Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

und sie auch sonst wohl kaum so schlimm war, wie ihr Ruf. Der lachende
Philosoph Demokrit ist häufig als Typus heiterer Lebensnnffassung benutzt
worden; der Menschenfeind Tino" war bereits bei seinen Lebzeiten sprich¬
wörtlich geworden, da schon bei Aristophanes jemand "der reine Timon"
heißt, und so ist er noch heute der Typus des Misanthropen geblieben, wie
der Cyniker Diogenes der Vertreter äußerster Bedürfnislosigkeit und einfacher
Lebensweise; uoch bekannter ist die Diogeneslaterne, wenn auch die Anek¬
dote, ans die sie zurückgeht, erfunden ist (sie wird ganz ähnlich auch von dem
Fabeldichter Asop erzählt). Als abschreckendes Beispiel erscheint uus heute
noch Phryne, die Bezeichnung für eine Dirne, die ihre Liebe dem Meist¬
bietenden verkauft; es ist bezeichnend, daß diese Hetäre im Altertum lange
nicht so verächtlich dastand, wie die mannichfaltigen auf sie bezüglichen Anek¬
doten, namentlich was ihr Verhältnis zu Praxiteles anlangt, beweisen. Hero¬
stratos, der den Tempel der Artemis in Ephesos in Brand steckte, soll be¬
kanntlich diese Frevelthat nnr in der Absicht begangen haben, dadurch seinen
Namen auf die Nachwelt zu bringen; und obgleich, wie erzählt wird, damals
ausdrücklich der strengste Befehl erlassen wurde, den Namen des Brandstifters
zu verschweigen, damit er um den gehofften Lohn seiner Schandthat komme,
so ist ihm seine Absicht doch vortrefflich gelungen, denn noch heute nennt man
jemand, der in frevelhaftem Übermut Großes und Schönes aus reinem Zer-
störnngstrieb vernichtet, einen Herostrat. Unter den Gelehrten hat sich be¬
sonders Aristarch, der geistreiche Homerforscher, die Unsterblichkeit als Be¬
zeichnung eines geistvollen Kritikers errungen, während Zoilus, die berüch¬
tigte "Homergeißel," ebenso als Typus schmühsüchtigen Tadels im Gebrauch
geblieben ist. Apelles dient mitunter, doch meist in scherzhaftem oder iro¬
nischem Sinu, als Name für einen Maler. Endlich ist noch das Damokles¬
schwert anzuführen, obgleich die Anekdote, von der es herkommt, sicher er¬
funden ist.

Sodann sind noch einige Tropen namhaft zu machen, die auf griechische
Einrichtungen oder griechischem Kultus gehen. Dem Kultus entlehnt ist der
pythische Dreifuß; wenn wir ausdrücken wollen, jemand gebe seine Meinung
gleichsam als apodiktisches, uuwidersprechliches Urteil ab, so sagen wir, es
geschehe "vom pythische" Dreifuß herab," und ähnlich drückten dies bereits
die Griechen aus. Auch die übertragne Bedeutung vou Orakel (orakeln,
orakelhaft) kann man hierher ziehen. Die Hekatombe, das große Opfer von
hundert Stieren, ist uns in der Metapher für Dinge, die massenhaft irgend¬
welchem Zwecke geopfert werden, sehr geläufig. Wohl dem griechischen Theater
ist der Chorführer entlehnt, der für die andern das Wort nimmt, die Mei¬
nung einer größern Menge vorträgt; ebenfalls vom Theater kommt der Ko¬
thurn, von uns für hohen Schwung des Pathos gebraucht, so wie der nnr
in der lateinischen Fassung verbreitete apus gx inaoliin!l, der schon bei den


Grenzboten II 189Z 71

und sie auch sonst wohl kaum so schlimm war, wie ihr Ruf. Der lachende
Philosoph Demokrit ist häufig als Typus heiterer Lebensnnffassung benutzt
worden; der Menschenfeind Tino» war bereits bei seinen Lebzeiten sprich¬
wörtlich geworden, da schon bei Aristophanes jemand „der reine Timon"
heißt, und so ist er noch heute der Typus des Misanthropen geblieben, wie
der Cyniker Diogenes der Vertreter äußerster Bedürfnislosigkeit und einfacher
Lebensweise; uoch bekannter ist die Diogeneslaterne, wenn auch die Anek¬
dote, ans die sie zurückgeht, erfunden ist (sie wird ganz ähnlich auch von dem
Fabeldichter Asop erzählt). Als abschreckendes Beispiel erscheint uus heute
noch Phryne, die Bezeichnung für eine Dirne, die ihre Liebe dem Meist¬
bietenden verkauft; es ist bezeichnend, daß diese Hetäre im Altertum lange
nicht so verächtlich dastand, wie die mannichfaltigen auf sie bezüglichen Anek¬
doten, namentlich was ihr Verhältnis zu Praxiteles anlangt, beweisen. Hero¬
stratos, der den Tempel der Artemis in Ephesos in Brand steckte, soll be¬
kanntlich diese Frevelthat nnr in der Absicht begangen haben, dadurch seinen
Namen auf die Nachwelt zu bringen; und obgleich, wie erzählt wird, damals
ausdrücklich der strengste Befehl erlassen wurde, den Namen des Brandstifters
zu verschweigen, damit er um den gehofften Lohn seiner Schandthat komme,
so ist ihm seine Absicht doch vortrefflich gelungen, denn noch heute nennt man
jemand, der in frevelhaftem Übermut Großes und Schönes aus reinem Zer-
störnngstrieb vernichtet, einen Herostrat. Unter den Gelehrten hat sich be¬
sonders Aristarch, der geistreiche Homerforscher, die Unsterblichkeit als Be¬
zeichnung eines geistvollen Kritikers errungen, während Zoilus, die berüch¬
tigte „Homergeißel," ebenso als Typus schmühsüchtigen Tadels im Gebrauch
geblieben ist. Apelles dient mitunter, doch meist in scherzhaftem oder iro¬
nischem Sinu, als Name für einen Maler. Endlich ist noch das Damokles¬
schwert anzuführen, obgleich die Anekdote, von der es herkommt, sicher er¬
funden ist.

