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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Laokoon, Aapitel ^6

in den Trog schüttet. Er hat aber auch von dem Zweck des akademischen
Vortrags eine so hohe Meinung, wie schwerlich einer unsrer litterarhistorischen
Notizengelehrten. Eine so fließende und formschöne Beredsamkeit ist nun nicht
von jedermann zu verlangen. Aber wer etwas zu sagen hat, von dessen Be¬
deutung und Wert er durchdrungen ist, der findet dafür, wenn nicht immer
eine bestechende, so doch stets eine klare Form. Ich habe in Berlin, natürlich
von einem außerordentlichen Professor, Philosophie vortragen hören in ganz
anspruchsloser Rede, aber so klar, daß mau sich hätte ärgern können, wie einen
der Vortrag völlig gefangen nahm. Die Rede schien getragen -- hier ist
das vielmißbrauchte Modewort einmal am Platze -- von dem ruhigen, aber
sichern Bewußtsein, daß sich das Gute schon selber Bahn bricht. Ich habe
in Marburg einen Vertreter der Schulreform einen zwanglosen Vortrag halten
hören über die Praxis des englischen Unterrichts, aus dem der Geist förmlich
herauslenchtete. Ein frischer Zug wehte einen daraus an, und man fühlte:
der Redner weiß, daß seines Geistes Arbeit Frucht getragen hat und noch
reicher Frucht tragen wird. Natürlich war das wieder ein außerordentlicher
Professor, und Gott und der preußische Kultusminister mögen wissen, ob er
je ein ordentlicher wird. Ich meine nun, wenn der gelehrteste und geistreichste
Mann in verworrenen Deutsch lehrt, so darf man ruhig schließen: dem Manne
ist das Bewußtsein von dem Wert seiner Lehre nicht lebendig. Nur das manchmal
überschwengliche Selbstbewußtsein, daß er Edelsteine darbiete, gab Schopenhauer
die Macht, sie in Gold zu fassen, auch wo sie unecht waren.

Schlechtes Deutsch reden nun nicht nur deutsche Professoren, sondern
noch recht viel andre Leute. Die Elite unsers Volkes, die in Reichs- und
Landtagen sitzt, verzapft u. a. eine recht ansehnliche Menge. Und schlechtes
Deutsch schreibt die überwiegende Mehrzahl aller Deutschen, die überhaupt
schreiben können. Soll dem Anschwellen des Papierdeutschen ein Damm ent¬
gegengesetzt werden, so kann den einzig und allein der deutsche Schulunterricht
aufführen. Darin hat Wustmann zweifellos wieder Recht. Aber weiter möchte
ich nnn behaupten: soll der deutsche Unterricht stark gemacht werden zur Er¬
füllung dieser Riesenaufgabe, so muß zunächst der Lehrer des Deutschen für
diese Aufgabe zweckmüßig ausgerüstet werden. Und zu diesem Zweck muß die
Wissenschaft, die den Lehrer ausbildet -- vom Schriftsteller gar uicht zu
reden --, umkehren. Sie muß sich aus der trägen Biographie emporarbeiten
zu thatkräftigen Schaffen, das nicht mehr lauter Totgeburten in die Welt
setzt. Das lebendig wirkende Dichtwerk muß wieder ihr eigentlicher Gegenstand
werden, Biographie, Textkritik und Quellenforschung müssen wieder in den
Rang von Hilfswissenschaften zurücktreten. Hat die Litteraturgeschichte erst
erkannt, daß sie heute zu ihrem höchsten Ziel gar nicht emporzustreben wagt,
dann wird sie auch den Anschluß aus Leben der Gegenwart suchen, und
sie wird ihn finden. Und dann vermag sie eine feste Stütze zu werden für


Laokoon, Aapitel ^6

in den Trog schüttet. Er hat aber auch von dem Zweck des akademischen
Vortrags eine so hohe Meinung, wie schwerlich einer unsrer litterarhistorischen
Notizengelehrten. Eine so fließende und formschöne Beredsamkeit ist nun nicht
von jedermann zu verlangen. Aber wer etwas zu sagen hat, von dessen Be¬
deutung und Wert er durchdrungen ist, der findet dafür, wenn nicht immer
eine bestechende, so doch stets eine klare Form. Ich habe in Berlin, natürlich
von einem außerordentlichen Professor, Philosophie vortragen hören in ganz
anspruchsloser Rede, aber so klar, daß mau sich hätte ärgern können, wie einen
der Vortrag völlig gefangen nahm. Die Rede schien getragen — hier ist
das vielmißbrauchte Modewort einmal am Platze — von dem ruhigen, aber
sichern Bewußtsein, daß sich das Gute schon selber Bahn bricht. Ich habe
in Marburg einen Vertreter der Schulreform einen zwanglosen Vortrag halten
hören über die Praxis des englischen Unterrichts, aus dem der Geist förmlich
herauslenchtete. Ein frischer Zug wehte einen daraus an, und man fühlte:
der Redner weiß, daß seines Geistes Arbeit Frucht getragen hat und noch
reicher Frucht tragen wird. Natürlich war das wieder ein außerordentlicher
Professor, und Gott und der preußische Kultusminister mögen wissen, ob er
je ein ordentlicher wird. Ich meine nun, wenn der gelehrteste und geistreichste
Mann in verworrenen Deutsch lehrt, so darf man ruhig schließen: dem Manne
ist das Bewußtsein von dem Wert seiner Lehre nicht lebendig. Nur das manchmal
überschwengliche Selbstbewußtsein, daß er Edelsteine darbiete, gab Schopenhauer
die Macht, sie in Gold zu fassen, auch wo sie unecht waren.

Schlechtes Deutsch reden nun nicht nur deutsche Professoren, sondern
noch recht viel andre Leute. Die Elite unsers Volkes, die in Reichs- und
Landtagen sitzt, verzapft u. a. eine recht ansehnliche Menge. Und schlechtes
Deutsch schreibt die überwiegende Mehrzahl aller Deutschen, die überhaupt
schreiben können. Soll dem Anschwellen des Papierdeutschen ein Damm ent¬
gegengesetzt werden, so kann den einzig und allein der deutsche Schulunterricht
aufführen. Darin hat Wustmann zweifellos wieder Recht. Aber weiter möchte
ich nnn behaupten: soll der deutsche Unterricht stark gemacht werden zur Er¬
füllung dieser Riesenaufgabe, so muß zunächst der Lehrer des Deutschen für
diese Aufgabe zweckmüßig ausgerüstet werden. Und zu diesem Zweck muß die
Wissenschaft, die den Lehrer ausbildet — vom Schriftsteller gar uicht zu
reden —, umkehren. Sie muß sich aus der trägen Biographie emporarbeiten
zu thatkräftigen Schaffen, das nicht mehr lauter Totgeburten in die Welt
setzt. Das lebendig wirkende Dichtwerk muß wieder ihr eigentlicher Gegenstand
werden, Biographie, Textkritik und Quellenforschung müssen wieder in den
Rang von Hilfswissenschaften zurücktreten. Hat die Litteraturgeschichte erst
erkannt, daß sie heute zu ihrem höchsten Ziel gar nicht emporzustreben wagt,
dann wird sie auch den Anschluß aus Leben der Gegenwart suchen, und
sie wird ihn finden. Und dann vermag sie eine feste Stütze zu werden für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/613>, abgerufen am 23.07.2024.