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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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unser unvergeßlicher Kaiser Wilhelm I. und seine Räte scheuten bekannt¬
lich bei der Heeresrevrganisntivu nicht den Konflikt mit der Volksvertretung,
die eine nur zweijährige Dienstzeit verlangte, und in militärischen Kreisen fand
dieses starre Festhalten an der dreijährigen Dienstpflicht sehr wenig Wider¬
spruch, nicht etwa nur aus Ergebenheitsgefühl gegen höhere Weisheit, sondern
aus eigner Überzeugung. Wer jemals mit Rekruten ans Landesteilen mit
zurückgebliebner Kultur zu thun gehabt hatte, mußte drei Jahre für die geringste
Ausbildungszeit erklären, um sie zu Soldaten zu machen, die allen Anforde¬
rungen entsprachen. Noch schwierigere Aufgaben stellten die Rekruten polnischer
Zunge, die zunächst deutsch lernen mußten. Bei diesen geistig schwerfälligen
Leuten konnte die Ausbildung nur mechanisch sein, solcher Drill verlangte aber
andauernde Übung, also längere Zeit. Daß andrerseits die dreijährige Dienst¬
pflicht für intelligentere Soldaten eine unnötige Belästigung war, und daß
viele mit der Zeit deshalb lässiger wurden, also an Wert einbüßten, war als
Übelstand anerkannt, dem man nach zweijährigem Dienst durch Entlassung auf
Reklamation wegen häuslicher Verhältnisse sowie durch längere Beurlaubung
zu begegnen suchte; und nach amtlichen Mitteilungen ist man ja mit solchem
Urlaub, der allerdings seiner unsichern Dauer wegen zur Verfolgung be¬
stimmter Lebenspläne nicht genügt, in den letzten Jahren sogar sehr freigebig
gewesen.

Wenn nun jetzt der Kriegsherr und seine Räte trotzdem erklären, bei der
verlangten Heeresvermehrung der Ersparnis wegen für die Fußtruppen die
zweijährige Dienstzeit in den Kauf nehmen zu wollen, so ist das doch wohl
nicht so aufzufassen, daß der erste deutsche Kaiser von seinem Enkel und Nach¬
folger der Ungerechtigkeit oder Unbilligkeit geziehen werden soll; ich lege mir
diesen Verzicht vielmehr dahin aus: man hat an höchster Stelle die Über¬
zeugung gewonnen, es habe sich inzwischen einerseits das Rekrutenmaterial,
andrerseits die Ausbildungsmethode und vielleicht auch das Jnstruktionspersonal
so gebessert, daß man mit Aussicht auf befriedigenden Erfolg einen größern
Versuch mit der zweijährigen Dienstzeit machen dürfe.

Sieht man nun, wie sich die meisten politischen Parteien auf das bedingte
Angebot stürzen, um zunächst die zweijährige Dienstpflicht durch Gesetz "fest¬
zunageln," so wird man unwillkürlich an die liberalen Helden der Konflikts¬
zeit erinnert, die wir in jugendlichem Enthusiasmus anstaunten und bewun¬
derten; aber dabei taucht doch auch die Frage auf, wie viel denn unsre Volks¬
vertreter von jenen gelernt haben, und ob eine dreißigjährige Ausbildungszeit
wohl für den parlamentarischen Politiker genüge. Denn wohlwollende Kritiker
und auch solche, die damals selbst oppositionell mitwirkten, haben es inzwischen
offen zugestanden oder geben es wenigstens zwischen den Zeilen zu verstehen,
daß der damalige Streitpunkt als eine im Grunde rein militärtechnische Frage
recht unglücklich gewählt gewesen sei und dieses Ungeschick sich nur mit der


unser unvergeßlicher Kaiser Wilhelm I. und seine Räte scheuten bekannt¬
lich bei der Heeresrevrganisntivu nicht den Konflikt mit der Volksvertretung,
die eine nur zweijährige Dienstzeit verlangte, und in militärischen Kreisen fand
dieses starre Festhalten an der dreijährigen Dienstpflicht sehr wenig Wider¬
spruch, nicht etwa nur aus Ergebenheitsgefühl gegen höhere Weisheit, sondern
aus eigner Überzeugung. Wer jemals mit Rekruten ans Landesteilen mit
zurückgebliebner Kultur zu thun gehabt hatte, mußte drei Jahre für die geringste
Ausbildungszeit erklären, um sie zu Soldaten zu machen, die allen Anforde¬
rungen entsprachen. Noch schwierigere Aufgaben stellten die Rekruten polnischer
Zunge, die zunächst deutsch lernen mußten. Bei diesen geistig schwerfälligen
Leuten konnte die Ausbildung nur mechanisch sein, solcher Drill verlangte aber
andauernde Übung, also längere Zeit. Daß andrerseits die dreijährige Dienst¬
pflicht für intelligentere Soldaten eine unnötige Belästigung war, und daß
viele mit der Zeit deshalb lässiger wurden, also an Wert einbüßten, war als
Übelstand anerkannt, dem man nach zweijährigem Dienst durch Entlassung auf
Reklamation wegen häuslicher Verhältnisse sowie durch längere Beurlaubung
zu begegnen suchte; und nach amtlichen Mitteilungen ist man ja mit solchem
Urlaub, der allerdings seiner unsichern Dauer wegen zur Verfolgung be¬
stimmter Lebenspläne nicht genügt, in den letzten Jahren sogar sehr freigebig
gewesen.

Wenn nun jetzt der Kriegsherr und seine Räte trotzdem erklären, bei der
verlangten Heeresvermehrung der Ersparnis wegen für die Fußtruppen die
zweijährige Dienstzeit in den Kauf nehmen zu wollen, so ist das doch wohl
nicht so aufzufassen, daß der erste deutsche Kaiser von seinem Enkel und Nach¬
folger der Ungerechtigkeit oder Unbilligkeit geziehen werden soll; ich lege mir
diesen Verzicht vielmehr dahin aus: man hat an höchster Stelle die Über¬
zeugung gewonnen, es habe sich inzwischen einerseits das Rekrutenmaterial,
andrerseits die Ausbildungsmethode und vielleicht auch das Jnstruktionspersonal
so gebessert, daß man mit Aussicht auf befriedigenden Erfolg einen größern
Versuch mit der zweijährigen Dienstzeit machen dürfe.

Sieht man nun, wie sich die meisten politischen Parteien auf das bedingte
Angebot stürzen, um zunächst die zweijährige Dienstpflicht durch Gesetz „fest¬
zunageln," so wird man unwillkürlich an die liberalen Helden der Konflikts¬
zeit erinnert, die wir in jugendlichem Enthusiasmus anstaunten und bewun¬
derten; aber dabei taucht doch auch die Frage auf, wie viel denn unsre Volks¬
vertreter von jenen gelernt haben, und ob eine dreißigjährige Ausbildungszeit
wohl für den parlamentarischen Politiker genüge. Denn wohlwollende Kritiker
und auch solche, die damals selbst oppositionell mitwirkten, haben es inzwischen
offen zugestanden oder geben es wenigstens zwischen den Zeilen zu verstehen,
daß der damalige Streitpunkt als eine im Grunde rein militärtechnische Frage
recht unglücklich gewählt gewesen sei und dieses Ungeschick sich nur mit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/587>, abgerufen am 23.07.2024.