchthaus zu bringen, die in der Schule nichts gelernt haben." Als über die Bittschrift eines Invaliden zur Tagesordnung übergegangen werden sollte, weil der Instanzenzug noch nicht erschöpft sei, da rief Harkvrt: „Ich mochte nur wissen, wie ein armer Invalide, der kein Geld zu Porto hat, es machen soll, alle Instanzen zu erschöpfen, bei denen in der Regel doch nichts herauskommt!" Daß fürs Ballet stets, für seine alten Kriegskameraden niemals Geld vorhanden war, und daß die Futterknechte der Zuchthengste doppelt so gut besoldet wurden wie die besten und ältesten Lehrer, war ihm ein ewiges Ärgernis. In einen besonders erbitterten Kampf mit den Junkern wurde er noch einmal ver¬ wickelt, als diese, im eignen Interesse den unbeschränkten Freihandel ebenso rücksichtslos erstrebend wie heute einen übertriebnen Schutzzoll, die Eiseuzölle abschaffen wollten, die Harkort für unbedingt notwendig hielt. Was die mancherlei wirtschaftlichen Nöte der östlichen Provinzen des preußischen Staates anlangt, so wies er ans den bedeutungsvollen Umstand hin, daß ihnen das Hinterland fehle. Daß Pommern durch deu Großgrundbesitz entvölkert werde, beklagte er als ein ernstliches Unglück. Die Kriegserklärung des Jahres 1870 überraschte den Alten auf seinem Hombruch, wie er gerade mit seinen Freunden Becker und Vergcr ein Wahl¬ programm beriet: „Jetzt — rief er — haben wir einfache Arbeit; ein Programm in drei Worten: Haut die Franzosen!" Charakteristisch ist der letzte seiner Anträge im preußischen Abgeordnetenhause: Heizung der Kupees dritter und vierter Klasse im Winter und Einrichtung besondrer Frauenkupees in diesen beiden Klassen. Dem deutschen Reichstage gehörte er bis zum 24. Juni 1873 an. Von da ab blieb er, immer noch rastlos thätig, aber seine Thätigkeit ans einen engern Kreis beschränkend, in seinem Arbeiterhäuscheu auf dem Hombruch. Wie dem alten Vincke und dem großen Advptivsohne Westfalens, dem Freiherr» vom Stein, so haben die Westfalen auch diesem dritten Volks¬ manne als Denkmal eine» Turin gesetzt, und zwar auf dem alten Stamm, einer steile» Felswand im Ardehgcbirge. Möge es dein Baterlande an leben¬ digen Türmen, wie diese drei waren, niemals fehlen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/72>, abgerufen am 23.07.2024.