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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen

nicht wenige Bauern selbst Geld auf Hypotheken ausleihen. Weiß man doch ferner,
daß die Bauern abgezahlte Hypotheken oft nicht löschen lassen, um verschul¬
deter zu erscheinen, als sie in Wirklichkeit sind. Ob wohl bei Berechnung jener
883 Millionen Mark die abgezahlten, aber nicht gelöschten Hypotheken ab¬
gezogen worden sein mögen? Endlich weiß man drittens, daß der Käufer
eines Gutes aus verschiednen Gründen auch dann einige Hypotheken darauf
stehen zu lassen pflegt, wenn er das ganze Kaufgeld in den Händen hat. In
noch größerm Maßstabe als bei uns scheint -- zur Umgehung der hohen
Steuern -- diese Praxis in der Schweiz geübt zu werden. Professor Platter
sagt darüber (Deutsche Worte, S. 199): "Wenn unter solchen Umständen, wie
sie im Kanton Zürich durch das Steuergesetz gegeben sind, ein Mann, der
ein Landgut kaufen will, so viel Geld hat, daß er es bar bezahlen könnte, so
wird er nicht einfach den ganzen Kaufpreis erlegen und infolge dessen für sein
ganzes schönes Vermögen 10 pro Mille an Vermögenssteuer bezahlen, d. h.
bei einem Zinsfuß von 4 Prozent eine Einkommensteuer von 25 Prozent;
sondern er wird seine Bescheidenheit dadurch erweisen, daß er, als wäre er
ein armer Teufel, sich mit einer mäßigen Anzahlung begnügt, den größern
Rest seines Vermögens aber in guten sichern Papieren anlegt," von denen die
Steuerkommissivn nichts erführe. Im Kanton Se. Gallen, führt Platter an,
ist das Gebäudeversichernngskapital um 84 Millionen höher angesetzt als das
gesamte Steuerkapital. "Die armen Se. Galler besitzen also nicht einmal ihre
Häuser vollständig. Der gesamte Grund und Boden, das ganze landwirtschaft¬
liche, industrielle und kaufmännische Kapital im Kanton gehört offenbar irgend¬
welchen auswärts wohnenden Fremden. Seltsam ist, daß man dem frischen
und tüchtigen Volke diese Not gar nicht ansieht!"

Zweitens wäre zu untersuchen, ob nicht die Zunahme der Verschuldung
um 1500 Millionen in zehn Jahren oder um 150 Millionen in einem Jahre
unvermeidlich und uur eben angemessen ist. Daß bei einem Volke, das seinen
Grund und Boden aufgeteilt hat, und dem weder ungelenker Gau- und Ge¬
meindeacker noch Kolonialland zur Verfügung steht, der Grundbesitz alljährlich
mit neuen Hypotheken belastet werden muß, ist klar. Die Notwendigkeit leuchtet
von beiden Seiten her ein, von Seiten der ländlichen wie von Seiten der
städtischen Zustände. Auf dem Lande sind alljährlich Erbteiluugen nötig, und
der Ertrag der Grundstücke müßte geradezu enorm sein, wenn die Geschwister
des Anerben immer und überall aus den Ersparnissen des Vaters abgefunden
werden könnten; nur bei Magnateubesitz, der ohne Schwierigkeit in inoui.
geteilt werden kann, läßt sich die Erbteilung ganz leicht ohne Aufnahme neuer
Hypotheken durchführen. Für die städtische Bevölkerung aber bleiben Hypo¬
theken auf den ländlichen Grundbesitz die einzige sichere Kapitalanlage. Nur
die Eisenbahnen kommen dem Grundbesitz einigermaßen nahe; was die Staats¬
schuldscheine anlangt, so erscheinen sie vor der Hand wohl ganz sicher, sind eS


Grenzboten U 1L93 74
Die Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen

nicht wenige Bauern selbst Geld auf Hypotheken ausleihen. Weiß man doch ferner,
daß die Bauern abgezahlte Hypotheken oft nicht löschen lassen, um verschul¬
deter zu erscheinen, als sie in Wirklichkeit sind. Ob wohl bei Berechnung jener
883 Millionen Mark die abgezahlten, aber nicht gelöschten Hypotheken ab¬
gezogen worden sein mögen? Endlich weiß man drittens, daß der Käufer
eines Gutes aus verschiednen Gründen auch dann einige Hypotheken darauf
stehen zu lassen pflegt, wenn er das ganze Kaufgeld in den Händen hat. In
noch größerm Maßstabe als bei uns scheint — zur Umgehung der hohen
Steuern — diese Praxis in der Schweiz geübt zu werden. Professor Platter
sagt darüber (Deutsche Worte, S. 199): „Wenn unter solchen Umständen, wie
sie im Kanton Zürich durch das Steuergesetz gegeben sind, ein Mann, der
ein Landgut kaufen will, so viel Geld hat, daß er es bar bezahlen könnte, so
wird er nicht einfach den ganzen Kaufpreis erlegen und infolge dessen für sein
ganzes schönes Vermögen 10 pro Mille an Vermögenssteuer bezahlen, d. h.
bei einem Zinsfuß von 4 Prozent eine Einkommensteuer von 25 Prozent;
sondern er wird seine Bescheidenheit dadurch erweisen, daß er, als wäre er
ein armer Teufel, sich mit einer mäßigen Anzahlung begnügt, den größern
Rest seines Vermögens aber in guten sichern Papieren anlegt," von denen die
Steuerkommissivn nichts erführe. Im Kanton Se. Gallen, führt Platter an,
ist das Gebäudeversichernngskapital um 84 Millionen höher angesetzt als das
gesamte Steuerkapital. „Die armen Se. Galler besitzen also nicht einmal ihre
Häuser vollständig. Der gesamte Grund und Boden, das ganze landwirtschaft¬
liche, industrielle und kaufmännische Kapital im Kanton gehört offenbar irgend¬
welchen auswärts wohnenden Fremden. Seltsam ist, daß man dem frischen
und tüchtigen Volke diese Not gar nicht ansieht!"

