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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

zu befriedigen, seine armselige Habe, sein Vieh, seinen Unterarten, zuletzt sich selbst,
d. h. seine Arbeitskraft verkaufen. Er verpflichtet sich kontraktlich, dem Wucherer
so lange Feldarbeit zu leisten, bis seine Schuld bezahlt sein wird, d. h. bis an
sein Lebensende. So ist die Leibeigenschaft in weit härterer Form zurückgekehrt,
in einer Form, die das uralte vom Adel unberührt gelassene Gemeindeleben zer¬
stört, das außerdem auch noch durch neue büreaukratische Einrichtungen unter¬
graben wird. Dafür, daß keiner dem Wucherer entgehe, sorgt der Steuererheber.
Dieser läßt den Bauern so lauge knuten, bis er Geld schafft. Ist vom Wucherer keins
mehr zu bekommen, dünn wird fo lange fortgeprügelt, bis der Unglückliche den letzten
Rest seiner fahrenden Habe beim Trödeljuden um ein Lnmpengeld losgeschlagen hat.

Nachdem der Grund und Boden einmal flüssig geworden war, richteten hohe
Beamte ihr Augenmerk auf diese neue Art des Erwerbs und betrieben, kleinliche
Wucherkünste verschmähend, den Landraub im großen. Sie "kauften" Bauernland,
d. h. sie zahlten dem Staate, dem das Land gar nicht gehörte, einen Spottpreis
dafür und verjagten die Bauern mit Gewalt oder ließen sie als Tagelöhner auf
ihrem frühern Eigentum sitzen. Das geschah hauptsächlich in den Grenzprovinzen,
außerhalb des eigentlichen Rußlands, namentlich bei den Baschkiren in den Gouverne¬
ments Asa und Orenburg und im Kaukasus. Doch kommen solche Räubereien auch
im Herzen des Reichs vor; widersetzen sich die Bauern, so werden sie als Re¬
bellen behandelt. Nach Stepniaks Angabe wäre bereits ein Drittel der eigentlich
russischen Bauernbevölkerung, über zwanzig Millionen Seelen, dem Proletariat und
der neuen Leibeigenschaft verfallen. "Die nihilistische Empörung -- sagt er
S. 137 -- hatte bei ihrem ersten Auftreten bekanntlich (?) den Charakter einer
ausgebreiteten Agrarbewegung zu Gunsten der Rückgabe des Bodeus an seinen Be¬
arbeiter." Zur Unterdrückung dieser Bewegung sei im Jahre 1878 das Korps
der Landgendarmeu (Urjaduiks) geschaffen worden, und diese machten durch Mißhand¬
lungen und Erpressungen das Maß der Leiden der ländlichen Bevölkerung voll.

Dieser Zustand ist in volkswirtschaftlicher wie in sozialer Beziehung gleich
verhängnisvoll. Der beim russischen Anbausystem ohnehin ärmliche Ertrag von
kaum drei Korn wird dadurch noch weiter vermindert, daß die neuen Nckerbau-
sklaven auf den neu entstehenden Latifundien der Kulaken und Landräuber mög¬
lichst schlecht arbeiten, und daß die Bauern, die sich noch halten, an der guten
Bestellung ihrer eignen Äcker durch die Arbeitsuche und dnrch fortwährenden Vieh-
verlnst gehindert werden. Wenn bei einem so winzigen Ertrage immer noch un¬
geheure Masse" Getreide ausgeführt werden, so ist diese Ausfuhr nicht dem Über¬
schuß entnommen, sondern der Notdurft entzogen. Der Eruteausfnll im Jahre 1891
betrug nur ein Fünftel des Durchschnitts. Ein solcher Ausfall, meint Stepniak,
verursache in Frankreich z. B. keine merkliche Not. Wenn er in Rußland eine
furchtbare Hungersnot erzeuge, so sei damit der Beweis geliefert, daß der Hunger
schon lange° geherrscht habe, und daß das erschöpfte Volk einen solchen an sich nicht
schlimmen einmaligen Ausfall nicht zu ertragen vermochte. Es soll statistisch er¬
wiese" sein, daß sich der Brotkonsum während der letzten zwanzig Jahre um ein
Siebentel vermindert hat, und die Sterblichkeit soll 1882 nicht weniger als 62
vom Tausend betragen haben, während die Geburtenziffer nur 45 betrug, sodaß
sich also die Bevölkerung jährlich um 1.7 vom Tausend vermindern würde. Diese
Angabe erweckt doch einiges Mißtraue" in die Zuverlässigkeit des Verfassers. Mag
aber Stepniak auch übertreiben, jedenfalls sind die russischen Agrarzustände himmel¬
schreiend. Nur 21 Prozent der Bodenfläche sind angebaut, und alle Staatseinrich-
tungen scheinen darauf berechnet, den Anbau dieses Fünfecks so elend wie möglich


