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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Verschuldung des ländliche" Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen

zwischen dem werbenden Geldkapital und der Art und Weise, wie der Boden
seine Früchte bringt. Dort ist der Kapitalismus die Grundlage, hier die
bäuerliche Arbeit; dort ist die Erzielung hoher Gewinne der Zweck, hier die
Hebung des Bauernstandes; dort ist ein hoher Ertrag des Bankgeschäfts die
Hauptsache, hier die Hilfe für den Bauer."

Jäger hofft, daß es dieser genossenschaftlichen Arbeit mit der Zeit ge¬
lingen werde, die vom Absolutismus, von der Büreaukratie und vom Kapi¬
talismus zerstörte lebenskräftige Bauerngemeinde früherer Zeiten wiederherzu¬
stellen. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, erscheint der Bund der
Landwirte, den Jäger übrigens nicht erwähnt, als ein geradezu frevelhaftes
Beginnen. Von diesen Anfängen verständiger Selbsthilfe und einer stillen
Organisationsthätigkeit, die zur Wiedergeburt altdeutschen Gemeiudelebens
sichren kann, will der Bund die Bauern abziehen und durch die Aussicht auf
Staatshilfe, d. h. auf Geschenke aus den Taschen solcher städtischer Steuer¬
zahler, die an der Bewucherung der Bauern ganz unschuldig sind, verlocken,
sich vor seineu Wagen spannen zu lassen. Mit betäubendem demagogischen
Lärm, mit .Klagen über die "Not der Landwirtschaft," aber jede sachliche Er¬
örterung sorgfältig vermeidend, null er mit Hilfe der bethörten Bauern eine
Geldverschlechterung, hohe landwirtschaftliche Zölle und allerlei Steuervergün¬
stigungen, sowie die Zurückführung der ländlichen Arbeiter in eine wenn nicht
gesetzliche so doch thatsächliche Leibeigenschaft durchsetzen, lauter Dinge, die
nur ihm, d. h. den ostelbischen Großgrundbesitzern, nicht aber dem Bauernstande
nützen, den Kleinbauern, die die Mehrzahl bilden, geradezu verderblich sind,
und nicht einmal durchweg den Wünschen der allerdings nicht sehr zahlreichen
Großgrundbesitzer West- und Süddeutschlands entsprechen. Der kleine Bauer
verkauft kein Getreide, sondern muß selber Brot kaufen und Körner als Vieh¬
futter, er braucht also gleich dem Städter nicht hohe, sondern niedrige Getreide¬
preise. Ihm liegt uur nu lohnenden Preisen für Fleisch, Milch und Butter,
und die sind, um den Arbcitslöhueu und Benmteugehalten gemessen, gerade
hoch genug. Außerdem kommen für ihn die Preise von Gemüse, Wein, Tabak,
Hopfen, Hanf und andern Handelsgewächsen in Betracht. Wie verschieden die
Interessen der verschiednen Gruppen von Landwirten und wie unvereinbar
die Ansprüche sind, die sie an den Staat erheben, und daß es nicht angeht,
dem Interesse einer einzelnen Gruppe das aller übrigen zu opfern, hat soeben
wieder Prinz Ludwig von Baiern bei Eröffnung der Wanderversammlung
deutscher Landwirtschaftsgesellschaften zu München hervorgehoben. Am meisten
aber hat mau sich gerade vor den ostelbischen Großgrundbesitzern zu hüten,
die den Vundeslärm in Szene gesetzt haben. Gerade sie sind es, die in frühern
Jahrhunderten an der Zerstörung des Bauernstandes und des ländlichen Ge¬
meindelebens gearbeitet haben, die in unsern Tagen allen Bemühungen der
preußischen Negierung, dieses Gemeindeleben einigermaßen wiederherzustellen,


Die Verschuldung des ländliche» Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen

zwischen dem werbenden Geldkapital und der Art und Weise, wie der Boden
seine Früchte bringt. Dort ist der Kapitalismus die Grundlage, hier die
bäuerliche Arbeit; dort ist die Erzielung hoher Gewinne der Zweck, hier die
Hebung des Bauernstandes; dort ist ein hoher Ertrag des Bankgeschäfts die
Hauptsache, hier die Hilfe für den Bauer."

