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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Engländern, die zu bekommen sehr schwierig gewesen war. Ordentliche Leute
waren zur Übersiedelung nach Deutschland nicht zu bewegen. "Ich habe da¬
mals -- erzählte er später -- verschiedne meiner Engländer sozusagen vom
Galgen herunterschneiden müssen, um überhaupt welche zu bekommen." Er hat
die ersten deutschen Dampfmaschinen und den ersten mechanischen Webstuhl ge¬
bant. Nachdem er drei Jahre lang vergebens gesprochen und geschrieben hatte,
um eine Aktiengesellschaft zur Einführung des Puddelverfahrens in Westfalen
zustande zu bringen, weil die westfälischen Eisenwerke die Konkurrenz mit dem
dreißig Prozent billigern ausländischen Puddeleisen nicht auszuhalten ver¬
möchten, ging er 1826 zum zweitenmale nach England, holte wieder Werk¬
meister und Arbeiter herüber, schuf mit seinen unzulänglichen Mitteln das erste
Puddel- und Walzwerk und verbesserte das Verfahren durch eigne Erfindungen.
Schon vorher hatte er einen verbesserten Hochofen angelegt. Seine Be¬
mühungen um Anlage einer Eisenbahn im westfälischen Industriegebiet -- von
1825 an -- blieben fast zwanzig Jahre lang vergeblich, doch hatte er die
Freude, daß sein Bruder Gustav in Leipzig mit Hilfe seiner thatkräftigen
Freunde Sehfferth, Dufour-Fvronce und Lampe die von List vorgeschlngne
Strecke Leipzig-Dresden in der Zeit von 1834--3ö zustande brachte. Die
Konzession zur Vergisch-Märkischen Bahn sowie für die von Harkort 1830
vorgeschlagne Bahn Köln-Minden wurde erst 1844 erteilt. Vom mnnster-
lüudischeu Adel zeichnete nur einer sür die um dieselbe Zeit ausgeführte Zweig¬
bahn Hamm-Münster. "Was? -- soll ein Graf gesagt haben-- wir sollten
unser Geld für eine Eisenbahn hergeben? Da könnte ja jeder Bauer ebenso
rasch sahren wie wir!" Er empfahl auch zuerst die Einführung der in Amerika
erfundnen Gitterbrücken und sagte schon 1840 voraus, daß man einst flüchtig
gelegte transportable Eisenbahnen bauen werde. Bei solchem Eifer für die
Eisenbahnen mahnte er doch zugleich anhaltend, die Wasserstraßen nicht zu
vernachlässigen. Darum bereitete es ihm große Frende, daß er die Maschine
für den ersten Weserdampfer herstellen durfte, der auf Vinckes Anregung in
Duisburg gebaut wurde. Hartvrt selbst unternahm es, den fertige" Dampfer
den Rhein hinab durch die Nordsee und in die Weser hinein zu steuern. Es
war mitten im Winter -- am 24. Januar 1836 wurden die Anker ge¬
lichtet -- und wurde allgemein als kühnes Wagnis angestaunt. Nicht
das größte zwar, aber das lächerlichste der Hindernisse ans dieser an
Hindernissen reichen Fahrt war beim Dorfe Schweringen zu überwinden. Der
hannoverische Fährpächter weigerte sich, das Fährseil hernnterzulassen, weil er
nur für Segelschiffe, nicht sür Dnmpfbovte dazu verpflichtet sei. Als alle gütlichen
Vorstellungen nichts halfen, ließ Harkort seinen Dampfer gegen das Seil los¬
fahren und es sprengen. Ein vom Fährpächter reqnirirtcr Gendarm ritt
flachend am Ufer nebenher und schwang vergebens die Verfügung, die die
Weiterfahrt untersagte. Weit stärkere Seile waren auf der Fahrt von Köln


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Engländern, die zu bekommen sehr schwierig gewesen war. Ordentliche Leute
waren zur Übersiedelung nach Deutschland nicht zu bewegen. „Ich habe da¬
mals — erzählte er später — verschiedne meiner Engländer sozusagen vom
Galgen herunterschneiden müssen, um überhaupt welche zu bekommen." Er hat
die ersten deutschen Dampfmaschinen und den ersten mechanischen Webstuhl ge¬
bant. Nachdem er drei Jahre lang vergebens gesprochen und geschrieben hatte,
um eine Aktiengesellschaft zur Einführung des Puddelverfahrens in Westfalen
zustande zu bringen, weil die westfälischen Eisenwerke die Konkurrenz mit dem
dreißig Prozent billigern ausländischen Puddeleisen nicht auszuhalten ver¬
möchten, ging er 1826 zum zweitenmale nach England, holte wieder Werk¬
meister und Arbeiter herüber, schuf mit seinen unzulänglichen Mitteln das erste
Puddel- und Walzwerk und verbesserte das Verfahren durch eigne Erfindungen.
Schon vorher hatte er einen verbesserten Hochofen angelegt. Seine Be¬
mühungen um Anlage einer Eisenbahn im westfälischen Industriegebiet — von
1825 an — blieben fast zwanzig Jahre lang vergeblich, doch hatte er die
Freude, daß sein Bruder Gustav in Leipzig mit Hilfe seiner thatkräftigen
Freunde Sehfferth, Dufour-Fvronce und Lampe die von List vorgeschlngne
Strecke Leipzig-Dresden in der Zeit von 1834—3ö zustande brachte. Die
Konzession zur Vergisch-Märkischen Bahn sowie für die von Harkort 1830
vorgeschlagne Bahn Köln-Minden wurde erst 1844 erteilt. Vom mnnster-
lüudischeu Adel zeichnete nur einer sür die um dieselbe Zeit ausgeführte Zweig¬
bahn Hamm-Münster. „Was? — soll ein Graf gesagt haben— wir sollten
unser Geld für eine Eisenbahn hergeben? Da könnte ja jeder Bauer ebenso
rasch sahren wie wir!" Er empfahl auch zuerst die Einführung der in Amerika
erfundnen Gitterbrücken und sagte schon 1840 voraus, daß man einst flüchtig
gelegte transportable Eisenbahnen bauen werde. Bei solchem Eifer für die
Eisenbahnen mahnte er doch zugleich anhaltend, die Wasserstraßen nicht zu
vernachlässigen. Darum bereitete es ihm große Frende, daß er die Maschine
für den ersten Weserdampfer herstellen durfte, der auf Vinckes Anregung in
Duisburg gebaut wurde. Hartvrt selbst unternahm es, den fertige» Dampfer
den Rhein hinab durch die Nordsee und in die Weser hinein zu steuern. Es
war mitten im Winter — am 24. Januar 1836 wurden die Anker ge¬
lichtet — und wurde allgemein als kühnes Wagnis angestaunt. Nicht
das größte zwar, aber das lächerlichste der Hindernisse ans dieser an
Hindernissen reichen Fahrt war beim Dorfe Schweringen zu überwinden. Der
hannoverische Fährpächter weigerte sich, das Fährseil hernnterzulassen, weil er
nur für Segelschiffe, nicht sür Dnmpfbovte dazu verpflichtet sei. Als alle gütlichen
Vorstellungen nichts halfen, ließ Harkort seinen Dampfer gegen das Seil los¬
fahren und es sprengen. Ein vom Fährpächter reqnirirtcr Gendarm ritt
flachend am Ufer nebenher und schwang vergebens die Verfügung, die die
Weiterfahrt untersagte. Weit stärkere Seile waren auf der Fahrt von Köln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/67>, abgerufen am 24.07.2024.