Greiizboten II 1893 78
Maßgebliches und Unmaßgebliches

zu befriedigen, seine armselige Habe, sein Vieh, seinen Unterarten, zuletzt sich selbst,
d. h. seine Arbeitskraft verkaufen. Er verpflichtet sich kontraktlich, dem Wucherer
so lange Feldarbeit zu leisten, bis seine Schuld bezahlt sein wird, d. h. bis an
sein Lebensende. So ist die Leibeigenschaft in weit härterer Form zurückgekehrt,
in einer Form, die das uralte vom Adel unberührt gelassene Gemeindeleben zer¬
stört, das außerdem auch noch durch neue büreaukratische Einrichtungen unter¬
graben wird. Dafür, daß keiner dem Wucherer entgehe, sorgt der Steuererheber.
Dieser läßt den Bauern so lauge knuten, bis er Geld schafft. Ist vom Wucherer keins
mehr zu bekommen, dünn wird fo lange fortgeprügelt, bis der Unglückliche den letzten
Rest seiner fahrenden Habe beim Trödeljuden um ein Lnmpengeld losgeschlagen hat.

Nachdem der Grund und Boden einmal flüssig geworden war, richteten hohe
Beamte ihr Augenmerk auf diese neue Art des Erwerbs und betrieben, kleinliche
Wucherkünste verschmähend, den Landraub im großen. Sie „kauften" Bauernland,
d. h. sie zahlten dem Staate, dem das Land gar nicht gehörte, einen Spottpreis
dafür und verjagten die Bauern mit Gewalt oder ließen sie als Tagelöhner auf
ihrem frühern Eigentum sitzen. Das geschah hauptsächlich in den Grenzprovinzen,
außerhalb des eigentlichen Rußlands, namentlich bei den Baschkiren in den Gouverne¬
ments Asa und Orenburg und im Kaukasus. Doch kommen solche Räubereien auch
im Herzen des Reichs vor; widersetzen sich die Bauern, so werden sie als Re¬
bellen behandelt. Nach Stepniaks Angabe wäre bereits ein Drittel der eigentlich
russischen Bauernbevölkerung, über zwanzig Millionen Seelen, dem Proletariat und
der neuen Leibeigenschaft verfallen. „Die nihilistische Empörung — sagt er
S. 137 — hatte bei ihrem ersten Auftreten bekanntlich (?) den Charakter einer
ausgebreiteten Agrarbewegung zu Gunsten der Rückgabe des Bodeus an seinen Be¬
arbeiter." Zur Unterdrückung dieser Bewegung sei im Jahre 1878 das Korps
der Landgendarmeu (Urjaduiks) geschaffen worden, und diese machten durch Mißhand¬
lungen und Erpressungen das Maß der Leiden der ländlichen Bevölkerung voll.

Dieser Zustand ist in volkswirtschaftlicher wie in sozialer Beziehung gleich
verhängnisvoll. Der beim russischen Anbausystem ohnehin ärmliche Ertrag von
kaum drei Korn wird dadurch noch weiter vermindert, daß die neuen Nckerbau-
sklaven auf den neu entstehenden Latifundien der Kulaken und Landräuber mög¬
lichst schlecht arbeiten, und daß die Bauern, die sich noch halten, an der guten
Bestellung ihrer eignen Äcker durch die Arbeitsuche und dnrch fortwährenden Vieh-
verlnst gehindert werden. Wenn bei einem so winzigen Ertrage immer noch un¬
geheure Masse» Getreide ausgeführt werden, so ist diese Ausfuhr nicht dem Über¬
schuß entnommen, sondern der Notdurft entzogen. Der Eruteausfnll im Jahre 1891
betrug nur ein Fünftel des Durchschnitts. Ein solcher Ausfall, meint Stepniak,
verursache in Frankreich z. B. keine merkliche Not. Wenn er in Rußland eine
furchtbare Hungersnot erzeuge, so sei damit der Beweis geliefert, daß der Hunger
schon lange° geherrscht habe, und daß das erschöpfte Volk einen solchen an sich nicht
schlimmen einmaligen Ausfall nicht zu ertragen vermochte. Es soll statistisch er¬
wiese» sein, daß sich der Brotkonsum während der letzten zwanzig Jahre um ein
Siebentel vermindert hat, und die Sterblichkeit soll 1882 nicht weniger als 62
vom Tausend betragen haben, während die Geburtenziffer nur 45 betrug, sodaß
sich also die Bevölkerung jährlich um 1.7 vom Tausend vermindern würde. Diese
Angabe erweckt doch einiges Mißtraue« in die Zuverlässigkeit des Verfassers. Mag
aber Stepniak auch übertreiben, jedenfalls sind die russischen Agrarzustände himmel¬
schreiend. Nur 21 Prozent der Bodenfläche sind angebaut, und alle Staatseinrich-
tungen scheinen darauf berechnet, den Anbau dieses Fünfecks so elend wie möglich


