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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Streifzüge auf dem Gebiete der Metapher

die sich bei uns als Bezeichnung für unleserliehe oder schwer verständliche
Schrift vollkommen eingebürgert haben. Ähnlich steht es mit den Völkern
des asiatischen Orients. Der babylonische Turmbau oder die babylonische
Sprachverwirrung sind ebenso wie der gewaltige Jäger Nimrod aus der Bibel
zu uns gekommen, einer der am reichlichsten ausgenutzten Quellen unsrer
Metapher, auf die aber hier nicht eingegangen werden soll. So bleibt denn
höchstens die mächtige Persönlichkeit der Semiramis, die aber nur in einer
ganz bestimmten, von Voltaire eingeführten Metapher üblich geblieben ist, in
der Bezeichnung der Katharina von Rußland als der "Semiramis des Nor¬
dens"; ferner der weichliche Sardanapal, der typisch für weibische Üppigkeit
geworden ist und in diesem Sinne bereits bei den Alten sprichwörtlich war,
wie Krösus schon im Altertum wie heute ein stehendes Bild für großen
Reichtum war; ebenso ist der goldführende Strom Lybiens, der Paktolus
aus der alten Bildersprache in die unsrige übergegangen. Bei der unbedeu¬
tenden Rolle, die die nichtklassischen Völker des Altertums (von den Juden
abgesehen) in unserm Unterricht und in der Kenntnis der gebildeten Laien
überhaupt spielen, darf diese Armut an daher entlehnten Metaphern nicht
Wunder nehmen.

Besser bestellt ist es mit Griechen und Römern. Sprechen wir zunächst
von den Griechen. Hier ist zunächst schon darauf hinzuweisen, daß wir die
Namen einzelner Völkerschaften oder Städte in ganz feststehender Übertragung
bei uns aufgenommen oder richtiger in diesem Sinne von den Alten über¬
nommen haben. Die Athener sind für uns die Vertreter des seinen Witzes,*)
indem die schon bei Griechen und Römern gebräuchliche Bezeichnung reinen
Witzes als attisch (oder "attisches Salz") bei uus Bürgerrecht erlangt hat.
Ihre Nachbarn, die Böotier, galten den feingebildeten Athenern als stumpf¬
sinnig und roh; so sprechen auch wir heute noch von "böotischen Sitten" und
nennen einen plumpen, ungebildeten Menschen einen Böotier oder, wenn anch
seltener, einen Thebaner,^) ohne uns dabei Rechenschaft abzulegen, daß wir
damit eine gewisse Ungerechtigkeit begehen, indem wir uus dem einseitigen
Urteil des in dieser Hinsicht voreingenommenen athenischen Volkes ohne weiteres
anschließen. Lakonisch gebrauchen wir nur im Sinne von treffender Kürze
des Ausdrucks, wie es auch die Römer thaten; spartanisch dagegen zur
Bezeichnung des Strengen und Harten in Erziehung, Gefühlsäußerungen, Er¬
tragen körperlichen Schmerzes u. tgi., eine Trope, die bei den Alten noch nicht
üblich war. Das rauhe Arkadien, in dem namentlich Viehzucht betrieben
wurde, ist sehr mit Unrecht zum Typus eines idyllischen Schüferlebens ge¬
worden; den Alten war diese Auffassung noch fremd, sie wird unsrer modernen




Bergl. Sprceathener, Jlmnthener, Jsarcithener u. s, w.
Auch ironisch einen weisen, einen kundigen Thebaner.
Streifzüge auf dem Gebiete der Metapher

die sich bei uns als Bezeichnung für unleserliehe oder schwer verständliche
Schrift vollkommen eingebürgert haben. Ähnlich steht es mit den Völkern
des asiatischen Orients. Der babylonische Turmbau oder die babylonische
Sprachverwirrung sind ebenso wie der gewaltige Jäger Nimrod aus der Bibel
zu uns gekommen, einer der am reichlichsten ausgenutzten Quellen unsrer
Metapher, auf die aber hier nicht eingegangen werden soll. So bleibt denn
höchstens die mächtige Persönlichkeit der Semiramis, die aber nur in einer
ganz bestimmten, von Voltaire eingeführten Metapher üblich geblieben ist, in
der Bezeichnung der Katharina von Rußland als der „Semiramis des Nor¬
dens"; ferner der weichliche Sardanapal, der typisch für weibische Üppigkeit
geworden ist und in diesem Sinne bereits bei den Alten sprichwörtlich war,
wie Krösus schon im Altertum wie heute ein stehendes Bild für großen
Reichtum war; ebenso ist der goldführende Strom Lybiens, der Paktolus
aus der alten Bildersprache in die unsrige übergegangen. Bei der unbedeu¬
tenden Rolle, die die nichtklassischen Völker des Altertums (von den Juden
abgesehen) in unserm Unterricht und in der Kenntnis der gebildeten Laien
überhaupt spielen, darf diese Armut an daher entlehnten Metaphern nicht
Wunder nehmen.

