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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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wo stehn die Wolken?

vasivn zu widerstehen. Sein Heer, sein Kriegsmaterial, seine Befestigungen,
alles war neu zu schaffen. Der Sieger ließ Frankreich seine Abhängigkeit
fühlen. Zu wiederholten malen mußte es einen neuen Einbruch des Feindes
fürchten. Im Jahre 1875 ging das Gerücht, Herr von Bismarck finde sein
Wiedererstehen zu rasch, die Bezahlung der Kriegsentschädigung zu leicht, er
wolle daher aufs neue losbrechen und Frankreichs Wiederaufleben auf ein
halbes Jahrhundert unmöglich machen. Nur das Dazwischentreten des Zaren,
so sagte man, habe die Verwirklichung dieses Planes verhindert. Aller Augen¬
blicke, für nichts und wider nichts, führte die vom Reichskanzler anerkannter¬
maßen inspirirte Presse eine drohende Sprache. Wenn Herr von Bismarck
vom Reichstag Militürgesetze oder Steuern verlangte oder die Wahlen zu beein¬
flussen suchte, wurde der Lärm geradezu betäubend. Es hatte den Anschein,
Europa müsse in Feuer und Flammen aufgehen. Im Jahre 1889 srcigte man
sich in Frankreich bis zum letzten Augenblick, ob Fürst Bismarck nicht mit
einem Kriege dazwischenfahren würde, um die Eröffnung der Ausstellung, deren
Beschickung er abgelehnt hatte, zu verhindern. Vergegenwärtigt man sich noch
die Anwesenheit vieler Elsüsser und Lothringer, die ihr engeres Vaterland
verloren hatten, sowie die in den cmnektirten Ländern getroffnen Zwangs-
maßregeln, die alle in den französischen Herzen schmerzlich nachtönen mußten,
so wird man die Gemütsverfassung, die sich gebildet hatte, begreifen." Die
Deutschen hätten diesen Zustand des Vcmgens leicht nachempfinden können,
denn er glich dem, in den sie der Beginn der Regierung Napoleons III. ver¬
setzt hatte. Und doch hatten sie damals nur Befürchtungen zu hegen, während
die Franzosen die Schmach ihrer Niederlagen mittrugen. Als sich nun Deutsch¬
land durch eigne Schuld von Nußland verlassen sah und den Dreibund
gründete, änderte es seine Politik gegenüber Frankreich nicht, sondern man
behauptete sogar, Bismarck habe im Sinne gehabt, Crispi zum Friedensbruch
zu verleiten, um über Frankreich als Italiens Alliirten herfallen zu können.
"War das eine Verleumdung? Es ist das anzunehmen, aber man konnte
Bismarck gar vieles zuschieben, und die erzielten Wirkungen waren so, wie
wenn alles die reine Wahrheit gewesen wäre. So begreift man einerseits den
handelspolitischen Bruch, der für Italien so verderbenbringend war, andrer¬
seits den Haß, den die Franzosen dem Dreibund geschworen haben." Die
weitere Folge war Frankreichs Annäherung an Rußland -- alles die Früchte
der Politik Bismarcks, die nur Mißtrauen säete. Selbst daß sich Frankreich
einem Boulanger an den Hals warf, ist nur darauf zurückzuführen. Jetzt ist
der Zar als die Idee und der Mann, dem man folgen kann, an die Stelle
getreten. Darüber, daß Frankreich und Rußland nur durch den Wunsch zu¬
sammengeführt wurden, das Reich zu erniedrigen oder zu sprengen, zweifelt
niemand. Diese Verbindung ist aber für Frankreich nicht so vorteilhaft wie
für Nußland, und wenn es für Frankreich die Erreichung aller Wünsche brächte,


wo stehn die Wolken?

vasivn zu widerstehen. Sein Heer, sein Kriegsmaterial, seine Befestigungen,
alles war neu zu schaffen. Der Sieger ließ Frankreich seine Abhängigkeit
fühlen. Zu wiederholten malen mußte es einen neuen Einbruch des Feindes
fürchten. Im Jahre 1875 ging das Gerücht, Herr von Bismarck finde sein
Wiedererstehen zu rasch, die Bezahlung der Kriegsentschädigung zu leicht, er
wolle daher aufs neue losbrechen und Frankreichs Wiederaufleben auf ein
halbes Jahrhundert unmöglich machen. Nur das Dazwischentreten des Zaren,
so sagte man, habe die Verwirklichung dieses Planes verhindert. Aller Augen¬
blicke, für nichts und wider nichts, führte die vom Reichskanzler anerkannter¬
maßen inspirirte Presse eine drohende Sprache. Wenn Herr von Bismarck
vom Reichstag Militürgesetze oder Steuern verlangte oder die Wahlen zu beein¬
flussen suchte, wurde der Lärm geradezu betäubend. Es hatte den Anschein,
Europa müsse in Feuer und Flammen aufgehen. Im Jahre 1889 srcigte man
sich in Frankreich bis zum letzten Augenblick, ob Fürst Bismarck nicht mit
einem Kriege dazwischenfahren würde, um die Eröffnung der Ausstellung, deren
Beschickung er abgelehnt hatte, zu verhindern. Vergegenwärtigt man sich noch
die Anwesenheit vieler Elsüsser und Lothringer, die ihr engeres Vaterland
verloren hatten, sowie die in den cmnektirten Ländern getroffnen Zwangs-
maßregeln, die alle in den französischen Herzen schmerzlich nachtönen mußten,
so wird man die Gemütsverfassung, die sich gebildet hatte, begreifen." Die
Deutschen hätten diesen Zustand des Vcmgens leicht nachempfinden können,
denn er glich dem, in den sie der Beginn der Regierung Napoleons III. ver¬
setzt hatte. Und doch hatten sie damals nur Befürchtungen zu hegen, während
die Franzosen die Schmach ihrer Niederlagen mittrugen. Als sich nun Deutsch¬
land durch eigne Schuld von Nußland verlassen sah und den Dreibund
gründete, änderte es seine Politik gegenüber Frankreich nicht, sondern man
behauptete sogar, Bismarck habe im Sinne gehabt, Crispi zum Friedensbruch
zu verleiten, um über Frankreich als Italiens Alliirten herfallen zu können.
„War das eine Verleumdung? Es ist das anzunehmen, aber man konnte
Bismarck gar vieles zuschieben, und die erzielten Wirkungen waren so, wie
wenn alles die reine Wahrheit gewesen wäre. So begreift man einerseits den
handelspolitischen Bruch, der für Italien so verderbenbringend war, andrer¬
seits den Haß, den die Franzosen dem Dreibund geschworen haben." Die
weitere Folge war Frankreichs Annäherung an Rußland — alles die Früchte
der Politik Bismarcks, die nur Mißtrauen säete. Selbst daß sich Frankreich
einem Boulanger an den Hals warf, ist nur darauf zurückzuführen. Jetzt ist
der Zar als die Idee und der Mann, dem man folgen kann, an die Stelle
getreten. Darüber, daß Frankreich und Rußland nur durch den Wunsch zu¬
sammengeführt wurden, das Reich zu erniedrigen oder zu sprengen, zweifelt
niemand. Diese Verbindung ist aber für Frankreich nicht so vorteilhaft wie
für Nußland, und wenn es für Frankreich die Erreichung aller Wünsche brächte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/575>, abgerufen am 23.07.2024.