Zweitens wäre zu untersuchen, ob nicht die Zunahme der Verschuldung
um 1500 Millionen in zehn Jahren oder um 150 Millionen in einem Jahre
unvermeidlich und uur eben angemessen ist. Daß bei einem Volke, das seinen
Grund und Boden aufgeteilt hat, und dem weder ungelenker Gau- und Ge¬
meindeacker noch Kolonialland zur Verfügung steht, der Grundbesitz alljährlich
mit neuen Hypotheken belastet werden muß, ist klar. Die Notwendigkeit leuchtet
von beiden Seiten her ein, von Seiten der ländlichen wie von Seiten der
städtischen Zustände. Auf dem Lande sind alljährlich Erbteiluugen nötig, und
der Ertrag der Grundstücke müßte geradezu enorm sein, wenn die Geschwister
des Anerben immer und überall aus den Ersparnissen des Vaters abgefunden
werden könnten; nur bei Magnateubesitz, der ohne Schwierigkeit in inoui.
geteilt werden kann, läßt sich die Erbteilung ganz leicht ohne Aufnahme neuer
Hypotheken durchführen. Für die städtische Bevölkerung aber bleiben Hypo¬
theken auf den ländlichen Grundbesitz die einzige sichere Kapitalanlage. Nur
die Eisenbahnen kommen dem Grundbesitz einigermaßen nahe; was die Staats¬
schuldscheine anlangt, so erscheinen sie vor der Hand wohl ganz sicher, sind eS


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[0594] Die Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen nicht wenige Bauern selbst Geld auf Hypotheken ausleihen. Weiß man doch ferner, daß die Bauern abgezahlte Hypotheken oft nicht löschen lassen, um verschul¬ deter zu erscheinen, als sie in Wirklichkeit sind. Ob wohl bei Berechnung jener 883 Millionen Mark die abgezahlten, aber nicht gelöschten Hypotheken ab¬ gezogen worden sein mögen? Endlich weiß man drittens, daß der Käufer eines Gutes aus verschiednen Gründen auch dann einige Hypotheken darauf stehen zu lassen pflegt, wenn er das ganze Kaufgeld in den Händen hat. In noch größerm Maßstabe als bei uns scheint — zur Umgehung der hohen Steuern — diese Praxis in der Schweiz geübt zu werden. Professor Platter sagt darüber (Deutsche Worte, S. 199): „Wenn unter solchen Umständen, wie sie im Kanton Zürich durch das Steuergesetz gegeben sind, ein Mann, der ein Landgut kaufen will, so viel Geld hat, daß er es bar bezahlen könnte, so wird er nicht einfach den ganzen Kaufpreis erlegen und infolge dessen für sein ganzes schönes Vermögen 10 pro Mille an Vermögenssteuer bezahlen, d. h. bei einem Zinsfuß von 4 Prozent eine Einkommensteuer von 25 Prozent; sondern er wird seine Bescheidenheit dadurch erweisen, daß er, als wäre er ein armer Teufel, sich mit einer mäßigen Anzahlung begnügt, den größern Rest seines Vermögens aber in guten sichern Papieren anlegt," von denen die Steuerkommissivn nichts erführe. Im Kanton Se. Gallen, führt Platter an, ist das Gebäudeversichernngskapital um 84 Millionen höher angesetzt als das gesamte Steuerkapital. „Die armen Se. Galler besitzen also nicht einmal ihre Häuser vollständig. Der gesamte Grund und Boden, das ganze landwirtschaft¬ liche, industrielle und kaufmännische Kapital im Kanton gehört offenbar irgend¬ welchen auswärts wohnenden Fremden. Seltsam ist, daß man dem frischen und tüchtigen Volke diese Not gar nicht ansieht!" Zweitens wäre zu untersuchen, ob nicht die Zunahme der Verschuldung um 1500 Millionen in zehn Jahren oder um 150 Millionen in einem Jahre unvermeidlich und uur eben angemessen ist. Daß bei einem Volke, das seinen Grund und Boden aufgeteilt hat, und dem weder ungelenker Gau- und Ge¬ meindeacker noch Kolonialland zur Verfügung steht, der Grundbesitz alljährlich mit neuen Hypotheken belastet werden muß, ist klar. Die Notwendigkeit leuchtet von beiden Seiten her ein, von Seiten der ländlichen wie von Seiten der städtischen Zustände. Auf dem Lande sind alljährlich Erbteiluugen nötig, und der Ertrag der Grundstücke müßte geradezu enorm sein, wenn die Geschwister des Anerben immer und überall aus den Ersparnissen des Vaters abgefunden werden könnten; nur bei Magnateubesitz, der ohne Schwierigkeit in inoui. geteilt werden kann, läßt sich die Erbteilung ganz leicht ohne Aufnahme neuer Hypotheken durchführen. Für die städtische Bevölkerung aber bleiben Hypo¬ theken auf den ländlichen Grundbesitz die einzige sichere Kapitalanlage. Nur die Eisenbahnen kommen dem Grundbesitz einigermaßen nahe; was die Staats¬ schuldscheine anlangt, so erscheinen sie vor der Hand wohl ganz sicher, sind eS Grenzboten U 1L93 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/594>, abgerufen am 23.07.2024.