Besser bestellt ist es mit Griechen und Römern. Sprechen wir zunächst
von den Griechen. Hier ist zunächst schon darauf hinzuweisen, daß wir die
Namen einzelner Völkerschaften oder Städte in ganz feststehender Übertragung
bei uns aufgenommen oder richtiger in diesem Sinne von den Alten über¬
nommen haben. Die Athener sind für uns die Vertreter des seinen Witzes,*)
indem die schon bei Griechen und Römern gebräuchliche Bezeichnung reinen
Witzes als attisch (oder „attisches Salz") bei uus Bürgerrecht erlangt hat.
Ihre Nachbarn, die Böotier, galten den feingebildeten Athenern als stumpf¬
sinnig und roh; so sprechen auch wir heute noch von „böotischen Sitten" und
nennen einen plumpen, ungebildeten Menschen einen Böotier oder, wenn anch
seltener, einen Thebaner,^) ohne uns dabei Rechenschaft abzulegen, daß wir
damit eine gewisse Ungerechtigkeit begehen, indem wir uus dem einseitigen
Urteil des in dieser Hinsicht voreingenommenen athenischen Volkes ohne weiteres
anschließen. Lakonisch gebrauchen wir nur im Sinne von treffender Kürze
des Ausdrucks, wie es auch die Römer thaten; spartanisch dagegen zur
Bezeichnung des Strengen und Harten in Erziehung, Gefühlsäußerungen, Er¬
tragen körperlichen Schmerzes u. tgi., eine Trope, die bei den Alten noch nicht
üblich war. Das rauhe Arkadien, in dem namentlich Viehzucht betrieben
wurde, ist sehr mit Unrecht zum Typus eines idyllischen Schüferlebens ge¬
worden; den Alten war diese Auffassung noch fremd, sie wird unsrer modernen




Bergl. Sprceathener, Jlmnthener, Jsarcithener u. s, w.
Auch ironisch einen weisen, einen kundigen Thebaner.
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[0568] Streifzüge auf dem Gebiete der Metapher die sich bei uns als Bezeichnung für unleserliehe oder schwer verständliche Schrift vollkommen eingebürgert haben. Ähnlich steht es mit den Völkern des asiatischen Orients. Der babylonische Turmbau oder die babylonische Sprachverwirrung sind ebenso wie der gewaltige Jäger Nimrod aus der Bibel zu uns gekommen, einer der am reichlichsten ausgenutzten Quellen unsrer Metapher, auf die aber hier nicht eingegangen werden soll. So bleibt denn höchstens die mächtige Persönlichkeit der Semiramis, die aber nur in einer ganz bestimmten, von Voltaire eingeführten Metapher üblich geblieben ist, in der Bezeichnung der Katharina von Rußland als der „Semiramis des Nor¬ dens"; ferner der weichliche Sardanapal, der typisch für weibische Üppigkeit geworden ist und in diesem Sinne bereits bei den Alten sprichwörtlich war, wie Krösus schon im Altertum wie heute ein stehendes Bild für großen Reichtum war; ebenso ist der goldführende Strom Lybiens, der Paktolus aus der alten Bildersprache in die unsrige übergegangen. Bei der unbedeu¬ tenden Rolle, die die nichtklassischen Völker des Altertums (von den Juden abgesehen) in unserm Unterricht und in der Kenntnis der gebildeten Laien überhaupt spielen, darf diese Armut an daher entlehnten Metaphern nicht Wunder nehmen. Besser bestellt ist es mit Griechen und Römern. Sprechen wir zunächst von den Griechen. Hier ist zunächst schon darauf hinzuweisen, daß wir die Namen einzelner Völkerschaften oder Städte in ganz feststehender Übertragung bei uns aufgenommen oder richtiger in diesem Sinne von den Alten über¬ nommen haben. Die Athener sind für uns die Vertreter des seinen Witzes,*) indem die schon bei Griechen und Römern gebräuchliche Bezeichnung reinen Witzes als attisch (oder „attisches Salz") bei uus Bürgerrecht erlangt hat. Ihre Nachbarn, die Böotier, galten den feingebildeten Athenern als stumpf¬ sinnig und roh; so sprechen auch wir heute noch von „böotischen Sitten" und nennen einen plumpen, ungebildeten Menschen einen Böotier oder, wenn anch seltener, einen Thebaner,^) ohne uns dabei Rechenschaft abzulegen, daß wir damit eine gewisse Ungerechtigkeit begehen, indem wir uus dem einseitigen Urteil des in dieser Hinsicht voreingenommenen athenischen Volkes ohne weiteres anschließen. Lakonisch gebrauchen wir nur im Sinne von treffender Kürze des Ausdrucks, wie es auch die Römer thaten; spartanisch dagegen zur Bezeichnung des Strengen und Harten in Erziehung, Gefühlsäußerungen, Er¬ tragen körperlichen Schmerzes u. tgi., eine Trope, die bei den Alten noch nicht üblich war. Das rauhe Arkadien, in dem namentlich Viehzucht betrieben wurde, ist sehr mit Unrecht zum Typus eines idyllischen Schüferlebens ge¬ worden; den Alten war diese Auffassung noch fremd, sie wird unsrer modernen Bergl. Sprceathener, Jlmnthener, Jsarcithener u. s, w. Auch ironisch einen weisen, einen kundigen Thebaner.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/568>, abgerufen am 23.07.2024.