Jäger hofft, daß es dieser genossenschaftlichen Arbeit mit der Zeit ge¬
lingen werde, die vom Absolutismus, von der Büreaukratie und vom Kapi¬
talismus zerstörte lebenskräftige Bauerngemeinde früherer Zeiten wiederherzu¬
stellen. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, erscheint der Bund der
Landwirte, den Jäger übrigens nicht erwähnt, als ein geradezu frevelhaftes
Beginnen. Von diesen Anfängen verständiger Selbsthilfe und einer stillen
Organisationsthätigkeit, die zur Wiedergeburt altdeutschen Gemeiudelebens
sichren kann, will der Bund die Bauern abziehen und durch die Aussicht auf
Staatshilfe, d. h. auf Geschenke aus den Taschen solcher städtischer Steuer¬
zahler, die an der Bewucherung der Bauern ganz unschuldig sind, verlocken,
sich vor seineu Wagen spannen zu lassen. Mit betäubendem demagogischen
Lärm, mit .Klagen über die „Not der Landwirtschaft," aber jede sachliche Er¬
örterung sorgfältig vermeidend, null er mit Hilfe der bethörten Bauern eine
Geldverschlechterung, hohe landwirtschaftliche Zölle und allerlei Steuervergün¬
stigungen, sowie die Zurückführung der ländlichen Arbeiter in eine wenn nicht
gesetzliche so doch thatsächliche Leibeigenschaft durchsetzen, lauter Dinge, die
nur ihm, d. h. den ostelbischen Großgrundbesitzern, nicht aber dem Bauernstande
nützen, den Kleinbauern, die die Mehrzahl bilden, geradezu verderblich sind,
und nicht einmal durchweg den Wünschen der allerdings nicht sehr zahlreichen
Großgrundbesitzer West- und Süddeutschlands entsprechen. Der kleine Bauer
verkauft kein Getreide, sondern muß selber Brot kaufen und Körner als Vieh¬
futter, er braucht also gleich dem Städter nicht hohe, sondern niedrige Getreide¬
preise. Ihm liegt uur nu lohnenden Preisen für Fleisch, Milch und Butter,
und die sind, um den Arbcitslöhueu und Benmteugehalten gemessen, gerade
hoch genug. Außerdem kommen für ihn die Preise von Gemüse, Wein, Tabak,
Hopfen, Hanf und andern Handelsgewächsen in Betracht. Wie verschieden die
Interessen der verschiednen Gruppen von Landwirten und wie unvereinbar
die Ansprüche sind, die sie an den Staat erheben, und daß es nicht angeht,
dem Interesse einer einzelnen Gruppe das aller übrigen zu opfern, hat soeben
wieder Prinz Ludwig von Baiern bei Eröffnung der Wanderversammlung
deutscher Landwirtschaftsgesellschaften zu München hervorgehoben. Am meisten
aber hat mau sich gerade vor den ostelbischen Großgrundbesitzern zu hüten,
die den Vundeslärm in Szene gesetzt haben. Gerade sie sind es, die in frühern
Jahrhunderten an der Zerstörung des Bauernstandes und des ländlichen Ge¬
meindelebens gearbeitet haben, die in unsern Tagen allen Bemühungen der
preußischen Negierung, dieses Gemeindeleben einigermaßen wiederherzustellen,


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[0599] Die Verschuldung des ländliche» Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen zwischen dem werbenden Geldkapital und der Art und Weise, wie der Boden seine Früchte bringt. Dort ist der Kapitalismus die Grundlage, hier die bäuerliche Arbeit; dort ist die Erzielung hoher Gewinne der Zweck, hier die Hebung des Bauernstandes; dort ist ein hoher Ertrag des Bankgeschäfts die Hauptsache, hier die Hilfe für den Bauer." Jäger hofft, daß es dieser genossenschaftlichen Arbeit mit der Zeit ge¬ lingen werde, die vom Absolutismus, von der Büreaukratie und vom Kapi¬ talismus zerstörte lebenskräftige Bauerngemeinde früherer Zeiten wiederherzu¬ stellen. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, erscheint der Bund der Landwirte, den Jäger übrigens nicht erwähnt, als ein geradezu frevelhaftes Beginnen. Von diesen Anfängen verständiger Selbsthilfe und einer stillen Organisationsthätigkeit, die zur Wiedergeburt altdeutschen Gemeiudelebens sichren kann, will der Bund die Bauern abziehen und durch die Aussicht auf Staatshilfe, d. h. auf Geschenke aus den Taschen solcher städtischer Steuer¬ zahler, die an der Bewucherung der Bauern ganz unschuldig sind, verlocken, sich vor seineu Wagen spannen zu lassen. Mit betäubendem demagogischen Lärm, mit .Klagen über die „Not der Landwirtschaft," aber jede sachliche Er¬ örterung sorgfältig vermeidend, null er mit Hilfe der bethörten Bauern eine Geldverschlechterung, hohe landwirtschaftliche Zölle und allerlei Steuervergün¬ stigungen, sowie die Zurückführung der ländlichen Arbeiter in eine wenn nicht gesetzliche so doch thatsächliche Leibeigenschaft durchsetzen, lauter Dinge, die nur ihm, d. h. den ostelbischen Großgrundbesitzern, nicht aber dem Bauernstande nützen, den Kleinbauern, die die Mehrzahl bilden, geradezu verderblich sind, und nicht einmal durchweg den Wünschen der allerdings nicht sehr zahlreichen Großgrundbesitzer West- und Süddeutschlands entsprechen. Der kleine Bauer verkauft kein Getreide, sondern muß selber Brot kaufen und Körner als Vieh¬ futter, er braucht also gleich dem Städter nicht hohe, sondern niedrige Getreide¬ preise. Ihm liegt uur nu lohnenden Preisen für Fleisch, Milch und Butter, und die sind, um den Arbcitslöhueu und Benmteugehalten gemessen, gerade hoch genug. Außerdem kommen für ihn die Preise von Gemüse, Wein, Tabak, Hopfen, Hanf und andern Handelsgewächsen in Betracht. Wie verschieden die Interessen der verschiednen Gruppen von Landwirten und wie unvereinbar die Ansprüche sind, die sie an den Staat erheben, und daß es nicht angeht, dem Interesse einer einzelnen Gruppe das aller übrigen zu opfern, hat soeben wieder Prinz Ludwig von Baiern bei Eröffnung der Wanderversammlung deutscher Landwirtschaftsgesellschaften zu München hervorgehoben. Am meisten aber hat mau sich gerade vor den ostelbischen Großgrundbesitzern zu hüten, die den Vundeslärm in Szene gesetzt haben. Gerade sie sind es, die in frühern Jahrhunderten an der Zerstörung des Bauernstandes und des ländlichen Ge¬ meindelebens gearbeitet haben, die in unsern Tagen allen Bemühungen der preußischen Negierung, dieses Gemeindeleben einigermaßen wiederherzustellen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/599>, abgerufen am 23.07.2024.