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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Zweijährige und einjährige Dienstpflicht

leiten die einjährige Dienstzeit ermöglicht würde. Das mag als Utopie er¬
scheinen, mir aber, dem leider so viel unfreiwillige Muße darüber nachzudenken
gelassen ist, will dieses Ziel dennoch nicht unerreichbar dünken. Die Beweis¬
mittel dafür noch kennen zu lernen, wird dem Leser, der mir bis hierher ge¬
folgt ist, wohl nicht unangenehm sein; doch kann ich sie mit Rücksicht ans
den Raum hier nur in groben Zügen andeuten.

Daß unsre Militärkvsten geringer werden, wenn die ganz überwiegende
Mehrzahl aller Dienstpflichtigen nur für ein Jahr oder mit Einschluß aller
Reserve- und Landwehrübungen anderthalb Jahre zu unterhalten ist (der Rest
dagegen drei oder in Abstufungen zwei und drei Jahre), wird mau wohl als
möglich zugeben. Aber die Kunst ist die, jener Mehrzahl die Gelegenheit zu
verschaffen, eine zur einjährigen Dienstzeit berechtigende Bildung zu erwerben.

Zunächst fragt sichs nun da, ob die gegenwärtigen Bedingungen der
Qualifikation zum einjährigen Dienste streng zu wahren und vielleicht noch zu
steigern sind, oder ob sie um etwas, wenn auch nur um ein Geringes, ermäßigt
werden können. Die Beantwortung dieser Fragen hängt davon ab, ob dieses
Dienstverhältnis wie bisher eigentlich nur dazu da ist, Offiziersaspiranten aus¬
zubilden, oder ob man das niederere Ziel der Ausbildung des Gemeinen be¬
zweckt. Die Thatsache, daß seither diese kurze Dienstzeit genügt hat, die über¬
wiegende Mehrzahl der Dienenden mit der Offiziersqualifikation oder wenigstens
mit der zum Unteroffizier auszurüsten (die Entlassung Einjährigfreiwilliger
als einfacher Gemeiner gehört ja zu den seltnen Fällen), erscheint mir Beweis
genug für die Möglichkeit, in derselben Zeit Rekruten, die mit einer etwas
geringern Summe von Kenntnissen ausgestattet sind, zu tüchtigen gemeinen
Soldaten auszubilden.

Es würde also die Aufgabe sein, der Jugend in den Fortbildungsklassen
der Volksschule den Zugang zu dem vorgeschriebnen Bildungsgrade (ohne
fremdsprachige Kenntnisse) zu ermöglichen. Dies dürfte allerdings wohl nur
dann gelingen, schon um die Fortbildungsklasseu für Schüler von: vollendete"
dreizehnten bis zum sechzehnten Jahre, die außer der Schule schon ihr Hand¬
werk lernen, in Parallelklassen je nach passenden Tages- und Jahreszeiten
("Saisons") teilen zu können, wenn man sehr große Schulgemeinden bildet,
innerhalb deren kleinere Bezirke für die "Volksschule" (Schüler vom voll¬
endeten neunten bis zum dreizehnten Lebensjahre) und noch kleinere für die
Vorschulen abgegrenzt werden. Diesen Schulgemeinden möge der sachliche
Aufwand und der Lokalservis zur Last fallen, während die Lehrerbesvldungen
nach meiner aus sehr verschiedenartigen Gründen gewonnenen Überzeugung
besser vom Staate zu tragen wären. Daß sich dann manche Schulgemeinde
über mehrere Quadratmeilen erstrecken würde, ist zwar ein Übelstand, der aber
doch zu ertragen wäre; man blicke nur zum Vergleich einmal nach dem dünn
bevölkerten Norwegen, wo ich z. B. in dem viele Quadratmeilen großen Kirch-


Zweijährige und einjährige Dienstpflicht

leiten die einjährige Dienstzeit ermöglicht würde. Das mag als Utopie er¬
scheinen, mir aber, dem leider so viel unfreiwillige Muße darüber nachzudenken
gelassen ist, will dieses Ziel dennoch nicht unerreichbar dünken. Die Beweis¬
mittel dafür noch kennen zu lernen, wird dem Leser, der mir bis hierher ge¬
folgt ist, wohl nicht unangenehm sein; doch kann ich sie mit Rücksicht ans
den Raum hier nur in groben Zügen andeuten.

Daß unsre Militärkvsten geringer werden, wenn die ganz überwiegende
Mehrzahl aller Dienstpflichtigen nur für ein Jahr oder mit Einschluß aller
Reserve- und Landwehrübungen anderthalb Jahre zu unterhalten ist (der Rest
dagegen drei oder in Abstufungen zwei und drei Jahre), wird mau wohl als
möglich zugeben. Aber die Kunst ist die, jener Mehrzahl die Gelegenheit zu
verschaffen, eine zur einjährigen Dienstzeit berechtigende Bildung zu erwerben.

Zunächst fragt sichs nun da, ob die gegenwärtigen Bedingungen der
Qualifikation zum einjährigen Dienste streng zu wahren und vielleicht noch zu
steigern sind, oder ob sie um etwas, wenn auch nur um ein Geringes, ermäßigt
werden können. Die Beantwortung dieser Fragen hängt davon ab, ob dieses
Dienstverhältnis wie bisher eigentlich nur dazu da ist, Offiziersaspiranten aus¬
zubilden, oder ob man das niederere Ziel der Ausbildung des Gemeinen be¬
zweckt. Die Thatsache, daß seither diese kurze Dienstzeit genügt hat, die über¬
wiegende Mehrzahl der Dienenden mit der Offiziersqualifikation oder wenigstens
mit der zum Unteroffizier auszurüsten (die Entlassung Einjährigfreiwilliger
als einfacher Gemeiner gehört ja zu den seltnen Fällen), erscheint mir Beweis
genug für die Möglichkeit, in derselben Zeit Rekruten, die mit einer etwas
geringern Summe von Kenntnissen ausgestattet sind, zu tüchtigen gemeinen
Soldaten auszubilden.