Greiizboten II 1893 78
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[0626] Maßgebliches und Unmaßgebliches zu befriedigen, seine armselige Habe, sein Vieh, seinen Unterarten, zuletzt sich selbst, d. h. seine Arbeitskraft verkaufen. Er verpflichtet sich kontraktlich, dem Wucherer so lange Feldarbeit zu leisten, bis seine Schuld bezahlt sein wird, d. h. bis an sein Lebensende. So ist die Leibeigenschaft in weit härterer Form zurückgekehrt, in einer Form, die das uralte vom Adel unberührt gelassene Gemeindeleben zer¬ stört, das außerdem auch noch durch neue büreaukratische Einrichtungen unter¬ graben wird. Dafür, daß keiner dem Wucherer entgehe, sorgt der Steuererheber. Dieser läßt den Bauern so lauge knuten, bis er Geld schafft. Ist vom Wucherer keins mehr zu bekommen, dünn wird fo lange fortgeprügelt, bis der Unglückliche den letzten Rest seiner fahrenden Habe beim Trödeljuden um ein Lnmpengeld losgeschlagen hat. Nachdem der Grund und Boden einmal flüssig geworden war, richteten hohe Beamte ihr Augenmerk auf diese neue Art des Erwerbs und betrieben, kleinliche Wucherkünste verschmähend, den Landraub im großen. Sie „kauften" Bauernland, d. h. sie zahlten dem Staate, dem das Land gar nicht gehörte, einen Spottpreis dafür und verjagten die Bauern mit Gewalt oder ließen sie als Tagelöhner auf ihrem frühern Eigentum sitzen. Das geschah hauptsächlich in den Grenzprovinzen, außerhalb des eigentlichen Rußlands, namentlich bei den Baschkiren in den Gouverne¬ ments Asa und Orenburg und im Kaukasus. Doch kommen solche Räubereien auch im Herzen des Reichs vor; widersetzen sich die Bauern, so werden sie als Re¬ bellen behandelt. Nach Stepniaks Angabe wäre bereits ein Drittel der eigentlich russischen Bauernbevölkerung, über zwanzig Millionen Seelen, dem Proletariat und der neuen Leibeigenschaft verfallen. „Die nihilistische Empörung — sagt er S. 137 — hatte bei ihrem ersten Auftreten bekanntlich (?) den Charakter einer ausgebreiteten Agrarbewegung zu Gunsten der Rückgabe des Bodeus an seinen Be¬ arbeiter." Zur Unterdrückung dieser Bewegung sei im Jahre 1878 das Korps der Landgendarmeu (Urjaduiks) geschaffen worden, und diese machten durch Mißhand¬ lungen und Erpressungen das Maß der Leiden der ländlichen Bevölkerung voll. Dieser Zustand ist in volkswirtschaftlicher wie in sozialer Beziehung gleich verhängnisvoll. Der beim russischen Anbausystem ohnehin ärmliche Ertrag von kaum drei Korn wird dadurch noch weiter vermindert, daß die neuen Nckerbau- sklaven auf den neu entstehenden Latifundien der Kulaken und Landräuber mög¬ lichst schlecht arbeiten, und daß die Bauern, die sich noch halten, an der guten Bestellung ihrer eignen Äcker durch die Arbeitsuche und dnrch fortwährenden Vieh- verlnst gehindert werden. Wenn bei einem so winzigen Ertrage immer noch un¬ geheure Masse» Getreide ausgeführt werden, so ist diese Ausfuhr nicht dem Über¬ schuß entnommen, sondern der Notdurft entzogen. Der Eruteausfnll im Jahre 1891 betrug nur ein Fünftel des Durchschnitts. Ein solcher Ausfall, meint Stepniak, verursache in Frankreich z. B. keine merkliche Not. Wenn er in Rußland eine furchtbare Hungersnot erzeuge, so sei damit der Beweis geliefert, daß der Hunger schon lange° geherrscht habe, und daß das erschöpfte Volk einen solchen an sich nicht schlimmen einmaligen Ausfall nicht zu ertragen vermochte. Es soll statistisch er¬ wiese» sein, daß sich der Brotkonsum während der letzten zwanzig Jahre um ein Siebentel vermindert hat, und die Sterblichkeit soll 1882 nicht weniger als 62 vom Tausend betragen haben, während die Geburtenziffer nur 45 betrug, sodaß sich also die Bevölkerung jährlich um 1.7 vom Tausend vermindern würde. Diese Angabe erweckt doch einiges Mißtraue« in die Zuverlässigkeit des Verfassers. Mag aber Stepniak auch übertreiben, jedenfalls sind die russischen Agrarzustände himmel¬ schreiend. Nur 21 Prozent der Bodenfläche sind angebaut, und alle Staatseinrich- tungen scheinen darauf berechnet, den Anbau dieses Fünfecks so elend wie möglich Greiizboten II 1893 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/626>, abgerufen am 23.07.2024.