Sodann sind noch einige Tropen namhaft zu machen, die auf griechische
Einrichtungen oder griechischem Kultus gehen. Dem Kultus entlehnt ist der
pythische Dreifuß; wenn wir ausdrücken wollen, jemand gebe seine Meinung
gleichsam als apodiktisches, uuwidersprechliches Urteil ab, so sagen wir, es
geschehe „vom pythische» Dreifuß herab," und ähnlich drückten dies bereits
die Griechen aus. Auch die übertragne Bedeutung vou Orakel (orakeln,
orakelhaft) kann man hierher ziehen. Die Hekatombe, das große Opfer von
hundert Stieren, ist uns in der Metapher für Dinge, die massenhaft irgend¬
welchem Zwecke geopfert werden, sehr geläufig. Wohl dem griechischen Theater
ist der Chorführer entlehnt, der für die andern das Wort nimmt, die Mei¬
nung einer größern Menge vorträgt; ebenfalls vom Theater kommt der Ko¬
thurn, von uns für hohen Schwung des Pathos gebraucht, so wie der nnr
in der lateinischen Fassung verbreitete apus gx inaoliin!l, der schon bei den


Grenzboten II 189Z 71
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0570" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215025"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2215" prev="#ID_2214"> und sie auch sonst wohl kaum so schlimm war, wie ihr Ruf. Der lachende<lb/>
Philosoph Demokrit ist häufig als Typus heiterer Lebensnnffassung benutzt<lb/>
worden; der Menschenfeind Tino» war bereits bei seinen Lebzeiten sprich¬<lb/>
wörtlich geworden, da schon bei Aristophanes jemand &#x201E;der reine Timon"<lb/>
heißt, und so ist er noch heute der Typus des Misanthropen geblieben, wie<lb/>
der Cyniker Diogenes der Vertreter äußerster Bedürfnislosigkeit und einfacher<lb/>
Lebensweise; uoch bekannter ist die Diogeneslaterne, wenn auch die Anek¬<lb/>
dote, ans die sie zurückgeht, erfunden ist (sie wird ganz ähnlich auch von dem<lb/>
Fabeldichter Asop erzählt). Als abschreckendes Beispiel erscheint uus heute<lb/>
noch Phryne, die Bezeichnung für eine Dirne, die ihre Liebe dem Meist¬<lb/>
bietenden verkauft; es ist bezeichnend, daß diese Hetäre im Altertum lange<lb/>
nicht so verächtlich dastand, wie die mannichfaltigen auf sie bezüglichen Anek¬<lb/>
doten, namentlich was ihr Verhältnis zu Praxiteles anlangt, beweisen. Hero¬<lb/>
stratos, der den Tempel der Artemis in Ephesos in Brand steckte, soll be¬<lb/>
kanntlich diese Frevelthat nnr in der Absicht begangen haben, dadurch seinen<lb/>
Namen auf die Nachwelt zu bringen; und obgleich, wie erzählt wird, damals<lb/>
ausdrücklich der strengste Befehl erlassen wurde, den Namen des Brandstifters<lb/>
zu verschweigen, damit er um den gehofften Lohn seiner Schandthat komme,<lb/>
so ist ihm seine Absicht doch vortrefflich gelungen, denn noch heute nennt man<lb/>
jemand, der in frevelhaftem Übermut Großes und Schönes aus reinem Zer-<lb/>
störnngstrieb vernichtet, einen Herostrat. Unter den Gelehrten hat sich be¬<lb/>
sonders Aristarch, der geistreiche Homerforscher, die Unsterblichkeit als Be¬<lb/>
zeichnung eines geistvollen Kritikers errungen, während Zoilus, die berüch¬<lb/>
tigte &#x201E;Homergeißel," ebenso als Typus schmühsüchtigen Tadels im Gebrauch<lb/>
geblieben ist. Apelles dient mitunter, doch meist in scherzhaftem oder iro¬<lb/>
nischem Sinu, als Name für einen Maler. Endlich ist noch das Damokles¬<lb/>
schwert anzuführen, obgleich die Anekdote, von der es herkommt, sicher er¬<lb/>
funden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2216" next="#ID_2217"> Sodann sind noch einige Tropen namhaft zu machen, die auf griechische<lb/>
Einrichtungen oder griechischem Kultus gehen. Dem Kultus entlehnt ist der<lb/>
pythische Dreifuß; wenn wir ausdrücken wollen, jemand gebe seine Meinung<lb/>
gleichsam als apodiktisches, uuwidersprechliches Urteil ab, so sagen wir, es<lb/>
geschehe &#x201E;vom pythische» Dreifuß herab," und ähnlich drückten dies bereits<lb/>