Es würde also die Aufgabe sein, der Jugend in den Fortbildungsklassen
der Volksschule den Zugang zu dem vorgeschriebnen Bildungsgrade (ohne
fremdsprachige Kenntnisse) zu ermöglichen. Dies dürfte allerdings wohl nur
dann gelingen, schon um die Fortbildungsklasseu für Schüler von: vollendete»
dreizehnten bis zum sechzehnten Jahre, die außer der Schule schon ihr Hand¬
werk lernen, in Parallelklassen je nach passenden Tages- und Jahreszeiten
(„Saisons") teilen zu können, wenn man sehr große Schulgemeinden bildet,
innerhalb deren kleinere Bezirke für die „Volksschule" (Schüler vom voll¬
endeten neunten bis zum dreizehnten Lebensjahre) und noch kleinere für die
Vorschulen abgegrenzt werden. Diesen Schulgemeinden möge der sachliche
Aufwand und der Lokalservis zur Last fallen, während die Lehrerbesvldungen
nach meiner aus sehr verschiedenartigen Gründen gewonnenen Überzeugung
besser vom Staate zu tragen wären. Daß sich dann manche Schulgemeinde
über mehrere Quadratmeilen erstrecken würde, ist zwar ein Übelstand, der aber
doch zu ertragen wäre; man blicke nur zum Vergleich einmal nach dem dünn
bevölkerten Norwegen, wo ich z. B. in dem viele Quadratmeilen großen Kirch-


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[0591] Zweijährige und einjährige Dienstpflicht leiten die einjährige Dienstzeit ermöglicht würde. Das mag als Utopie er¬ scheinen, mir aber, dem leider so viel unfreiwillige Muße darüber nachzudenken gelassen ist, will dieses Ziel dennoch nicht unerreichbar dünken. Die Beweis¬ mittel dafür noch kennen zu lernen, wird dem Leser, der mir bis hierher ge¬ folgt ist, wohl nicht unangenehm sein; doch kann ich sie mit Rücksicht ans den Raum hier nur in groben Zügen andeuten. Daß unsre Militärkvsten geringer werden, wenn die ganz überwiegende Mehrzahl aller Dienstpflichtigen nur für ein Jahr oder mit Einschluß aller Reserve- und Landwehrübungen anderthalb Jahre zu unterhalten ist (der Rest dagegen drei oder in Abstufungen zwei und drei Jahre), wird mau wohl als möglich zugeben. Aber die Kunst ist die, jener Mehrzahl die Gelegenheit zu verschaffen, eine zur einjährigen Dienstzeit berechtigende Bildung zu erwerben. Zunächst fragt sichs nun da, ob die gegenwärtigen Bedingungen der Qualifikation zum einjährigen Dienste streng zu wahren und vielleicht noch zu steigern sind, oder ob sie um etwas, wenn auch nur um ein Geringes, ermäßigt werden können. Die Beantwortung dieser Fragen hängt davon ab, ob dieses Dienstverhältnis wie bisher eigentlich nur dazu da ist, Offiziersaspiranten aus¬ zubilden, oder ob man das niederere Ziel der Ausbildung des Gemeinen be¬ zweckt. Die Thatsache, daß seither diese kurze Dienstzeit genügt hat, die über¬ wiegende Mehrzahl der Dienenden mit der Offiziersqualifikation oder wenigstens mit der zum Unteroffizier auszurüsten (die Entlassung Einjährigfreiwilliger als einfacher Gemeiner gehört ja zu den seltnen Fällen), erscheint mir Beweis genug für die Möglichkeit, in derselben Zeit Rekruten, die mit einer etwas geringern Summe von Kenntnissen ausgestattet sind, zu tüchtigen gemeinen Soldaten auszubilden. Es würde also die Aufgabe sein, der Jugend in den Fortbildungsklassen der Volksschule den Zugang zu dem vorgeschriebnen Bildungsgrade (ohne fremdsprachige Kenntnisse) zu ermöglichen. Dies dürfte allerdings wohl nur dann gelingen, schon um die Fortbildungsklasseu für Schüler von: vollendete» dreizehnten bis zum sechzehnten Jahre, die außer der Schule schon ihr Hand¬ werk lernen, in Parallelklassen je nach passenden Tages- und Jahreszeiten („Saisons") teilen zu können, wenn man sehr große Schulgemeinden bildet, innerhalb deren kleinere Bezirke für die „Volksschule" (Schüler vom voll¬ endeten neunten bis zum dreizehnten Lebensjahre) und noch kleinere für die Vorschulen abgegrenzt werden. Diesen Schulgemeinden möge der sachliche Aufwand und der Lokalservis zur Last fallen, während die Lehrerbesvldungen nach meiner aus sehr verschiedenartigen Gründen gewonnenen Überzeugung besser vom Staate zu tragen wären. Daß sich dann manche Schulgemeinde über mehrere Quadratmeilen erstrecken würde, ist zwar ein Übelstand, der aber doch zu ertragen wäre; man blicke nur zum Vergleich einmal nach dem dünn bevölkerten Norwegen, wo ich z. B. in dem viele Quadratmeilen großen Kirch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/591>, abgerufen am 23.07.2024.