die Griechen aus. Auch die übertragne Bedeutung vou Orakel (orakeln,<lb/>
orakelhaft) kann man hierher ziehen. Die Hekatombe, das große Opfer von<lb/>
hundert Stieren, ist uns in der Metapher für Dinge, die massenhaft irgend¬<lb/>
welchem Zwecke geopfert werden, sehr geläufig. Wohl dem griechischen Theater<lb/>
ist der Chorführer entlehnt, der für die andern das Wort nimmt, die Mei¬<lb/>
nung einer größern Menge vorträgt; ebenfalls vom Theater kommt der Ko¬<lb/>
thurn, von uns für hohen Schwung des Pathos gebraucht, so wie der nnr<lb/>
in der lateinischen Fassung verbreitete apus gx inaoliin!l, der schon bei den</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 189Z 71</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0570] und sie auch sonst wohl kaum so schlimm war, wie ihr Ruf. Der lachende Philosoph Demokrit ist häufig als Typus heiterer Lebensnnffassung benutzt worden; der Menschenfeind Tino» war bereits bei seinen Lebzeiten sprich¬ wörtlich geworden, da schon bei Aristophanes jemand „der reine Timon" heißt, und so ist er noch heute der Typus des Misanthropen geblieben, wie der Cyniker Diogenes der Vertreter äußerster Bedürfnislosigkeit und einfacher Lebensweise; uoch bekannter ist die Diogeneslaterne, wenn auch die Anek¬ dote, ans die sie zurückgeht, erfunden ist (sie wird ganz ähnlich auch von dem Fabeldichter Asop erzählt). Als abschreckendes Beispiel erscheint uus heute noch Phryne, die Bezeichnung für eine Dirne, die ihre Liebe dem Meist¬ bietenden verkauft; es ist bezeichnend, daß diese Hetäre im Altertum lange nicht so verächtlich dastand, wie die mannichfaltigen auf sie bezüglichen Anek¬ doten, namentlich was ihr Verhältnis zu Praxiteles anlangt, beweisen. Hero¬ stratos, der den Tempel der Artemis in Ephesos in Brand steckte, soll be¬ kanntlich diese Frevelthat nnr in der Absicht begangen haben, dadurch seinen Namen auf die Nachwelt zu bringen; und obgleich, wie erzählt wird, damals ausdrücklich der strengste Befehl erlassen wurde, den Namen des Brandstifters zu verschweigen, damit er um den gehofften Lohn seiner Schandthat komme, so ist ihm seine Absicht doch vortrefflich gelungen, denn noch heute nennt man jemand, der in frevelhaftem Übermut Großes und Schönes aus reinem Zer- störnngstrieb vernichtet, einen Herostrat. Unter den Gelehrten hat sich be¬ sonders Aristarch, der geistreiche Homerforscher, die Unsterblichkeit als Be¬ zeichnung eines geistvollen Kritikers errungen, während Zoilus, die berüch¬ tigte „Homergeißel," ebenso als Typus schmühsüchtigen Tadels im Gebrauch geblieben ist. Apelles dient mitunter, doch meist in scherzhaftem oder iro¬ nischem Sinu, als Name für einen Maler. Endlich ist noch das Damokles¬ schwert anzuführen, obgleich die Anekdote, von der es herkommt, sicher er¬ funden ist. Sodann sind noch einige Tropen namhaft zu machen, die auf griechische Einrichtungen oder griechischem Kultus gehen. Dem Kultus entlehnt ist der pythische Dreifuß; wenn wir ausdrücken wollen, jemand gebe seine Meinung gleichsam als apodiktisches, uuwidersprechliches Urteil ab, so sagen wir, es geschehe „vom pythische» Dreifuß herab," und ähnlich drückten dies bereits die Griechen aus. Auch die übertragne Bedeutung vou Orakel (orakeln, orakelhaft) kann man hierher ziehen. Die Hekatombe, das große Opfer von hundert Stieren, ist uns in der Metapher für Dinge, die massenhaft irgend¬ welchem Zwecke geopfert werden, sehr geläufig. Wohl dem griechischen Theater ist der Chorführer entlehnt, der für die andern das Wort nimmt, die Mei¬ nung einer größern Menge vorträgt; ebenfalls vom Theater kommt der Ko¬ thurn, von uns für hohen Schwung des Pathos gebraucht, so wie der nnr in der lateinischen Fassung verbreitete apus gx inaoliin!l, der schon bei den Grenzboten II 189Z 71

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/570
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/570>, abgerufen am 23.07.2024.